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09.11.2017
Unternehmensteuer

BFH: Ausgleichszahlungen bei Organschaft und Verlustübernahmevereinbarung

Aktuell: Das BMF hat mit Schreiben vom 04.03.2020 zur Anwendung des § 14 Abs. 2 KStG Stellung genommen. Die Vorschrift regelt unter welchen Voraussetzungen neben dem festen Betrag nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG zusätzlich vereinbarte und geleistete (variable) Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter der Anerkennung einer steuerlichen Organschaft nicht entgegenstehen (siehe unter Anmerkung).

BMF, Schreiben vom 04.03.2020, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 10.05.2017, I R 93/15

Eine Ausgleichszahlung an einen außenstehenden Gesellschafter, die sich am Ertrag der Organgesellschaft orientiert, steht der körperschaftsteuerrechtlichen Anerkennung eines Gewinnabführungsvertrags entgegen. Für unzureichende Verlustübernahmeklauseln besteht eine Anpassungsobliegenheit. Eine Anerkennung der Organschaft (trotz des fehlenden Verweises auf die Verjährungsregelung des § 302 Abs. 4 AktG in vor dem 01.01.2006 abgeschlossenen Verträgen) auf der Grundlage der Nichtbeanstandungsregelung im BMF-Schreiben vom 16.12.2005 kommt nicht in Betracht. Diese Verwaltungsanweisung entfaltet für die Gerichte keine Bindungswirkung.

Sachverhalt

An der Klägerin, einer GmbH, waren die WB GmbH zu 51% und die A GmbH (außenstehende Gesellschafterin) zu 49% beteiligt. 2004 schlossen die Klägerin und die WB einen Gewinnabführungsvertrag zwecks Begründung einer ertragsteuerlichen Organschaft. Dieser sah u.a. vor, dass die WB GmbH an die A GmbH für jedes volle Geschäftsjahr neben einer fixen Ausgleichszahlung einen variablen Zuschlag, dessen Ausgangsgröße der Jahresüberschuss der Organgesellschaft vor Ergebnisabführung, Ausgleichszahlung und Ertragsteuern war, leistet. Hinsichtlich einer Verlustübernahme durch die WB GmbH war vereinbart, dass § 302 Abs. 1 und 3 AktG entsprechende Anwendung finden sollen; ein Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG fehlte.

Das Finanzamt ging davon aus, dass wegen der Höhe der Ausgleichszahlungen, die zwischen 56 % und 63 % des Jahresüberschusses der Klägerin ausmachten, keine Abführung des gesamten Gewinnes, wie es für die Organschaft erforderlich sei, vorliege. Das sah das FG genauso und beanstandete zusätzlich die Verlustübernahmeregelung.

Entscheidung

Es liegt kein körperschaftsteuerrechtliches Organschaftsverhältnis vor, da sowohl die Regelungen über die Ausgleichszahlungen als auch die vertraglichen Verlustübernahmebestimmungen den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen.

Ausgleichszahlungen
Die von § 14 Abs. 1 S. 1 KStG vorausgesetzte Abführung des ganzen Gewinns an den Organträger liegt dann nicht vor, wenn dem außenstehenden Gesellschafter infolge der Ausgleichszahlung der Gewinn der Organgesellschaft in dem Verhältnis zufließt, in dem er ohne Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag zu verteilen gewesen wäre (BFH-Urteil vom 04.03.2009). Nach Ansicht des BFH können Ausgleichszahlungen jedenfalls steuerrechtlich nicht „frei“ und „beliebig“ vereinbart werden. Ob dies privatautonom gesellschaftsrechtlich – über die Mindestanforderungen des § 304 Abs. 2 S. 1 AktG (fester Ausgleich) hinausgehend – möglich ist, lässt der BFH dahinstehen.

§ 304 AktG sieht lediglich einen festen Ausgleich und einen am Ergebnis des Organträgers orientierten variablen Ausgleich, nicht aber einen am (schwankenden) Gewinn der beherrschten Gesellschaft orientierten variablen Ausgleich vor. Mit einem derartigen variablen Ausgleich hätten es die Beteiligten faktisch in der Hand, das von der Organgesellschaft erzielte Einkommen beliebig zwischen Organgesellschaft (vgl. § 16 KStG), Organträger (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) und außenstehendem Gesellschafter aufzuteilen. Das ist mit dem Zweck des Tatbestandsmerkmals "Abführung des ganzen Gewinns" nicht zu vereinbaren, so der BFH. Steuerrechtlich seien deshalb – sowohl für die AG als auch für die GmbH – grundsätzlich nur solche Ausgleichszahlungsvereinbarungen anzuerkennen, die gesellschaftsrechtlich dem dort zwingend Gebotenen Rechnung tragen. Im Streitfall sei daher nicht von einer Gesamtgewinnabführung auszugehen.

Verlustübernahmevereinbarung
Hintergrund

Nach § 17 S. 2 Nr. 2 KStG a. F. musste in Gewinnabführungsverträgen mit einer GmbH als Organgesellschaft eine Verlustübernahme entsprechend den Vorschriften des § 302 AktG vereinbart sein. Dies schloss nach der Rechtsprechung seit der Einfügung der Verjährungsregelung des § 302 Abs. 4 AktG durch das Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts mit Wirkung vom 15.12.2004 auch diese mit ein. Nach dem BMF-Schreiben vom 16.12.2005 wurde es von der Finanzverwaltung allerdings nicht beanstandet, wenn vor dem 01.01.2006 abgeschlossene Gewinnabführungsverträge einen Hinweis auf § 302 Abs. 4 AktG nicht enthalten; eine Anpassung der Verträge war nicht erforderlich.

§ 17 S. 2 Nr. 2 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 enthält nunmehr das Erfordernis eines "dynamischen" Verweises auf § 302 AktG.

Eine Heilung unzureichender Verlustübernahmeklauseln war gemäß § 17 Abs. 2 KStG i.d.F. des „Kroatien-Gesetzes“ vom 25.07.2014 i.V.m. § 34 Abs. 10b KStG i.d.F. des „AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes“ vom 18.12.2013 bis zum 31.12.2014 möglich.

BFH
Im Streitfall war kein Verweis auf § 302 Abs. 4 AktG in den Gewinnabführungsvertrag einbezogen worden.

Nach Ansicht des BFH bestehen keine Zweifel, dass für unzureichende Verlustübernahmeklauseln eine Anpassungsobliegenheit besteht. Im Streitfall hätte daher bis zum 31.12.2014 eine Vertragsanpassung vorgenommen werden müssen.

Eine Anerkennung der Organschaft trotz des fehlenden Verweises auf die Verjährungsregelung des § 302 Abs. 4 AktG auf der Grundlage der Nichtbeanstandungsregelung im BMF-Schreiben vom 16.12.2005 hält der BFH für nicht geboten. Die Verwaltungsanweisung entfalte für die Gerichte keine Bindungswirkung (BFH-Urteil vom 24.07.2013).

Auch wenn es sich bei dem BMF-Schreiben vom 16.12.2005 um eine sachliche Billigkeitsregelung handelt – wie das Schrifttum es annimmt – bedürfe diese der Umsetzung in eine konkrete Einzelfallentscheidung (abweichende Steuerfestsetzung gemäß § 163 AO) der zuständigen Finanzbehörde. Ein solcher Billigkeitserweis, d.h. eine nach außen hin als solche erkennbare Willensäußerung des Finanzamtes, fehlt im Streitfall. Einem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Körperschaftsteuerbescheid, der eine Organschaft zugrunde legt, komme nicht der Erklärungswert zu, dass das Vorliegen der Organschaftsvoraussetzungen unter Vornahme einer vom materiellen Recht abweichenden Steuerfestsetzung i.S. des § 163 AO in Anwendung des BMF-Schreibens vom 16.12.2005 endgültig anerkannt worden sei.

Betroffene Normen

§ 14 Abs. 1 S. 1 KStG, § 16 KStG, § 17 S. 2 Nr. 2 KStG, § 304 AktG, § 302 Abs. 4 AktG
Streitjahre 2004 bis 2007

Anmerkungen

Aktuell: BMF-Schreiben vom 04.03.2020

Als Reaktion auf das oben dargestellte BFH-Urteil wurde mit dem Umsatzsteuerbetrugsbekämpfungsgesetz vom 11.12.2018 (siehe Deloitte Tax-News) in § 14 Abs. 2 KStG geregelt, unter welchen Voraussetzungen neben dem festen Betrag nach § 304 Abs. 2 S. 1 AktG zusätzlich vereinbarte und geleistete (variable) Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter der Anerkennung einer ertragsteuerlichen Organschaft nicht entgegenstehen. Das BMF hat nun mit Schreiben vom 04.03.2020 (siehe Deloitte Tax-News) zu Anwendungsfragen zu § 14 Abs. 2 KStG Stellung genommen.

Handlungsbedarf: Anpassung Verlustübernahmeregelung bei Organschaften bis 31.12.2019

Unter Berücksichtigung des oben dargestellten BFH-Urteils kommt die Finanzverwaltung mit Schreiben vom 03.04.2019 nun zu dem Schluss, dass Gewinnabführungsverträge, die keinen Verweis auf die entsprechende Anwendung von § 302 Abs. 4 AktG enthalten, aber von der Billigkeitsregelung des BMF-Schreiben vom 16.12.2005 umfasst waren, der Anerkennung der Organschaft dann nicht entgegen stehen, wenn diese bis zum Ablauf des 31.12.2019 an die Regelung des § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 KStG (dynamischer Verweis) angepasst werden. In diesen Fällen liegt kein Neuabschluss vor; die Mindestlaufzeit beginnt nicht von neuem zu laufen.

Ausgleichszahlungen an außenstehende Anteilseigner

Der BFH hatte bereits mit Urteil vom 04.03.2009, I R 1/08 (siehe Deloitte Tax-News) entschieden, dass in dem Fall, dass dem außenstehenden Gesellschafter infolge der Ausgleichszahlung der Gewinn der Organgesellschaft in dem Verhältnis zufließt, in dem er ohne Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag zu verteilen gewesen wäre, keine Abführung des vollen Gewinns an den Organträger vorliegt (entgegen BMF-Schreiben vom 13.09.1991). Das BMF hatte auf das BFH-Urteil damals noch mit einem Nichtanwendungserlass reagiert (Schreiben vom 20.04.2010, siehe Deloitte Tax-News).

Vorinstanz

Niedersächsisches Finanzgericht vom 11.11.2015, 6 K 386/13, EFG 2016, S. 1193, siehe Deloitte Tax-News 

Fundstellen

BMF, Schreiben vom 03.04.2019

BFH, Urteil vom 10.05.2017, I R 93/15, lt. BMF-Schreiben vom 11.06.2019 zur Veröffentlichung im BStBl. II vorgesehen

Weitere Fundstellen

BMF, Schreiben vom 04.03.2020, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 04.03.2009, I R 1/08, BStBl II 2010, S. 407, siehe Deloitte Tax-News

BMF, Nichtanwendungserlass vom 20.04.2010, IV C 2 - S 2770/08/10006, DStR 2010, S. 873, siehe Deloitte Tax-News

BMF, Schreiben vom 13.09.1991, DB 1991, S. 2110

BMF, Schreiben vom 16.12.2005

BFH, Urteil vom 24.07.2013, I R 40/12, BStBl II 2014, S. 272

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