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26.08.2010
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung für den Vorsteuerabzug

Sachverhalt

Die Klägerin verpflichtete sich gegenüber ihrem Auftraggeber zur Durchführung von Renovierungsarbeiten einer Brücke. Die Ausführung der Arbeit übertrug die Klägerin auf einen Nachunternehmer. Die von dem Nachunternehmer an die Klägerin erteilten Rechnungen wichen bezüglich des Leistungsdaums von den von der Klägerin (an deren Auftraggeber) ausgestellten Rechnungen ab, waren mithin unrichtig.

Im 4. Quartal 2007 machte die Klägerin den Vorsteuerabzug aus den „unrichtigen“ Rechnungen geltend.

Auf Nachprüfung und Beanstandung der Finanzbehörde stellte der Nachunternehmer im September 2008 neue Rechnungen aus und erklärte die fehlerhaften Rechnungen durch Gutschriften für ungültig.

Trotz nun richtigem Leistungsdatum auf der Rechnung verweigerte die Steuerbehörde den Vorsteuerabzug, da die ursprünglich erteilten Rechnungen kein korrektes Leistungsdatum enthielten und bei den neuen, berichtigten Rechnungen aufgrund unterschiedlicher Nummerierung der Rechnungen und Gutschriften keine fortlaufende Nummerierung sichergestellt war.

Im Januar 2009 forderte die Finanzbehörde die Klägerin zur Rückzahlung der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuern auf und setzte eine Geldbuße sowie einen Verspätungszuschlag fest.

Das Vorlagegericht ersuchte den EuGH, sich dazu zu äußern, ob eine nationale Regelung oder Praxis, die formale Mängel einer als Grundlage für den Vorsteuerabzug dienenden Rechnung mit dem Verlust dieses Rechts ahndet, mit dem Unionsrecht vereinbar ist

Entscheidung

Das EU-Recht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung oder Praxis, nach der die nationalen Behörden einem Steuerpflichtigen das Recht, den für ihm erbrachten Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung absprechen, dass die ursprüngliche Rechnung, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs in seinem Besitz war, ein falsches Datum des Abschlusses der Dienstleistung aufgewiesen habe und dass die später berichtigte Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift nicht fortlaufend nummeriert gewesen seien, dann entgegenstehen, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und eine die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen.

Betroffene Normen

Art. 167, 168 Buchst. a, 178 Buchst. a, 220 Nr. 1 und 226 MwStSytRL 2006/112/EG des Rates vom 28.11. 2006;
§§ 14, 14a, 15 UStG

Anmerkungen

Nach § 15 Abs.1 Nr. 1 S.1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt wurden, als Vorsteuer abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 S. 2 UStG „eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung“ voraus.

Ähnlich formuliert es die MwStSystRL, die neben der Verwendung der Eingangsleistung für Zwecke besteuerte Ausgangsumsätze für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts den Besitz einer „gemäß Artikeln 220, 236 sowie 238, 239 und 240 ausgestellten Rechnung“ fordert.

Für den Fall, dass eine Rechnung dem Leistungsempfänger erst in einem späteren Besteuerungszeitraum zugeht als die Leistung erbracht wurde (z.B. Leistungsausführung im Dezember 1999, Rechnungseingang im Januar 2000) hatte der EuGH in seinem Urteil vom 29.04.2004, C-152/02, Rechtssache Terra Baubedarf entschieden, dass das Vorsteuerabzugsrecht (erst) für den Erklärungszeitraum auszuüben ist, in dem die beiden Voraussetzungen, nämlich die Ausführung der Leistung und der Besitz einer nach nationalem Recht ordnungsgemäßen Rechnung vorliegen.

Eine „ex tunc“ Wirkung einer erstmalig ausgestellten Rechnung auf den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs kam somit nicht in Betracht.

Insbesondere die deutsche Finanzverwaltung (Abschnitt 192 Abs. 5 UStR) interpretierte die Rechtsprechung in Terra Baubedarf auch als Rückwirkungsverbot für unrichtige oder ungenügende Rechnungen, die später berichtigt oder ergänzt wurden.

Nach dem vorliegenden Urteil dürfte jedoch der Fall einer erstmaligen/nachträglichen Rechungsausstellung (wie in Fall Terra Baubedarf) nicht mit dem Fall einer zunächst erteilten, unrichtigen Rechnung mit anschließender Rechnungskorrektur gleichzusetzen sein. Denn der EuGH erwähnt das Urteil Terra Baubedarf trotz der thematischen Nähe im vorliegenden Fall mit keiner Silbe.

Von besonderer Praxis-Relevanz sind die Aussagen des EuGH zur zeitlichen Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung.

Der EuGH führt aus:

Rz. 43. Zwar muss in der Rechnung, wie die ungarische Regierung feststellt, nach Art. 226 Nr. 7 der Richtlinie 2006/112 der Tag, an dem die Dienstleistung abgeschlossen wurde, genau angegeben sein. Nach den dem Gerichtshof vorgelegten Akten verfugte jedoch die erstinstanzliche Steuerbehörde zu dem Zeitpunkt, als sie der Klägerin den Abzug der Mehrwertsteuer, die auf die ihr von der Nachunternehmerin erbrachten Dienstleistungen entfiel, als Vorsteuer verwehrte, bereits über die von der Nachunternehmerin berichtigten Rechnungen, in denen die richtigen Fertigstellungsdaten angegeben waren. Die Richtlinie 2006/112 verbietet es indessen nicht, fehlerhafte Rechnungen zu berichtigen.

Rz. 44. Unter Berücksichtigung der Feststellungen in den Randnrn. 38 und 41 des vorliegenden Urteils ist in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, sofern die berichtigten Rechnungen sämtliche in der Richtlinie 2006/112, insbesondere Art. 226, vorgeschriebenen Angaben enthielten – was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird –, davon auszugehen, dass alle materiell- und formell-rechtlichen Voraussetzungen für das Recht der Klägerin auf einen Abzug der auf die von der Nachunternehmerin erbrachten Dienstleistung entfallenden Mehrwertsteuer als Vorsteuer erfüllt waren. Insoweit ist zu beachten, dass Art. 226 der Richtlinie 2006/112 keine Verpflichtung vorsieht, nach der berichtigte Rechnungen zur gleichen Serie gehören müssen wie die Gutschriften, mit denen die fehlerhaften Rechnungen aufgehoben werden.

Die zitierten Ausführungen des Gerichtshofs kann, muss man jedoch nicht zwingend dahingehend interpretieren, dass in den Fällen, in denen die Berichtigung einer unrichtigen Rechnung bis zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung über die Versagung des Vorsteuerabzugs erfolgt, die Korrektur auf den Besteuerungszeitraum des Leistungseingangs zurückwirkt (und damit das Vorsteuerabzugsrecht nicht erst im Besteuerungszeitraum des Eingangs der korrigierten Rechnung, sondern unter den gesetzlichen Voraussetzungen im Zeitpunkt des Leistungseingangs ausgeübt werden kann).

Der BFH dürfte - sollte ihm ein derartiger Fall vorgelegt werden -. sich dieser Interpretation anschließen. Dies verdeutlichen die Urteilskommentare der Vorsitzenden Richterin des Umsatzsteuersenats des BFH Dr. Suse Martin (in Haufe, Urteilkommentar zur Entscheidung C-368/09) sowie des BFH-Richters Dr. Christoph Wäger (DStR 2010, 1478). Beide Richter gehen einhellig von einer Rückwirkung der Rechnungskorrektur aus.

Ein im Einzelfall zu verzinsender Vorsteuerrückzahlungsanspruch wäre mithin tatbestandlich nicht gegeben, was eine erhebliche Erleichterung für all die Unternehmer bedeuten würde, die einer zum Teil unverhältnismäßig formalistischen Betriebsprüfungspraxis bei der Überprüfung von Eingangsrechnungen für den Vorsteuerabzug ausgesetzt sind.

Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf dieses Urteil reagiert.

Fest steht, dass auch dieses Urteil nicht alle Fragen zum „Praxisthema Rechnungsmangel“ beantwortet. Zum Beispiel stellt sich die Frage, ob eine unvollständige Rechnung (z.B. Leistungszeitpunkt als zwingendes Rechnungskriterium fehlt völlig) im Hinblick auf die zeitliche Wirkung einer Rechnungsergänzung ebenso zu behandeln ist wie eine unrichtige Rechnung (Leistungsdatum ist auf der Rechnung, ist jedoch unrichtig).

Sollte die Finanzverwaltung an Ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhalten, ist in jedem Fall zu erwarten, dass sich in absehbarer Zeit die nationalen Gerichte verstärkt mit der Thematik der Rechnungsberichtigung/Rechnungsergänzung und deren Auswirkung auf den Vorsteuerabzug auseinandersetzen müssen.

Fundstelle

EuGH,  Urteil vom 15.07.2010, C-368/09 (Rechtssache Pannon Gép Centrum kft).

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