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10.12.2015
Internationales Steuerrecht

FG Baden-Württemberg: Hinzurechnungsbesteuerung bei Einkünften aus in der Schweiz ansässigen Zwischengesellschaften zweifelhaft

Aktuell: Mit Urteil vom 30.09.2020 hat der BFH nun in dem Verfahren I R 12/19 (I R 78/14) entschieden, dass die Hinzurechnung von in den Wirtschaftsjahren 2004 bis 2006 erzielten Zwischeneinkünften i.S. des § 8 Abs. 1 AStG einer in der Schweiz ansässigen Zwischengesellschaft zwar die Kapitalverkehrsfreiheit beschränkt, aber gerechtfertigt ist und daher nicht gegen Unionsrecht verstößt (Fortführung des EuGH-Urteils vom 26.02.2019, C-135/17, IStR 2019, S. 347 und des BFH-Urteils vom 22.05.2019, I R 11/19 (I R 80/14, siehe Deloitte Tax-News).

BFH, Urteil vom 30.09.2020, I R 12/19 (I R 78/14) ________________________________________________

Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.08.2015, 3 V 4193/13

Die Vereinbarkeit der Hinzurechnungsbesteuerung mit den einschlägigen EU-Grundfreiheiten ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Soweit es um die Kapitalverkehrsfreiheit mit der Schweiz geht, muss das beim BFH anhängige Revisionsverfahren I R 12/19 (I R 78/14) abgewartet werden. Bis zu dessen Abschluss können Einspruchsverfahren ruhen.

Sachverhalt

Der in Deutschland wohnende Antragsteller hielt Anteile an einer schweizerischen AG, deren Geschäftsführer er auch war. Die AG betrieb in der Schweiz ein Maklerbüro, das sich mit dem An- und Verkauf, der Vermittlung und der Vermietung von Geschäftsimmobilien befasste. Das Finanzamt sah die AG als sog. Zwischengesellschaft an und rechnete deren Einkünfte dem Antragsteller persönlich zu. Den Gegenbeweis des Antragstellers, dass die AG in der Schweiz einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachging (sog. Motivtest), ließ das Finanzamt nicht zu. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Steuerforderung für die Dauer des Einspruchsverfahrens wies das Finanzamt ab.

Entscheidung

Das FG gab dem Antrag des Steuerpflichtigen auf AdV statt.

Nach derzeitigem Stand der Rechtsprechung zur Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG im Fall von Drittstaaten bestünden ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit. Das gelte schon allein wegen der nicht höchstrichterlich geklärten Vereinbarkeit mit den einschlägigen Grundfreiheiten des Unionsrechts. Diese seien hier die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV – im Fall der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung des Freizügigkeitsabkommens – und die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV. Insbesondere sei nicht zuverlässig vorhersehbar, wie der EuGH die Vereinbarkeit der AStG-Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung für die Streitjahre, im Verhältnis zu Drittstaaten generell und insbesondere im Verhältnis zur Schweiz beurteilen werde.

Zur Frage eines etwaigen Eingriffs in die Kapitalverkehrsfreiheit mit der Schweiz sei ein Revisionsverfahren beim BFH anhängig (I R 78/14, Vorinstanz FG Münster, Urteil vom 30.10.2014). Im Hinblick darauf sprächen gute Gründe dafür, dass im vorliegenden Fall das vom Finanzamt noch nicht zum Abschluss gebrachte Einspruchsverfahren des Antragstellers gegen die Feststellungsbescheide für die Jahre 2003 bis 2011 nunmehr zunächst von Gesetzes wegen ruhen müsse.

Hinzu käme, dass der BFH im Urteil vom 11.03.2015 ausdrücklich offen gelassen habe, ob die Hinzurechnungsbesteuerung im Allgemeinen gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoße, diese Grundfreiheit ihrerseits trotz des Erfordernisses einer Mindestbeteiligung nicht durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt werde und deswegen drittstaatenweit wirke. Ebenso habe der BFH in diesem Urteil offen gelassen, ob die Drittstaatenwirkung an der Stand-still-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV scheitern könnte.

Insgesamt könne nach derzeitigem Stand im Kontext der §§ 7 ff. AStG bei Beteiligungen in der Schweiz die Notwendigkeit einer Vorlage an den EuGH nicht verneint werden. Es stehe nicht mit der erforderlichen Gewissheit fest, dass die Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zu Drittstaaten in den Jahren 2003 bis 2011 unionsrechtlich nicht zu beanstanden waren. Dies gelte auch und gerade im Verhältnis zu der Schweiz als Drittstaat, zumal zur Bedeutung des Freizügigkeitsabkommens für das Steuerrecht bislang nur wenige Entscheidungen des EuGH ergangen seien und eine mögliche Relevanz für die Fälle der Hinzurechnungsbesteuerung nicht zweifelsfrei zu verneinen sei.

Letztlich sei für die Hinzurechnungsbesteuerung bislang nur das im Jahr 2006 ergangene Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes (C-196/04) unmittelbar aussagekräftig (vgl. dazu BFH-Urteil vom 21.10.2009). Die Frage, ob die aus dieser Entscheidung des EuGH mit der neuen Vorschrift des § 8 Abs. 2 AStG gezogenen Konsequenzen für das deutsche Recht zu einer in jeder Hinsicht unionsrechtskonformen Umsetzung geführt haben, ist mangels einer positiven Bestätigung durch den EuGH bisher noch nicht verbindlich geklärt worden und derzeit ernstlich zweifelhaft.

Betroffene Normen

§ 7 AStG, § 8 Abs. 2 AStG, Art. 49 AEUV, Art. 63 AEUV, Art. 64 Abs. 1 AEUV, EGFreizügAbk CHE

Streitjahre 2003 bis 2011 

Fundstelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.08.2015, 3 V 4193/13, BB 2015 S. 2851-2855, Beschwerde nicht eingelegt

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 30.09.2020, I R 12/19 (I R 78/14) 

Finanzgericht Münster, Urteil vom 30.10. 2014, 2 K 618/11 F, EFG 2015, S. 351, BFH-anhängig: I R 12/19 (I R 78/14, das Verfahren war bis zur Entscheidung des EuGH im Verfahren C-135/17 (siehe Deloitte Tax-News) ausgesetzt)

BFH, Urteil vom 11.03.2015, I R 10/14, BFHE 249, S. 241, siehe Deloitte Tax-News 

EuGH, Urteil vom 12.09.2006, C-196/04 "Cadbury Schweppes", BB 2006, S. 2118

BFH, Urteil vom 21.10.2009, I R 114/08, BStBl II 2010, S. 774, siehe Deloitte Tax-News

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