Zurück zur Übersicht
08.02.2013
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Beendigung der unternehmerischen Betätigung des Veräußerers ist keine Voraussetzung für eine nicht umsatzsteuerbare Geschäftsveräußerung

Das Vorliegen einer nicht umsatzsteuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen erfordert nicht die Beendigung der unternehmerischen Betätigung des Veräußerers. Entscheidend ist, dass das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GmbH, die die Errichtung und Erhaltung sowie die Führung von Kliniken zum Gegenstand hatte. Im Streitjahr 2000 veräußerte die Klägerin ihre Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens im Wesentlichen. Auf den Erwerber gingen außerdem Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis der von der GmbH gemieteten Geschäftsräume, weitere Dauerschuldverhältnisse, die Konzession zum Betrieb einer Klinik und bestehende Arbeitsverhältnisse über. Der Erwerber führte in den Geschäftsräumen der Klägerin eine Klinik für Venenmedizin fort, während die Klägerin ihr Unternehmen an anderer Stelle fortführte. Streitig ist, ob eine nicht umsatzsteuerbare Geschäftsveräußerung i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG trotz Fortführung des Unternehmens der Klägerin vorliegt.

Entscheidung

Das FG hat zutreffend die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG angenommen. Auch ohne Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit der veräußernden Gesellschaft konnte der Erwerber den Betrieb fortführen. Eine nicht umsatzsteuerbare Geschäftsveräußerung ist demnach nicht von der Beendigung der unternehmerischen Betätigung des Veräußerers abhängig zu machen.

Die Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen unterliegen nicht der Umsatzsteuer (§ 1 Abs. 1a S. 1 UStG). Eine Geschäftsveräußerung liegt vor, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im Ganzen entgeltlich oder unentgeltlich übereignet oder in eine Gesellschaft eingebracht wird (§ 1 Abs. 1a S. 2 UStG). Der erwerbende Unternehmer tritt an die Stelle des Veräußerers (§ 1 Abs. 1a S. 3 UStG). § 1 Abs. 1a UStG dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 8 und Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG in nationales Recht und ist entsprechend dieser Bestimmung richtlinienkonform auszulegen. Nach Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten die entgeltliche Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens so behandeln, als ob keine Lieferung vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen. Der Erwerber muss beabsichtigen, den übertragenen Geschäftsbetrieb oder Unternehmensteil zu betreiben (vgl. BFH vom 18.01.2012).

Im Rahmen einer Gesamtwürdigung ist es für die Geschäftsveräußerung entscheidend, ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln. Die Übertragung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen und die Möglichkeit zur Unternehmensfortführung ohne großen finanziellen Aufwand sind nicht erforderlich (vgl. BFH vom 18.01.2012). Aus der Rechtsprechung des EuGH (vgl. z.B. Urteil vom 10.11.2011, Rs. „Schriever“) sowie dem Zweck des Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG folgt, dass die im Rahmen der Geschäftsveräußerung im Ganzen erforderliche Möglichkeit der Fortführung aus der Sicht des Erwerbers zu bestimmen ist.

Bei der im Streitfall erfolgten Übertragung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens einschließlich des Übergangs der Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis, der weiteren Dauerschuldverhältnissen, der Konzession zum Betrieb einer Klinik und der bestehenden Arbeitsverhältnisse handelt es sich um Teilvermögen i.S.d. Art. 5 Abs. 8 der Richtlinie 77/388/EWG bzw. um einen in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführten Betrieb i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG. Die übernommenen Vermögensgegenstände umfassten alle Bestandteile, mit dem der Erwerber den Unternehmensteil „Venenmedizin“ fortführen konnte. Auch ohne Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit durch die veräußernde Klägerin konnte der Erwerber den Klinikbetrieb fortführen. Dies schließt im Streitfall aus, eine Geschäftsveräußerung i.S.d. § 1 Abs. 1a UStG von der Beendigung der unternehmerischen Betätigung bei dem Veräußerer abhängig zu machen.

Aufgrund der unionsrechtlich vorzunehmenden Abgrenzung der begünstigten Teilvermögensveräußerung in § 1 Abs. 1a UStG kommt im Übrigen die Heranziehung ertragsteuerrechtlicher Definitionen zum Vorliegen der Veräußerung eines Teilbetriebs i.S.d § 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG nicht in Betracht. Deshalb ist es umsatzsteuerrechtlich unerheblich, dass ertragsteuerrechtlich eine Teilbetriebsveräußerung nur angenommen wird, wenn der veräußernde Gewerbetreibende die bisher in diesem Teilbetrieb entfaltete Tätigkeit endgültig einstellt.

Betroffene Norm
§ 1 Abs. 1a UStG
Streitjahr 2000

Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 10.02.2012, 12 K 3973/08, EFG 2012, S. 1192

Fundstelle
BFH, Urteil vom 29.08.2012, XI R 10/12, BStBl II 2013, S. 221 

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 18.01.2012, XI R 27/08, BStBl II 2012, S. 842, siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-444/10, „Schriever“, UR 2011, S. 937
Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG) - nunmehr Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 347/1)

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.