Zurück zur Übersicht
29.06.2011
Indirekte Steuern/Zoll

Reverse-Charge auf Lieferungen von Mobilfunkgeräten und integrierte Schaltkreise

Unionsrechtliche Ermächtigung

Grundsätzlich schuldet der die Leistung ausführende Unternehmer die Umsatzsteuer. Bei besonders betrugsanfälligen Umsätzen ist jedoch die Umkehr der Steuerschuld (sog. „Reverse-Charge“) auf den Leistungsempfänger eine wirkungsvolle gesetzgeberische Maßnahme, um Umsatzsteuerbetrug und Umsatzsteuerausfällen entgegenzuwirken. 

Neben Italien und Österreich wurde Deutschland ermächtigt, eine von Art. 193 MwStSystRL abweichende Regelung im Hinblick auf die Steuerschuldumkehr bei der Lieferung von Mobilfunkgeräten und integrierten Schaltkreisen einzuführen. Das Vereinigte Königreich hatte in der Vergangenheit bereits eine entsprechende Regelung umgesetzt (die Ermächtigung wurde verlängert). Die nationale Neuregelung beruht unionsrechtlich auf dem Durchführungsbeschluss 2010/710/EU des Rates vom 22.11.2010.

Gesetzesänderung

Mit Wirkung vom 01.07.2011 wird durch das 6. Verbrauchsteueränderungsgesetz (6. VStÄndG) der Anwendungsbereich des § 13b UStG erweitert.

Die gesetzliche Neuregelung (§ 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG) betrifft

  • Lieferungen von Mobilfunkgeräten sowie 
  • Lieferungen von integrierten Schaltkreisen vor Einbau in einen zur Lieferung auf der Einzelhandelsstufe geeigneten Gegenstand, 
  • wenn die Summe der für sie in Rechnung zu stellenden Entgelte im Rahmen eines wirtschaftlichen Vorgangs mindestens 5.000 Euro beträgt; nachträgliche Minderungen des Entgelts bleiben dabei unberücksichtigt.

Klarstellungen der Finanzverwaltung

Abschnitt 13b.1 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses wird im Zuge der Gesetzesänderung ebenfalls ergänzt. Die Meinung der Finanzverwaltung im Hinblick auf die Auslegung der neuen Gesetzesvorschrift soll nachfolgend zusammengefasst werden.

Was sind Mobilfunkgeräte im Sinne der Gesetzesvorschrift

Nach Auffassung der Finanzverwaltung sind Mobilfunkgeräte Geräte, die zum Gebrauch mittels eines zugelassenen Mobilfunknetzes und auf bestimmten Frequenzen hergestellt oder hergerichtet wurden, unabhängig von etwaigen weiteren Nutzungsmöglichkeiten. Hiervon werden insbesondere alle Geräte erfasst, mit denen Telekommunikationsleistungen in Form von Sprachübertragung über drahtlose Mobilfunknetzwerke in Anspruch genommen werden können, z.B. Telefone zur Verwendung in beliebigen drahtlosen Mobilfunknetzwerken (insbesondere für den zellularen Mobilfunk, Mobiltelefone und Satellitentelefone).

Ebenso fällt die Lieferung von sog. „Produktbundles“, d.h. gemeinsame Lieferungen von Mobilfunkgeräten und Zubehör zu einem einheitlichen Entgelt unter die Regelung des § 13b UStG, wenn umsatzsteuerlich die Lieferung des Mobilfunkgeräts die Hauptleistung darstellt.

Was sind keine Mobilfunkgeräte im Sinne der Gesetzesvorschrift

Vor dem Hintergrund der Gesetzesbegründung (Maßnahme zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug) war vermutet worden, dass die Finanzverwaltung den Begriff der Mobilfunkgeräte sehr weit auszulegen wird.

Das BMF hat hier jedoch Einschränkungen vorgenommen. Die Lieferung von Geräten, die reine Daten übertragen, ohne diese in akustische Signale umzusetzen, fällt nicht unter die Regelung.

So gehören folgende elektronische Geräte nicht zu den Mobilfunkgeräten im Sinne von § 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG:

  • Navigationsgeräte; 
  • Computer, soweit sie eine Sprachübertragung über drahtlose Mobilfunk-Netzwerke nicht ermöglichen (z.B. Tablet-PCs wie ipads); 
  • MP3-Player; 
  • Spielekonsolen; 
  • On-Board-Units.

Was ist ein integrierter Schaltkreis

Gemäß BMF ist ein integrierter Schaltkreis im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG eine auf einem einzelnen (Halbleiter-) Substrat (sog. Chip) untergebrachte elektronische Schaltung (elektronische Bauelemente mit Verdrahtung).

Zu den integrierten Schaltkreisen zählen insbesondere

  • Mikroprozessoren und 
  • CPUs (Central Processing Unit, Hauptprozessor einer elektronischen Rechenanlage).

Zusätzliche Voraussetzung ist, dass die Schaltkreise (noch) nicht in einen zur Lieferung auf der Einzelhandelsstufe geeigneten Gegenstand (Endprodukt) eingebaut wurden. Ein Gegenstand ist für die Lieferung auf der Einzelhandelsstufe insbesondere dann geeignet, wenn er ohne weitere Be- oder Verarbeitung an einen Endverbraucher geliefert werden kann.

Anders als die Rechtspraxis im Vereinigten Königreich (hier wird der Anwendungsbereich über eine Zolltarifnummer bestimmt) hat sich die deutsche Finanzverwaltung auf eine sehr allgemein gehaltene Definition der integrierten Schaltkreise beschränkt. Ob dies zur Rechtssicherheit beiträgt, darf bezweifelt werden.

Für die Lieferungen folgender Gegenstände bleibt der leistende Unternehmer Steuerschuldner, auch wenn sie elektronische Komponenten enthalten:

  • Antennen; 
  • elektrotechnische Filter; 
  • Induktivitäten (passive elektrische oder elektronische Bauelemente mit festem oder einstellbarem Induktivitätswert); 
  • Kondensatoren; 
  • Sensoren (Fühler).

Schwellenwertregelung

Voraussetzung für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens ist zudem, dass die Summe der für die steuerpflichtigen Lieferungen dieser Gegenstände in Rechnung zu stellenden Bemessungsgrundlagen mindestens 5.000 Euro beträgt. Abzustellen ist bei dem Schwellenwert – so das BMF - nicht auf die einzelne Rechnung, sondern auf alle im Rahmen eines zusammenhängenden wirtschaftlichen Vorgangs gelieferten Gegenstände der genannten Art. Als Anhaltspunkt für einen „wirtschaftlichen Vorgang“ dient gemäß BMF insbesondere die Bestellung, der Auftrag oder der (Rahmen-)Vertrag. 

Diese Interpretation erscheint in der Sache gerechtfertigt, da andernfalls (z.B. durch „Splitting“ der Rechnungsbeträge) Gestaltungsmissbrauch droht. Allerdings ist zu erwarten, dass die Bestimmung des „wirtschaftlichen Vorgangs“ in der Praxis zu Abgrenzungsschwierigkeiten führen wird. Insbesondere ist noch unklar, wie laufende Geschäftsbeziehungen zu werten sind.

Nachträgliche Entgeltminderungen bleiben für die Beurteilung der Betragsgrenze unberücksichtigt.

Unternehmereigenschaft des Leistungsempfängers

Der Übergang der Steuerschuldnerschaft auf den Leistungsempfänger setzt schließlich dessen Unternehmereigenschaft voraus. Bei Lieferungen der genannten Gegenstände an Nichtunternehmer bleibt es folglich bei der Steuerschuld des leistenden Unternehmers.

„Vereinfachungsregelung“

Die bisherige „Vereinfachungsregelung“ für § 13b-Fälle (Abschn. 13b Abs. 23 USAE) findet auch im Rahmen der Lieferung von Mobilfunkgeräten und integrierten Schaltkreisen Anwendung. In Zweifelsfällen können sich die Vertragsparteien folglich auf die Anwendung des §13b UStG einigen.
Die „Vereinfachungsregelung“ ist jedoch für den leistenden Unternehmer nicht risikolos. 

Die „Vereinfachungsregelung“ setzt voraus, dass der Umsatz vom Leistungsempfänger in zutreffender Höhe versteuert wird. Sofern dies nicht erfolgt ist, verbleibt es bei der Steuerschuld des leistenden Unternehmers.

Zeitliche Anwendungsregelungen

Der Leistungsempfänger wird für alle Umsätze und Teilleistungen Steuerschuldner,

  • die nach dem 30.06.2011 ausgeführt werden, 
  • sowie in den Fällen, in denen das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vor dem 01.07.2011 vereinnahmt wird, und die Leistung erst nach der Vereinnahmung des Entgelts oder des Teilentgelts ausgeführt wird.

Letztere Fälle bereiten regelmäßig Schwierigkeiten.

Da der Leistungsempfänger (ungeachtet einer Entgelt- oder Teilentgeltvereinnahmung vor dem „Stichtag“) für nach dem 30.06.2011 ausgeführte Leistungen Steuerschuldner wird, hat er eine Rechnung auszustellen, in der das Netto-Entgelt angegeben sowie ein Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld enthalten ist. Anzahlungsrechnungen mit gesondertem Steuerausweis über vor dem „Stichtag“ vereinnahmte Beträge müssen im Voranmeldungszeitraum der Leistungsausführung demnach grundsätzlich berichtigt werden. In der Schlussrechnung sind die gezahlten Abschlagszahlungen nur dann mit ihrem Bruttobetrag (einschließlich Umsatzsteuer) anzurechnen, wenn die Umsatzsteuer bis zum Zeitpunkt der Erteilung der Schlussrechnung nicht an den Leistungsempfänger zurückerstattet wurde.

Nichtbeanstandungsregel: Es wird von der Finanzverwaltung jedoch nicht beanstandet, wenn bei der Anwendung der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nur das um das vor dem 01.07.2011 vom leistenden Unternehmer vereinnahmte Entgelt oder die vereinnahmten Teile des Entgelts geminderte Entgelt zugrunde gelegt wird. Voraussetzung hierfür ist, dass das vor dem 01.07.2011 vereinnahmte Entgelt oder die vereinnahmten Teile des Entgelts vom leistenden Unternehmer in zutreffender Höhe versteuert (= in einer Voranmeldung oder in einer Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr angemeldet) wurden. In derartigen Fällen ist keine Berichtigung der über geleistete Abschlagszahlungen erteilten Rechnungen durchzuführen. 

Doch auch die „Nichtbeanstandungsregelung“ hat ihre Tücken. Zum einen setzt sie die zutreffende Versteuerung der Anzahlungen beim leistenden Unternehmer voraus (ggf. Nachweisproblematik). Zum anderen ist die Regelung so zu verstehen, dass sie „Einigkeit“ zwischen den Vertragsparteien erfordert, d.h. der leistende Unternehmer kann nicht gegen den Willen des Leistungsempfängers und mit Verweis auf die Nichtbeanstandung die bloße § 13b-Versteuerung des „Restentgelts“ durchsetzen.

Betroffene Norm

§ 13b UStG

Fundstelle

BMF, Schreiben vom 24.06.2011, IV D 3 - S 7279/11/10001
Sechstes Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen, BGBl I 2011, S. 1090 (Nr. 29)
Durchführungsbeschluss des Rates vom 22.11.2010, 2010/710/EU

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.