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07.12.2012
Unternehmensteuer

BFH: Gewerbesteuerliche Mindestbesteuerung nicht unbillig bei von Steuerpflichtigem veranlasstem Forderungsverzicht

Die Festsetzung eines Gewerbesteuermessbetrags kann ungeachtet der Mindestbesteuerung (§ 10a S. 1 und 2 GewStG) nicht unbillig sein, wenn der Steuerpflichtige selbst die Ursache für einen ansonsten nicht entstandenen Gewinn gesetzt hat. Ein solcher selbst verursachter Gewinn ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige zur Vermeidung der Insolvenz einen Gläubiger zum Erlass seiner Forderung gedrängt hat.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, erwarb in 2001 ein Grundstück. Sie plante, die aufstehenden Gebäude zu modernisieren und das Objekt anschließend zu verkaufen. Nachdem sich Ende 2003 das Scheitern des Plans abgezeichnet hatte, schloss die Klägerin Anfang 2004 einen Aufhebungsvertrag, durch den der Grundstückskauf mit sofortiger Wirkung rückabgewickelt wurde. Danach verfügte sie nicht mehr über Aktivvermögen. Um die Insolvenz zu vermeiden, bat die Klägerin Gläubiger zum Verzicht auf ihre Forderungen. Dieser Verzicht führte zu einem Gewinn, der wegen der Mindestbesteuerung nicht voll mit Verlusten ausgeglichen werden konnte. Wegen Einstellung der Geschäftstätigkeit konnte es zu einem späteren Ausgleich der gestreckten Verlustvorträge nicht mehr kommen. Das Unternehmen hatte sich schließlich mit der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen abgefunden, aber dann eine Billigkeitsmaßnahme beantragt. Eine solche lehnte das Finanzamt ab. Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein, welcher abgelehnt wurde. Das FG gab der Klage statt.

Entscheidung

Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass das Finanzamt eine Billigkeitsmaßnahme (§§ 163 S. 1, 227 AO) ermessensfehlerhaft verneint habe, weil es nicht hinreichend berücksichtigt habe, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Tätigkeit beendet habe und damit der vortragsfähige Gewerbeverlust endgültig untergehe.

Nach § 163 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuern unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Nach § 227 AO können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 26.05.1994; BFH-Beschluss vom 12.09.2007).

Bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von generalisierenden und typisierenden Normen des Steuerrechts fällt die Möglichkeit des Steuererlasses zur Milderung unbilliger Härten besonders ins Gewicht (BVerfG-Beschluss vom 05.04.1978; BFH-Urteile vom 06.02.1976, vom 23.03.1998 und vom 27.05.2004). Deshalb ist im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung zu berücksichtigen, ob die vom Gesetzgeber gewählte Typisierung gerade deshalb für zulässig erachtet wird, weil im Zusammenhang mit der Anwendung des typisierenden Gesetzes auftretende Härten durch Billigkeitsmaßnahmen beseitigt werden können. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Gesetzgeber Zahl und Intensität der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand nicht ermitteln kann. Die Billigkeitsmaßnahme erweist sich in diesem Zusammenhang als eine flankierende Maßnahme zur Typisierung (vgl. BFH-Urteil vom 20.09.2012). Die Billigkeitsprüfung muss sich je nach Fallgestaltung nicht nur auf allgemeine Rechtsgrundsätze und verfassungsmäßige Wertungen erstrecken; sie verlangt vielmehr eine Gesamtbeurteilung aller Normen, die für die Verwirklichung des in Frage stehenden Steueranspruchs im konkreten Fall maßgeblich sind (BFH-Urteil vom 26.10.1994).

Die Festsetzungen eines Gewerbesteuermessbetrags und der Gewerbesteuer gegenüber der Klägerin sind bereits deshalb nicht unbillig, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten dazu beigetragen hat, dass ein Gewerbeertrag entstanden ist, der nach § 10a S. 1 und 2 GewStG nicht vollständig mit vortragsfähigen Verlusten verrechnet werden konnte. Der positive Gewerbeertrag im streitigen Erhebungszeitraum beruht ausschließlich darauf, dass Gläubiger der Klägerin auf ihre Forderungen gegenüber der Klägerin verzichtet haben. Der Verzicht wurde auf Betreiben der Klägerin erklärt, obwohl die Forderungen angesichts der Mittellosigkeit der Klägerin ohnehin schon wertlos geworden waren. Wäre der Verzicht nicht erklärt worden, hätte die Klägerin künftig keinen Gewinn mehr erzielt. Auch der Ausfall von gegen die Klägerin gerichteten Forderungen in einem Insolvenzverfahren hätte keine Gewinnauswirkung gehabt. Weder für den streitigen Erhebungszeitraum noch für spätere Erhebungszeiträume wären danach Gewerbesteuermessbeträge festzusetzen gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass es ohne Initiative der Klägerin zu dem Forderungsverzicht hätte kommen können, sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat deshalb selbst die Ursache für das Eintreten der Mindestbesteuerung gesetzt, obwohl sie die Besteuerungsfolgen kennen musste. Unter diesem Aspekt kann die Besteuerung nicht als unbillig angesehen werden.

Betroffene Norm
§ 163 S. 1, 227 AO, § 10a S. 1 und 2 GewStG
Streitjahr 2004

Anmerkungen
Mit Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12 (siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH dem BVerfG die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Eintritt eines sog. Definitiveffekts vorgelegt. Für den Fall, dass der Verlustausgleich nicht versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird, geht der BFH weiterhin (vgl. BFH-Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, siehe Deloitte Tax-News) von der (grundsätzlichen) Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung aus.

In einer anderen Entscheidung vom 20.09.2012 (BFH IV R 36/10, siehe Deloitte Tax-News) hatte der BFH noch entschieden, dass die Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten (sog. Mindestbesteuerung) durch Einführung einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 mit dem Grundgesetz vereinbar sei.


Vorinstanz

Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.06.2010, 6 K 6216/06 B, DStRE 2011, S. 182, siehe Deloitte Tax-News

Fundstelle
BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 29/10

Weitere Fundstellen
BVerfG, Beschluss vom 05.04.1978, 1 BvR 117/73, BVerfGE 48, S. 102
BFH, Urteil vom 26.05.1994, IV R 51/93, BStBl II 1994, S. 833
BFH, Beschluss vom 12.09.2007, X B 18/03, BFH/NV 2008, S. 102
BFH, Urteil vom 06.02.1976, III R 24/71, BFHE 118, S. 151
BFH, Urteil vom 23.03.1998, II R 41/96, BStBl II 1998, S. 396
BFH, Urteil vom 27.05.2004, IV R 55/02, BFH/NV 2004, S. 1555
BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 36/10, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 26.10.1994, X R 104/92, BStBl II 1995, S. 297
BFH, Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12, siehe Deloitte Tax-News

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