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19.05.2010
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Entscheidungen des Sozialversicherungsträgers entfalten im Besteuerungsverfahren Bindungswirkung

Sachverhalt

Der Gesellschafter-Geschäftsführer war im streitigen Zeitraum (Mai 1997 bis März 2001) mit 24% am Stammkapital der Klägerin beteiligt, zwei weitere Gesellschafter hielten Anteile am Stammkapital von 52% sowie von 24%. Sowohl die Techniker Krankenkasse als auch die Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt stuften durch Bescheide vom 01. Juli 1994 bzw. 24. Juli 1998 die Geschäftsführertätigkeit als selbständige Tätigkeit und damit als nicht sozialversicherungspflichtig ein. Ungeachtet dessen führte die Klägerin für den Gesellschafter-Geschäftsführer im streitigen Zeitraum Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung an die Krankenkasse als Sozialversicherungsträger ab. Die Klägerin behandelte diese Zahlungen als steuerfreie Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nach § 3 Nr. 62 EStG. 

Das Finanzamt kam im Rahmen einer Außenprüfung zu dem Ergebnis, dass die für den Gesellschafter-Geschäftsführer gezahlten Beträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mangels sozialversicherungsrechtlicher Verpflichtung der Klägerin, diese Leistung zu erbringen, steuerpflichtiger Arbeitslohn seien. Daraufhin und bezüglich weiterer Differenzen nahm das Finanzamt die Klägerin in Haftung. 

Hiergegen wandte sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruch gegen den Haftungsbescheid mit der von ihr erhobenen Klage. Nach Auffassung der Klägerin sei der Gesellschafter-Geschäftsführer sozialversicherungsrechtlich als Arbeitnehmer anzusehen. Des Weiteren seien die Bescheide der Krankenkasse noch nicht bestandskräftig. Die Klage hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht den Haftungsbescheid als auch die Einspruchsentscheidung vollumfänglich aufgehoben hat. Aufgrund der Revision durch das Finanzamt musste schließlich der BFH entscheiden.

Entscheidung

Nach Auffassung des BFH hat das Finanzamt die Klägerin zu Recht in Haftung genommen, weil diese zu Unrecht die für den Gesellschafter-Geschäftsführer erbrachten Kranken und Pflegeversicherungsbeiträge nicht der Lohnsteuer unterworfen hatte. Die Zahlungen stellten Arbeitslohn dar, da für die Klägerin keine gesetzliche Verpflichtung zur Beitragserbringung bestand. 

Zum Arbeitslohn gehören grundsätzlich auch Beiträge, die ein Arbeitgeber für die Zukunftssicherung eines Arbeitnehmers leistet. Typischerweise fällt die Zukunftssicherung in den Verantwortungsbereich des Arbeitnehmers, finanziert sie der Arbeitgeber, wendet er Arbeitslohn zu. Lediglich die gesetzlich geschuldeten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung sind nicht als Gegenleistung für die Arbeitsleistung und damit auch nicht als Arbeitslohn zu qualifizieren Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 62 EStG hat insoweit nur deklaratorische Bedeutung. 

Entscheidend für die Frage, ob ein Arbeitgeber gesetzlich zur Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung verpflichtet ist, sind die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. Die Entscheidung, ob ein Gesellschafter-Geschäftsführer in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht, obliegt den Krankenkassen als Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger. Der BFH hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach die Feststellungen der Sozialversicherungsträger in der Regel für das Besteuerungsverfahren bindend sind. Dementsprechend hat das Finanzgericht im Streitfall zu Unrecht den Haftungsbescheid des Finanzamts aufgehoben, soweit er die Beiträge der Klägerin an die Kranken- und Pflegekasse betraf. Diese Zahlungen stellen steuerpflichtigen Arbeitslohn dar, da keine sozialversicherungsrechtliche Versicherungspflicht bestand. Die von der Krankenkasse getroffene Feststellung hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers entfaltet Tatbestandswirkung für das Finanzamt, da diese Entscheidung verbindlich, wirksam und nicht offensichtlich rechtswidrig ist. 

Nach Auffassung des BFH entfalten die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger jedenfalls insofern eine Bindungswirkung, als sie ein eigenes Prüfungsrecht der Finanzverwaltung und -gerichtsbarkeit im Rahmen des § 3 Nr. 62 EStG, abgesehen von Fällen offensichtlicher Rechtswidrigkeit, ausschließen. Dazu führt der BFH weiter aus, dass die Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt ist und Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht und Bundessozialgericht überwiegend davon ausgehen, dass Verwaltungsakte, derentwegen sie nicht angerufen werden, mit der für einen bestimmten Rechtsbereich getroffenen Regelung als gegeben hingenommen werden müssen. Die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes ist Ausfluss aus Art. 20 Abs. 3 GG und bezweckt, dass die Entscheidung über Rechtmäßigkeit und Bestand eines behördlichen Bescheids den dazu berufenen Spezialgerichten vorbehalten bleibt. Durch diese ressortbezogene Betrachtung werden auch nicht die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen vermindert, da die Klägerin uneingeschränkt die Möglichkeit hatte, gegen die Einschätzung der Krankenkasse Widerspruch einzulegen bzw. den Sozialrechtsweg zu beschreiten. 

Des Weiteren ist die Tatbestandswirkung regelmäßig Folge der Wirksamkeit des Verwaltungsaktes und tritt folglich bereits mit dessen Erlass und nicht erst mit dessen Bestandskraft ein. Dies ist auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten für den Betroffenen unbedenklich. Denn dieser hat die Möglichkeit, bei erfolgreichem Abschluss des außersteuerlichen Widerspruchs- oder Klageverfahrens eine Berücksichtigung des Ergebnisses im Besteuerungsverfahren über eine Änderung des Steuerbescheids aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu erreichen. Es kommt folglich im Streitfall auch nicht darauf an, ob und wann der Bescheid der Krankenkasse bestandskräftig geworden ist.

Fundstelle

BFH-Urteil vom 21.01.2010, VI R 52/08.

Ansprechpartner

Nils Hupfer | Hamburg 
Jochen Schreiber | Düsseldorf

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