BFH: Vermögensverwaltung mit Wertpapieren
Die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren, bei der ein Steuerpflichtiger aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht, ist eine einheitliche und im Inland steuerpflichtige Leistung (Anschluss an EuGH-Urteil vom 19.07.2012, entgegen BFH-Urteil vom 11.10.2007). Wird die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren an im Drittlandsgebiet ansässige Privatanleger erbracht, ist sie nicht steuerbar. Der Steuerpflichtige kann sich auf das (gegenüber § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG) günstigere Unionsrecht berufen (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 19.07.2012, Bestätigung BFH-Urteil vom 11.10.2007).
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Bank, erbrachte im Streitjahr 2008 Leistungen an Privatkunden (Anleger). Die Anleger beauftragten die Klägerin, Wertpapiere unter Berücksichtigung der vom Kunden ausgewählten Strategievariante nach eigenem Ermessen und ohne vorherige Einholung einer Weisung des Anlegers zu verwalten sowie alle Maßnahmen zu treffen, die bei der Verwaltung des Wertpapiervermögens zweckmäßig erscheinen. Die Klägerin war berechtigt, über die Vermögenswerte (Wertpapiere) im Namen und für Rechnung des Anlegers zu verfügen.
Bei Abgabe ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für den VZ Mai 2008 wies die Klägerin das Finanzamt darauf hin, dass sie davon ausgehe, dass ihre Leistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren bei Leistungen an Anleger im Inland und im übrigen Gemeinschaftsgebiet steuerfrei (§ 4 Nr. 8 Buchst. e UStG) und bei Leistungen an Anleger im Drittlandsgebiet nicht steuerbar seien (§ 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG). Das Finanzamt folgte dem nicht und behandelte die Umsätze als steuerbar und steuerpflichtig.
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das FG der Klage statt.
Entscheidung
Die im Inland erbrachten Leistungen der Klägerin sind nicht steuerfrei, während die Leistungen, die die Klägerin an im Drittlandsgebiet ansässige Privatanleger erbrachte, nicht steuerbar sind.
Leistungen, die im Inland erbracht wurden:
Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG "die Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren und die Vermittlung dieser Umsätze, ausgenommen die Verwahrung und die Verwaltung von Wertpapieren". Nach dem im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil vom 19.07.2012 steht fest, dass die durch die Klägerin erbrachten Leistungen als einheitliche Leistung anzusehen sind (Bestätigung der in dem BMF-Schreiben vom 09.12.2008 vertretenen Rechtsauffassung). Nach dem EuGH-Urteil vom 19.07.2012 steht weiter fest, dass die im Inland erbrachten Leistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren nicht steuerfrei, sondern steuerpflichtig sind (ebenfalls Bestätigung der in dem BMF-Schreiben vom 09.12.2008 vertretenen Rechtsauffassung, entgegen BFH-Urteil vom 11.10.2007).
Leistungen gegenüber im Drittlandsgebiet ansässigen Privatanlegern:
Der BFH kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da das FG keine Feststellungen zum Umfang der Leistungen getroffen hat, die die Klägerin gegenüber im Drittlandsgebiet ansässigen Anlegern erbracht hat. Dies ist entscheidungserheblich, da sich die Klägerin bei der Bestimmung des Leistungsorts auf die für sie günstigere Regelung des Unionsrechts berufen kann.
Erbringt der Unternehmer Leistungen i.S. von § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG an Nichtunternehmer mit Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet, ist die Leistung im Inland nicht steuerbar. Nach § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG gilt dies allerdings nur "für die sonstigen Leistungen der in § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis h und Nr. 10 bezeichneten Art sowie die Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten". § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG dient der Umsetzung von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG. Nach dem EuGH-Urteil vom 19.07.2012 erstreckt sich Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG auch auf die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Zurückweisung der in dem BMF-Schreiben vom 09.12.2008 vertretenen Rechtsauffassung).
Ist Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG auch auf die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren anzuwenden, steht zugleich fest, dass § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG gegen das Unionsrecht verstößt. Die Klägerin ist berechtigt, sich auf das für sie günstigere Unionsrecht zu berufen (Bestätigung BFH-Urteil vom 11.10.2007, entgegen BMF-Schreiben vom 09.12.2008). Dem BMF-Schreiben vom 09.12.2008 kommt als lediglich norminterpretierender Verwaltungsanweisung im finanzgerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung zu (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10.11.2011).
Betroffene Norm
§ 4 Nr. 8 Buchst. e UStG, § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG
Streitjahr 2008
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 22.03.2010, 6 K 1930/09, EFG 2010, S. 1364
Fundstelle
BFH, Urteil vom 11.10.2012, V R 9/10
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 11.10.2007, V R 22/04, BStBl II 2008, S. 993
BMF, Schreiben vom 09.12.2008, BStBl I 2008, S. 1086
BFH, Beschluss vom 28.10.2010, V R 9/10, BStBl II 2011, S. 306, siehe auch Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-44/11, Deutsche Bank, UR 2012, S. 667
Richtlinie 2006/112/EG vom 28.11.2006
BFH, Urteil vom 10.11.2011, V R 34/10, BFH/NV 2012, S. 803