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24.09.2015
Internationales Steuerrecht

EuGH: Frz. Schachtelstrafe bei fehlender Möglichkeit zur Gruppenbesteuerung unionsrechtswidrig

Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) ist dahin auszulegen ist, dass sie der französische Beschränkung der Dividendenfreistellung auf 95% der vereinnahmten Dividende (Schachtelstrafe) entgegensteht, wenn im vergleichbaren Inlandsfall die Gesellschaften eine Option zur Gruppenbesteuerung hätten ausüben können und dadurch keine der Schachtelstrafe entsprechende Belastung eingetreten wäre.

Sachverhalt und französisches Recht

Nach französischem Recht können die Dividendeneinkünfte einer Muttergesellschaft aus Beteiligungen, die sie an anderen Gesellschaften hält, von ihrem Nettogesamtgewinn abgezogen werden und sind somit vorbehaltlich eines Anteils von 5 % steuerbefreit, der den Ausgaben und Aufwendungen entspricht, die sich auf die Beteiligungen beziehen. Dieser steuerpflichtige Anteil von 5% ähnelt dem Konzept der nichtabzugsfähigen Betriebsausgaben nach § 8b Abs. 5 KStG in Deutschland.

Stammen die Dividenden jedoch von Gesellschaften eines steuerlichen Konzerns, ist die Konzernobergesellschaft allein körperschaftsteuerpflichtig für das Gesamtergebnis des Konzerns (Art. 223 A CGI), wobei kein Anteil für Ausgaben und Aufwendungen der Steuer unterliegt, sodass Dividenden im Ergebnis vollständig steuerbefreit sind. Zu einem steuerlichen Konzern können nur Gesellschaften gehören, an denen eine mindestens 95%ige Beteiligung besteht und die in Frankreich ansässig sind. Somit schließt die in Rede stehende Regelung Dividenden von Tochtergesellschaften in anderen Mitgliedstaaten von der vollständigen Steuerbefreiung der bezogenen Dividenden aus.

Die Groupe Steria SCA, die zur Steria-Gruppe gehört, hält Beteiligungen von jeweils mindestens 95% an Tochtergesellschaften, die sowohl in Frankreich als auch in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind. Hinsichtlich der in den Jahren 2005 bis 2008 bezogenen Dividenden beantragte sie in Frankreich eine vollständige Steuerbefreiung mit der Begründung, dass die französische Regelung gegen die Niederlassungsfreiheit verstoße. Nach nationalem Recht wurde der Abzug des Anteils für Ausgaben und Aufwendungen bei den von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden verweigert, während sie diesen Abzug vornehmen könnte, wenn die Tochtergesellschaften ihren Sitz in Frankreich hätten.

Das EuGH-Urteil

Auf das Vorlageersuchen des Cour administrative d’appel de Versailles urteilte der EuGH, dass die durch die französische Regelung eingeführte unterschiedliche Behandlung nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar ist.

In einem älteren Urteil (v. 25.10.2010, Rs. C-337/08, X-Holding) hatte der EuGH noch geurteilt, dass Gruppenbesteuerungsvorschriften (seinerzeit: die fiscale eenheid nach niederländischem Recht) nicht auf gebietsfremde Tochtergesellschaften ausgedehnt werden müssten, da ansonsten die Gefahr eines „Wahlrechts“ hinsichtlich der Methode und des Orts Verlustberücksichtigung bestünde. Allerdings sei diese Aussage auf die mit der grenzüberschreitenden Verlustberücksichtigung verbundenen Vorteile eines Gruppenbesteuerungssystems begrenzt gewesen, wie der EuGH im nun vorliegenden Urteil deutlich macht. Andere mit einem Gruppenbesteuerungssystem verbundene steuerliche Vorteile seien gesondert auf Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu untersuchen. In Bezug auf die vollständige oder nur 95%ige Freistellung von Dividenden konnte der EuGH keine Rechtfertigungsmöglichkeiten erkennen, insbesondere könne die durch diese unterschiedliche Behandlung hervorgerufene Beschränkung nicht mit dem Erfordernis gerechtfertigt werden, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, da sie nur eingehende Dividenden beträfe, die von gebietsansässigen Muttergesellschaften bezogen werden, so dass die Steuerhoheit ein und desselben Mitgliedstaats betroffen ist.

Auswirkungen auf Deutschland

Auch in Deutschland sind grundsätzlich Dividenden sowohl von gebietsansässigen als auch von gebietsfremden Tochtergesellschaften nur zu 95% steuerbefreit, während der Gewinnbezug im Rahmen einer ertragsteuerlichen Organschaft ohne diese Schachtelstrafe erfolgen kann. Ähnlich wie bei der französischen Regelung sind ausländische Tochtergesellschaften faktisch von der Organschaft ausgeschlossen. Daher stellt sich die Frage, inwieweit sich durch das EuGH-Urteil Möglichkeiten ergeben, die 5%-ige Steuerpflicht von Dividenden bei ausländischen Tochtergesellschaften als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit anzugreifen.

Hierbei wird man allerdings berücksichtigen müssen, dass sich die deutsche und die französische Regelung aufgrund der Systematik beider Gruppenbesteuerungssysteme voneinander unterscheiden. Grundlage der Organschaft ist ein Ergebnisabführungsvertrag nach § 291 ff. AktG, sodass zusätzlich zur Inlandsansässigkeit und zur finanziellen Eingliederung ein weiteres Tatbestandsmerkmal hinzukommen muss. Daher könnte bereits im Ausgangspunkt vertreten werden, dass mangels Vergleichbarkeit der Situation einer inländischen Tochter-Organgesellschaft und einer (ausländischen) Nicht-Organgesellschaft keine Beschränkung vorliegt. Außerdem sind innerhalb der Organschaft laufende Dividenden i.d.R überflüssig bzw. unzulässig, da der gesamte Gewinn der Organgesellschaft abgeführt (und nicht ausgeschüttet wird) und steuerlich keine Dividende gekürzt, sondern das Einkommen zugerechnet (und die Gewinnabführung befreit) wird. Die französische Regelung erlaubt dagegen gerade im Konzern die Kürzung der steuerpflichtigen 5% einer Dividende bei der Muttergesellschaft des steuerlichen Konzerns.

Daher ist zumindest fraglich, ob das vorliegende Urteil Auswirkungen auf die Organschaftsbesteuerung hat. Allerdings hat der EuGH in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass er oft sehr vereinfacht an die Dinge herangeht. Insbesondere in gut geeigneten Fällen (100% Tochtergesellschaft mit Vollausschüttung, ggf. sogar mit vertraglicher/schuldrechtlicher Gewinnabführungsverpflichtung, o.ä.) sollte daher geprüft werden, ob sich ein Rechtsbehelfsverfahren lohnt. Bei Fragen hierzu steht die EU-Competence Group gerne unterstützend bereit.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 02.09.2015, Rs. C-386/14, Groupe Steria

Ihr Ansprechpartner

Dr. Alexander Linn
Director

allinn@deloitte.de
Tel.: +49 (0)89 29036 8558

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