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21.03.2017
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Materielle und formelle Anforderungen der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung

 Die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung kann nicht nur wegen der fehlenden Registrierung des Erwerbers im MIAS-System zum Zeitpunkt der Lieferung versagt werden.

Sachverhalt

 Euro Tyre, eine Gesellschaft niederländischen Rechts, ist im Import und Export von Reifen verschiedener Marken sowie im Vertrieb derselben an Einzelhändler in Portugal und Spanien tätig. Auf dem spanischen Markt tätigt sie ihre Verkäufe teilweise durch den Vertriebspartner, die Euro Tyre Distribución de Neumáticos SL. Zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Verkäufe war die Euro Tyre Distribución de Neumáticos SL in Spanien als Mehrwertsteuerpflichtige registriert, unterlag dort aber noch nicht dem Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb und war auch noch nicht im MIAS-System erfasst. Das war der Euro Tyre zum Zeitpunkt der Lieferung an ihren Vertriebspartner auch bewusst. Sie ging allerdings davon aus, dass diese die Registrierung als innergemeinschaftlicher Erwerber in Spanien rückwirkend erhalten würde. Euro Tyre deklarierte daher die genannten Verkäufe als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen. Die Steuerinspektion Portugal vertrat die Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung mangels Registrierung des Vertriebspartners im MIAS-System nicht vorlägen. Das vorlegende Gericht will wissen, ob die Versagung der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung mit den unionsrechtlichen Vorgaben noch in Einklang steht, wenn die Versagung allein aus dem Grund erfolgt, dass der Erwerber zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Verkäufe weder in seinem Mitgliedstaat für innergemeinschaftliche Umsätze registriert noch im MIAS erfasst war.

Entscheidung

 Die Mehrwertsteuerbefreiung darf nach Ansicht des EuGH grundsätzlich nicht allein deshalb versagt werden, weil der Erwerber weder im MIAS registriert noch von einem Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb erfasst ist. Nach der Rechtsprechung des EUGH gibt es nur zwei Fälle, in denen die Nichteinhaltung formeller Anforderungen den Verlust des Rechts auf Mehrwertsteuerbefreiung nach sich ziehen kann, nämlich dann, wenn der Steuerpflichtige sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat, oder wenn der Verstoß gegen eine formelle Anforderung den sicheren Nachweis verhindert, dass die materiellen Anforderungen einer gesetzlichen Vorschrift erfüllt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27.09.2007, C‑146/05, Collée; vom 27.09.2012, C‑587/10, VSTR; Urteil vom 20.10.2016, C-24/15, Plöckl; siehe Deloitte Tax-News).

Vorliegend bestanden keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung. Zudem führten die Nichtregistrierung zum Zeitpunkt der Lieferung im MIAS sowie die fehlende Erfassung im Besteuerungssystem für den innergemeinschaftlichen Erwerb nicht dazu, dass die materiellen Voraussetzungen der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht mehr festgestellt werden konnten – vielmehr waren diese unstreitig erfüllt. Darüber hinaus steht Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann der Versagung der Mehrwertsteuerbefreiung entgegen, wenn der Verkäufer von der mehrwertsteuerlichen Situation des Erwerbers Kenntnis hatte und davon überzeugt war, dass dieser zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend als innergemeinschaftlicher Marktteilnehmer registriert werden würde.

Anmerkung

 Die eindeutigen Ausführungen des EuGH in Bezug auf die unterschiedlichen Konsequenzen von Verstößen gegen die materiellen bzw. formellen Anforderungen der Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen sind insbesondere aus Unternehmersicht begrüßenswert. Der Gerichtshof macht deutlich, dass ein Verstoß gegen Formvorschriften dann unschädlich sein soll, wenn dieser Verstoß die Festsetzung der materiell richtigen Steuer nicht gefährdet. Ganz ähnlich hat der EuGH kürzlich in Bezug auf die formellen bzw. materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs entschieden (vgl. EuGH v. 15.09.2016, C-516/14, Barlis06, v. 15.09.2016 C-518/14, Senatex, dazu Deloitte Tax-News) während die materiellen Voraussetzungen zur Herbeiführung der für den Steuerpflichtigen günstigen Rechtsfolge stets vorliegen müssen, können die formellen Anforderungen unter bestimmten Voraussetzungen auch durch einen anderweitigen Beweis ersetzt werden. Die Steuerverwaltung kann daher nicht auf die Prüfung der materiellen Voraussetzungen einer für den Steuerpflichtigen günstigen Regelung allein deswegen verzichten oder diese sogar verweigern, weil formale Anforderungen nicht erfüllt sind. Dies gebiete der Grundsatz der steuerlichen Neutralität.

Der den Mitgliedstaaten nach Art. 131 MwStSystRL eingeräumte Spielraum, die Regelungen zur Nachweisführung für die Steuerbefreiung festzulegen (vgl. EuGH v. 09.10.2014, C-492/13, Traum; EuGH v. 06.09.2012, C-273/11, Mecsek-Gabona), soll die konkrete und einfache Anwendung der Befreiung gewährleisten, um Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch zu verhindern. Eine Regelung, die aber die Befreiung im Wesentlichen von der Einhaltung formaler Pflichten abhängig macht, geht jedoch über das hinaus, was erforderlich ist, um eine Erhebung der Steuer sicherzustellen.

Betroffene Norm

 Art. 9 Abs. 1, Art. 131, Art. 138 Abs. 1, Art. 213 Abs. 1, Art. 214 Abs. 1 MwStSystRL

Fundstelle

 EuGH, Urteil vom 09.02.2017, C-21/16, Euro Tyre BV

Ihre Ansprechpartner

Dr. Ulrich Grünwald
Partner

ugruenwald@deloitte.de
Tel.: 030 25468-258

Dr. Diana-C. Kurtz
Manager

dkurtz@deloitte.de
Tel.: 089 29036-8025

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