BFH: Kindergeld oder Kinderfreibetrag?
Sachverhalt
Der Kläger bezog im Streitjahr 2000 für zwei Töchter Kindergeld. Er erzielte im Streitjahr einen tarifbegünstigten Veräußerungsgewinn (§ 34 Abs. 1 EStG) bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit. Das Finanzamt setzte bei der Vergleichsrechnung nach § 31 EStG für die zwei Töchter jeweils den Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG an.
Aufgrund einer späteren Erhöhung der Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen erließ das Finanzamt einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2000. Bei der Vergleichsrechnung nach § 31 EStG kam es nunmehr zu dem Ergebnis, dass das gezahlte Kindergeld für den Kläger günstiger sei als die Gewährung von Kinderfreibeträgen. Dabei fasste es die Kinderfreibeträge nicht zusammen, vielmehr führte es die Vergleichsrechnung für die beiden Töchter einzeln durch.
Das FG gab der anschließend erhobenen Klage statt. Sachgerecht sei nur eine Berechnung, bei der das Einkommen um die Kinderfreibeträge für beide Kinder vermindert und die dadurch bewirkte Minderung der Einkommensteuer dem gezahlten Kindergeld gegenübergestellt werde.
Entscheidung
Das FG hat zu Unrecht bei der Vergleichsrechnung nach § 31 EStG die für zwei Kinder des Klägers zu berücksichtigenden Kinderfreibeträge zusammengefasst und keine Einzelberechnung vorgenommen.
Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes - einschließlich des Betreuungsbedarfs – (§ 31 S. 1 EStG) wird entweder durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch das Kindergeld nach dem X. Abschnitt des EStG bewirkt. Die gebotene steuerliche Freistellung wird nicht in vollem Umfang bewirkt, wenn das Kindergeld geringer ist als die Entlastung, die bei Abzug der Kinderfreibeträge eintritt. Die Systematik des Gesetzes erfordert eine Vergleichsrechnung. Der Einkommensteuer, die sich nach Abzug der Freibeträge ergibt, wird die Einkommensteuer gegenübergestellt, die bei einer Steuerfestsetzung ohne Abzug der Freibeträge anfällt. Ist die Differenz geringer als das Kindergeld, so scheidet ein Abzug der Freibeträge aus. Wegen der Progressionswirkung des Steuertarifs kann die Vergleichsrechnung bei mehreren Kindern unterschiedlich ausfallen, wenn sie für jedes einzelne Kind gesondert durchgeführt wird. Die im Regelfall für den Steuerpflichtigen günstige Einzelbetrachtung wird auch von der Finanzverwaltung angestellt.
Aus § 31 Satz 1 EStG und aus § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG ergibt sich, dass die Vergleichsrechnung für jedes Kind einzeln durchzuführen ist, beginnend beim ältesten. Nach § 31 Satz 1 EStG ist ein Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums "eines" Kindes steuerlich freizustellen. Ebenso spricht der Wortlaut des § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG, wonach die Freibeträge "für jedes zu berücksichtigende Kind" des Steuerpflichtigen anzusetzen sind, gegen eine Zusammenfassung mehrerer Kinderfreibeträge. Für ein Wahlrecht dahingehend, die für mehrere Kinder zu gewährenden Freibeträge zusammenzufassen, wenn dies bei Anwendung der sog. Fünftelregelung nach § 34 Abs. 1 EStG günstiger sein sollte, findet sich im Gesetz keine Stütze.
Betroffene Norm
§ 31 S. 4 EStG, § 32 Abs. 6 EStG, § 34 Abs. 1 S. 2 EStG
Streitjahr 2000
Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.04.2007, 3 K 60/07, EFG 2008, S. 625; siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 28.04.2010, III R 86/07, BStBl II 2011, S. 259
Weitere Fundstellen
BMF, Schreiben vom 30.11.1995, IV B 5 –S 2282a- 438/95 II, BStBl I 1995, S. 805