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19.12.2013
Rechnungslegung

BFH: Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten

Für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen, für deren Durchführung die Umsetzungsfristen am Bilanzstichtag bereits abgelaufen sind, liegen grundsätzlich die Voraussetzungen für eine Rückstellungsbildung vor. Sind solche Verpflichtungen also am Bilanzstichtag bereits rechtlich (durch Fristablauf) entstanden, muss die wirtschaftliche Verursachung nicht mehr geprüft werden, da diese spätestens im Zeitpunkt der rechtlichen Entstehung ebenfalls gegeben ist. Eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung hingegen, die die objektive Nutzbarkeit eines Wirtschaftsguts in Zeiträumen nach Ablauf des Bilanzstichtags sichern soll, ist in den bis dahin abgeschlossenen Rechnungsperioden wirtschaftlich noch nicht verursacht.

Mit Urteil vom 17.10.2013 gab der BFH dem FG dem Grunde nach Recht. Der BFH hob das Urteil des FG dennoch auf, da anhand der bisher vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden könne, ob die Klägerin im Streitjahr Rückstellungen für die öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen bilden durfte. Die luftverkehrsrechtlichen Verpflichtungen träfen – entgegen der Meinung des FG – den Halter und nicht den Eigentümer des Luftfahrtgeräts. Das FG müsse nun Feststellungen treffen, ob die Klägerin nicht nur die Eigentümerin der Flugzeuge, sondern auch deren Halterin sei.
BFH, Urteil vom 17.10.2013, IV R 7/11
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FG Düsseldorf:
Sachverhalt

Die Klägerin (eine GmbH & Co. KG) betreibt ein Luftfahrt- und Luftwerbeunternehmen. Gegenstand der Unternehmung ist u.a. die Vercharterung von Flugzeugen. Als Eigentümerin ist sie zur ständigen Umrüstung und Anpassung der Flugzeuge an den jeweiligen Stand der Luftsicherheitstechnik verpflichtet. Diese resultieren u.a. aus individuellen Anweisungen des Luftfahrtbundesamtes, aus sog. Lufttüchtigkeitsanweisungen und den Joint Aviation Requirements (öffentlich-rechtliche Verpflichtungen). Werden entsprechend angeordnete Maßnahmen nicht durchgeführt, droht die Stilllegung des betroffenen Flugzeugs.

Die Klägerin bildete wegen anstehender und zum jeweiligen Bilanzstichtag noch nicht durchgeführter Maßnahmen regelmäßig Rückstellungen. Zum hier zu beurteilenden Bilanzstichtag (31.12.2002) wurden Rückstellungen gebildet für Maßnahmen, deren Umsetzungsfristen sowohl vor als auch nach dem Bilanzstichtag lagen. Als Nachweis für die Rückstellungen erkannten Betriebsprüfer in der Vergangenheit stets die entsprechenden luftsicherheitstechnischen Anweisungen der o.g. Behörden an. Im Streitjahr 2002 würdigte der Betriebsprüfer diese Maßnahmen erstmals als steuerlich nicht zulässige Aufwandsrückstellung. Der gegen den Feststellungsbescheid gerichtete Einspruch blieb erfolglos.

Streitig ist, ob die für zukünftige Aufwendungen auf Grund von Lufttüchtigkeitsanweisungen und Joint Aviation Requirements gebildeten ungewissen Rückstellungen anzuerkennen sind.

Entscheidung

Die Klage ist teilweise begründet. Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten kann im vorliegenden Fall nur für solche öffentlich-rechtliche Verpflichtungen gebildet werden, deren Umsetzungsfrist zum Bilanzstichtag bereits abgelaufen war.

Nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden und gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EStG für die Steuerbilanz maßgeblich. Voraussetzung nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist zum einen das Bestehen einer dem Betrag nach ungewissen, dem Grunde nach aber bestehenden Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Entstehens einer, ggf. ihrer Höhe nach noch ungewissen, Verbindlichkeit (BFH-Urteil vom 20.08.2008). Darüber hinaus muss der Steuerpflichtige ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (BFH-Urteil vom 19.10.1993). Für die Passivierung einer rechtlich noch nicht bestehenden Verbindlichkeit ist des Weiteren ein wirtschaftlicher Bezug der möglicherweise entstehenden Verbindlichkeit zum Zeitpunkt vor dem jeweiligen Bilanzstichtag erforderlich (BFH-Urteil vom 27.01.2010). Auch für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen können Rückstellungen gebildet werden, sofern sie hinreichend konkret sind und an die Verletzung der Verpflichtung Sanktionen geknüpft sind, sodass sich der Steuerpflichtige der Erfüllung nicht entziehen kann (BFH-Urteil vom 25.03.2004).

Verbindlichkeiten sind rechtlich noch nicht entstanden, wenn die Rechtsnorm eine Frist für ihre Erfüllung einräumt und diese noch nicht abgelaufen ist. Bis zum Ablauf der Frist kann und darf das entsprechende Luftfahrzeug in Betrieb bleiben, da es insoweit den entsprechenden luftfahrt- und sicherheitstechnischen Anforderungen genügt. Sanktionen sind bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu befürchten. Die Umsetzung der Maßnahme zum Bilanzstichtag vor Ablauf der Umsetzungsfrist ist somit in das Belieben der Klägerin gestellt. Der sonach für die Passivierung erforderliche wirtschaftliche Bezug der dem Grunde und der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit ist nicht gegeben. Eine Verpflichtung im Sinne des Rückstellungsbegriffs ist nämlich erst entstanden und wirtschaftlich verursacht, wenn der Tatbestand, an den das Gesetz knüpft, im Wesentlichen verwirklicht ist (BFH-Urteil vom 19.08.2002). Die Verpflichtung zur Durchführung der behördlichen Anordnungen war nicht daran geknüpft, dass die Klägerin im Streitjahr Flugzeuge unterhalten hat. Vielmehr entstanden die Kosten dadurch, dass die Klägerin auch in Zukunft weiter beabsichtige Luftverkehrsleistungen zu erbringen. Zudem fehlt es an der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit, wenn eine ungewisse Verbindlichkeit wirtschaftlich eng mit den künftigen Gewinnchancen verbunden ist. Denn in diesem Fall sind die Aufwendungen nicht dem vergangenen Wirtschaftsjahr zuzuordnen, sondern vielmehr einem zukünftigen (vgl. entspr. BFH-Urteil vom 10.12.1992).

Mit Ablauf der Nachrüstungsfristen wurden Verbindlichkeiten der Klägerin zu Modifikationen und Änderungen an den Fluggeräten begründet. Diese, der Höhe nach ungewissen Verbindlichkeiten waren zudem sanktionsbewehrt. Nach Rechtsprechung des BFH ist im Fall des Bestehens einer dem Betrag nach ungewissen, dem Grunde aber bestehenden Verbindlichkeit eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden (BFH-Urteil vom 27.01.2010).

Auch eine Gegenrechnung künftiger Vorteile nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. C EStG scheidet aus. Es liegen keine künftigen Vorteile vor, die geeignet sind, die Aufwendungen teilweise zu kompensieren. Die bloße Möglichkeit eines Vorteils genügt nicht, vielmehr ist eine begründete Aussicht auf einen Vorteil erforderlich die mit der Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich verbunden sein wird. Die in den Folgejahren aus der Luftfahrttätigkeit folgenden Einnahmen sind nicht mit der Erfüllung der konkreten Verpflichtung, sondern mit dem Flugbetrieb verbunden.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da die Frage der Bildung von Rückstellungen aufgrund von Lufttüchtigkeitsentscheidungen und Joint Aviation Requirenments bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Die Rechtsfrage ist für eine Vielzahl von Luftfahrtunternehmen und in der Luftfahrtbranche tätige Leasingunternehmen und Leasingfondes von Bedeutung.

Betroffene Norm

§ 249 Abs. 1 S. 1 HGB

Anmerkung

Mit Urteil vom 21.04.2015 hat das FG Düsseldorf entschieden, dass für die künftige Wartung von Flugzeugen keine Rückstellungen gebildet werden können.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 17.10.2013, IV R 7/11
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2010, 3 K 3356/08 F

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 27.01.2010, I R 13/08, BFHE 228, S. 91
BFH, Urteil vom 20.08.2008, I R 19/07, BFHE 222, S. 494
BFH, Urteil vom 25.03.2004, IV R 35/02, BFHE 206, S. 25
BFH, Urteil vom 19.08.2002, VIII R 30/01, BFHE 199, S. 561
BFH, Urteil vom 10.12.1992, XI R 34/91, BFHE 170, S. 149
BFH, Urteil vom 25.08.1989, III R 95/87, BFHE 158, S. 58
FG Düsseldorf, Urteil vom 21.04.2015, 6 K 418/14 K,F, Revision zugelassen

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