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05.11.2012
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Aufrechnung im Insolvenzverfahren

Wird die Umsatzsteuer aufgrund eines erst während des Insolvenzverfahrens eingetretenen Tatbestandes berichtigt (§ 17 Abs. 2 UStG), kann der Umsatzsteuererstattungsanspruch des Insolvenzschuldners nicht gegen Insolvenzforderungen des Finanzamts verrechnet werden. Es ist entscheidend, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand verwirklicht wird (Änderung der Rechtsprechung).

Sachverhalt
In zwei Urteilen hat der BFH über die Aufrechnung im Insolvenzverfahren entschieden und damit seine bisherige Rechtsprechung geändert:

VII R 29/11
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der Schuldnerin am 21.02.2002 eröffneten Insolvenzverfahren. Bei einem Geschäftspartner wurde im Jahr 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet, sodass der Kläger in 2006 Berichtigungen der Umsatzsteuer 2002 und 2003 wegen uneinbringlich gewordener Forderungen vorgenommen hat. Gegen die daraus resultierenden Erstattungsbeträge hat das Finanzamt die Aufrechnung mit seinen unbefriedigten Umsatzsteuerforderungen März, April und September 2001 erklärt und hierüber einen Abrechnungsbescheid erlassen. Einspruch und Klage gegen die Aufrechnung blieben ohne Erfolg.

VII R 44/10
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Verwalter in dem über das Vermögen der Schuldnerin am 01.01.2002 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Schuldnerin hatte 2001 Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben. Mit Bescheid vom 06.11.2001 hat das Finanzamt gegen die Schuldnerin für August 2001 Umsatzsteuer festgesetzt, da die in den Anmeldungen Januar bis August 2001 berücksichtigten Vorsteuern aufgrund des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 UStG zu berichtigen seien, und zwar im Schätzungswege durch einen prozentualen Abschlag. In einer Umbuchungsmitteilung vom Dezember 2001 verrechnete es diese Umsatzsteuerforderung mit den von der Schuldnerin für September bis November 2001 angemeldeten Vergütungsforderungen und durch Umbuchungsmitteilung vom Februar 2002 mit dem Vergütungsanspruch Dezember 2001. Einspruch und Klage gegen den Abrechnungsbescheid blieben ohne Erfolg. 

Entscheidung

VII R 29/11
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Finanzamt darf seine Insolvenzforderungen nicht gegen den Umsatzsteuererstattungsanspruch des Unternehmers verrechnen.

Die Insolvenzordnung gestattet einem Insolvenzgläubiger, der gegen den Insolvenzschuldner eine vor Verfahrenseröffnung begründete Forderung besitzt, grundsätzlich eine Aufrechnung während des Insolvenzverfahrens (§ 95 Abs. 1 S. 1 InsO). Eine Aufrechnung ist jedoch nicht zulässig, soweit der Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas schuldig geworden ist (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH war eine Aufrechnung zulässig, wenn der Anspruch des Steuerpflichtigen zwar steuerrechtlich erst während des Insolvenzverfahrens entstanden war, jedoch auf dem Ausgleich einer vor Verfahrenseröffnung erfolgten Steuerfestsetzung beruhte, insbesondere etwa einer Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichwerden des Entgelts. Diese Verknüpfung von Umsatzsteuerfestsetzung und Umsatzsteuerberichtigung (§ 17 Abs. 2 UStG) hat der BFH jetzt aufgegeben.

Für die Anwendung der Insolvenzordnung (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO) ist es als entscheidend anzusehen, wann der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird, die in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen also eintreten.

Aufgrund der Steueranmeldungen des Klägers steht zwischen den Beteiligten fest, dass in den Veranlagungszeiträumen 2002 und 2003 zugunsten der Schuldnerin negative Umsatzsteuerbeträge zu berücksichtigen sind. Der für dieses Verfahren verbindlichen Rechtswirkung dieser Festsetzungen steht nicht entgegen, dass bei Abgabe der betreffenden Anmeldungen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war und im Insolvenzverfahren grundsätzlich keine Steuerfestsetzungen ergehen können, vielmehr die Forderungen des Finanzamt nach den Vorschriften der InsO geltend zu machen sind. Es geht hier nicht um die Festsetzung einer Steuer zu Lasten der Insolvenzmasse, sondern um die Berichtigung einer Steuerfestsetzung mit dem Ziel einer Verringerung der (gegen den Kläger) festgesetzten nachinsolvenzlichen Steuerschuld der Schuldnerin. Dies kann durch Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung mit Festsetzungswirkung ebenso bewirkt werden, wie im Insolvenzverfahren ein Erstattungsbescheid über vorinsolvenzliche Umsatzsteuerguthaben ergehen könnte (BFH-Urteil vom 13.05.2009), weil eine solche Anmeldung nicht den Bestand der Forderungen zu Lasten der Gläubigergemeinschaft verändert, die in der eben geschilderten Weise Gegenstand des insolvenzrechtlichen Prüfungsverfahrens sind. Das Finanzamt ist die von ihm verrechneten Berichtigungsbeträge erst 2002 bzw. 2003 i.S. des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO schuldig geworden, sodass der angefochtene Abrechnungsbescheid rechtswidrig und folglich entsprechend dem Antrag des Klägers zu ändern ist.

VII R 44/10
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene Feststellung, dass die Umsatzsteuervergütungsansprüche September bis Dezember 2001 nicht an den Kläger auszukehren sind, ist rechtmäßig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Jahressteuerbescheid vom Zeitpunkt seines Ergehens an alleinige Grundlage für die Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstandene Steuer sowie für die Einbehaltung der als Vorauszahlung für den Veranlagungszeitraum entrichteten bzw. für die Vergütung der die positiven Umsatzsteuern übersteigenden (Vorsteuer-)Beträge. Kann aus insolvenzverfahrensrechtlichen Gründen eine Jahressteuerfestsetzung nicht ergehen, ändert sich daran nichts: Für das Steuerschuldverhältnis ist auch in diesem Fall die nach Maßgabe der Regelungen des UStG zu berechnende Jahressteuer maßgeblich, sobald die Jahressteuer entstanden ist und berechnet werden kann. Die vom Finanzamt in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid entschiedene Frage, ob gegen die Vergütungsansprüche der Schuldnerin September bis Dezember 2001 mit einer Umsatzsteuerzahllast August 2001 aufgerechnet werden konnte, hat sich deshalb durch den Ablauf des Jahres 2001 erledigt. Die vom Finanzamt in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid getroffene (feststellende) Regelung hinsichtlich der angeblichen Wirksamkeit der vom Finanzamt erklärten Aufrechnung ist insoweit gegenstandslos. Die betreffenden Beträge sind in die Jahressteuer eingegangen und nach Maßgabe des § 16 UStG zu saldieren, da dem nicht insolvenzrechtliche Vorschriften entgegenstehen, insbesondere etwa § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO, dessen entsprechende Anwendung bei der Saldierung, die keine Aufrechnung im Sinne dieser Vorschrift ist (BFH-Urteil vom 24.11.2011). Im Streitfall wird indes die angeblich durch die Berichtigungsfestsetzung entstandene Aufrechnungslage dadurch gleichsam überholt, dass die aufgerechneten Forderungen bei der Jahressteuerberechnung zu saldieren sind, nachdem die Ansprüche auf Vorauszahlung von Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Kalenderjahres materiell-rechtlich in dem Anspruch auf die für das Kalenderjahr zu entrichtende Steuer oder in dem Überschuss (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG) aufgegangen sind.

Wie der Senat mit Urteil VII R 29/11 entschieden hat, entsteht ein bei der Steuerberechnung bzw. -festsetzung zu berücksichtigender, mithin mit den übrigen Berechnungspositionen des betreffenden Besteuerungszeitraums (hier: 2001) zu saldierender Berichtigungsbetrag, sobald einer der Tatbestände des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird. Das hat das Finanzamt zunächst für August angenommen, ohne dass der Kläger dem substantiiert entgegengetreten ist. Das FG hat sich zu der Frage zwar nicht ausdrücklich geäußert; aus seinen Erwägungen ergibt sich jedoch sinngemäß die Feststellung, dass die Schuldnerin spätestens im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens tatsächlich zahlungsunfähig war, mithin das Finanzamt zu Recht die für Januar bis August geltend gemachten Vorsteuern noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im November um einen geschätzten Anteil berichtigt hat.

Betroffene Norm
§ 17 Abs. 2 UStG, §§ 95, 96 InsO
Streitjahre 2006 bzw. 2001

Vorinstanzen
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.05.2011, 5 K 5350/09, EFG 2011, S. 1593 (zu VII R 29/11)
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.04.2010, 9 K 1968/05, EFG 2011, S. 855 (zu VII R 44/10) 

Fundstellen
BFH, Urteil vom 25.07.2012 ,VII R 29/11,  BStBl II 2013, S. 33
BFH, Urteil vom 25.07.2012, VII R 44/10,  BStBl II 2013, S. 36

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 13.05.2009, XI R 63/07, BStBl II 2010, S. 11
BFH, Urteil vom 24.11.2011, V R 13/11, BStBl II 2012, S. 298

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