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16.12.2011
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Steuerpflicht vereinnahmter Entgelte

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, betreibt ein Lufttransportunternehmen zur Personenbeförderung. Fluggäste konnten Flüge (Inlands- und Auslandsflüge) zu preislich ermäßigten Sonderkonditionen ohne Rücktritts- und ohne Umbuchungsmöglichkeit sowie ohne Erstattung des Flugpreises buchen. Trat der Fluggast den Flug bis 30 Minuten vor Abflug nicht an, konnte die Klägerin den Sitzplatz anderweitig vergeben. Das Finanzamt ging davon aus, dass auch bei den nicht in Anspruch genommenen Flügen ein Leistungsaustausch vorliege. Die von der Klägerin bis dahin als nicht steuerbarer Schadensersatz angesehenen Einnahmen behandelte das Finanzamt als Entgelt für steuerpflichtige Leistungen. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Entscheidung

Das FG hat die Steuerpflicht hinsichtlich der Inlandsflüge zu Recht bejaht. Die Klägerin hat die von ihr vereinnahmten Leistungsentgelte mangels Rückzahlung auch insoweit zu versteuern, als Fluggäste die von ihnen gebuchten Flüge nicht angetreten haben. Ob die Klägerin gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen eine Leistung erbracht hat, war nicht zu entscheiden. Hinsichtlich der Auslandsflüge sind demgegenüber im zweiten Rechtsgang noch weitere Feststellungen zu treffen.

Vereinnahmt der Unternehmer ein Entgelt, bevor er die Leistung ausgeführt hat, entsteht die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem er das Entgelt vereinnahmt (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4 UStG). Die Besteuerung des Entgelts vor Leistungserbringung setzt voraus, dass "alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d.h. der künftigen Lieferung oder der künftigen Dienstleistung, bereits bekannt sind, insbesondere die Gegenstände oder die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sind" (EuGH-Urteil vom 21.02.2006). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, denn die Klägerin hat in den Streitjahren Entgelte für konkret bezeichnete Flugreisen vereinnahmt. Wäre mit der Klägerin davon auszugehen, sie habe gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen keine Leistungen erbracht, unterlägen die vereinnahmten Entgelte in den Streitjahren als Anzahlung der Umsatzsteuer.

Der sich aus der Vereinnahmung der Vorauszahlungen ergebende Steueranspruch ist nicht entfallen. Die Voraussetzungen für eine Berichtigung (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 UStG) liegen nicht vor. Ändert sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 S. 1 UStG). Dies gilt sinngemäß, wenn für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung aber nicht ausgeführt wird (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Eine Berichtigung setzt für den Fall, dass der Leistungsempfänger das Entgelt bereits ganz oder teilweise entrichtet hat, voraus, dass das vereinnahmte Entgelt zurückbezahlt wird (BFH-Urteil vom 02.09.2010). Unionsrechtlich ist es im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis zur Festlegung von Bedingungen - wie die Rechtsprechung des EuGH belegt (EuGH-Urteil vom 29.05.2001) - nicht zu beanstanden, dass die Rückgängigmachung der Besteuerung von der Rückgewähr des Entgelts abhängt (BFH-Urteil vom 18.09.2008).

Selbst wenn zugunsten der Klägerin davon auszugehen wäre, dass sie gegenüber den nicht erschienenen Fluggästen keine Leistung erbracht hat, ist sie aufgrund der Entgeltvereinnahmung Steuerschuldner bis zur Rückzahlung des Entgelts. Im Streitfall war eine Rückzahlung nach den Beförderungsbedingungen der Klägerin ausdrücklich ausgeschlossen.

Im Hinblick auf diese Beförderungsbedingungen scheidet auch die Annahme einer Rückzahlung durch Aufrechnung mit einem - wie die Klägerin meint - pauschal vereinbarten Schadensersatzanspruch gegen den Kunden wegen Nichtinanspruchnahme der angebotenen Leistung aus. Nach den vom FG in Bezug genommenen Vertragsbedingungen "verlieren die Fluggäste ihre Flugberechtigung und haben keinerlei Anspruch auf Rückvergütung oder kostenlose Umbuchung". Danach bestehen für die Vereinbarung eines Schadensersatzanspruchs zugunsten der Klägerin keine Anhaltspunkte.

Die Klägerin kann sich für die beanspruchte Nichtbesteuerung der von ihr vereinnahmten Vorauszahlungen auch nicht auf die Rechtsprechung des EuGH zum sog. "Angeld" berufen. Das sog. Angeld wird im Rahmen von Verträgen geleistet, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand haben. In Fällen, in denen der Gast von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber das Angeld einbehält, ist nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH-Urteil vom 18.07.2007) das Angeld eine pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens. Es ist mangels eines direkten Bezugs zu einer entgeltlichen Dienstleistung kein Entgelt für diese.

Bei Auslandsflügen kommt es darauf an, ob hierfür Umsatzsteuer erhoben wird. Ist das nicht der Fall, so ist auch das Entgelt für einen nicht in Anspruch genommenen Flug nicht steuerpflichtig. Hierzu waren im Streitfall noch weitere Feststellungen zu treffen, die das Finanzgericht wird nachholen müssen.

Betroffene Norm

§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 4 UStG, § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG
Streitjahre 1996 bis 2004

Anmerkungen

Ob das Urteil auch auf andere Fallgestaltungen wie z.B. Stornokosten bei Hotelbuchungen anzuwenden ist, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab.

Vorinstanz

Finanzgericht München, Urteil vom 25.06.2009, 14 K 95/06, EFG 2009, S. 2053

Fundstelle

BFH, Urteil vom 15.09.2011, V R 36/09, BStBl II 2012, S. 365

Weitere Fundstellen

EuGH, Urteil vom 21.02.2006, C-419/02, Slg. 2006, I-1685
BFH, Urteil vom 02.09.2010, V R 34/09, BFH/NV 2011, S. 383
EuGH, Urteil vom 29.05.2001, C-86/99, Slg. 2001, I-4167
BFH, Urteil vom 18.09.2008, V R 56/06, BStBl II 2009, S. 250
EuGH, Urteil vom 18.07.2007, C-277/05, BFH/NV 2007, S. 424

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