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09.10.2014
Unternehmensteuer

BFH: Wirtschaftliches Eigentum bei cum/ex-Geschäften

Ein modellhaft aufgelegtes Gesamtvertragskonzept in der Weise, dass Wertpapiererwerbe im untrennbaren Zusammenhang mit Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-)Swapgeschäften sowie einem kurzfristigen Rückverkauf im Rahmen sog. cum/ex-Geschäfte stehen, steht dem Erwerb von wirtschaftlichem Eigentum entgegen. Dies gilt ungeachtet davon, dass die einzelnen Komponenten dieser wirtschaftlich unauflösbaren Gesamtkonzeption - bei isolierter Betrachtung - als solche den Erwerb wirtschaftlichen Eigentums nicht gefährden.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine GmbH, erwarb im Streitjahr 2008 am Tag vor dem Dividendenstichtag (Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses) über eine in London ansässige Brokergesellschaft (A) im außerbörslichen Handel dividendenberechtigte Aktien („cum Dividende“).

Es kam zu folgenden Verträgen über Finanzierungs-, Wertpapierleih- und (Total-Return-)Swapgeschäften mit der Londoner B-Bank: Zur Finanzierung der Aktienerwerbe nahm die GmbH einen Kredit auf. Außerdem überließ die GmbH der B-Bank die Aktien am Dividendenstichtag darlehensweise (Wertpapierleihe). Als Tag der Hingabe der Wertpapiere sowie als Abrechnungstag wurde der jeweilige Tag der Auszahlung der Dividende festgelegt. Wertsteigerungen schuldete die GmbH und Kursverluste hatte die B-Bank auszugleichen (Swap-Geschäfte).

Die B-Bank war zur Zahlung einer Barsicherheit für die Wertpapierleihe und einer Ausgleichszahlung für die Dividenden verpflichtet. Die GmbH hatte 95% der Dividenden(-ausgleichszahlungen) an die B-Bank abzuführen.

Die B-Bank ließ die Aktien durch die C-Bank verwahren, die dafür die D-Bank einschaltete. Die C-Bank erstellte Steuerbescheinigungen für das Depotkonto der B-Bank, die sie an die GmbH adressierte. Nach dem Verkauf der Aktien zahlte die GmbH die Barsicherheiten an die B-Bank zurück und lieferte die von der B-Bank überlassenen Aktien („ex Dividende“) an A aus.

Die GmbH beantragte unter Vorlage entsprechender Steuerbescheinigungen die Anrechnung von Kapitalertragsteuern, Zinsabschlag und Solidaritätszuschlägen, was das Finanzamt mit der Begründung ablehnte, dass die Klägerin weder zivilrechtliche noch wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien gewesen sei. Die Klage vor dem FG Hamburg blieb ohne Erfolg.

Entscheidung

Das FG habe zu Recht entschieden, dass Steuerabzugsbeträge nicht anzurechnen seien.

Für die Anrechnung müssten dem Kläger die Dividenden gem. § 20 Abs. 2a EStG 2002 n.F. i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 1 KStG 2002 zugerechnet werden können. Dafür müssten die Aktien dem Kläger am Dividendenstichtag (Tag des Gewinnverwendungsbeschlusses) gem. § 39 AO als (zivilrechtlichem) Eigentümer (§ 39 Abs. 1 AO) oder wirtschaftlichem Eigentümer (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) zugerechnet werden können. Wirtschaftliches Eigentum liege vor, wenn ein anderer als der (zivilrechtliche) Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübe, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne.

Alternativ käme eine Anrechnung bei Vereinnahmung sonstiger Bezüge aus Aktien gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 i.V.m. S. 4 EStG 2002 n.F. in Betracht. Dieser zur Regelung von sog. Leerverkäufen geschaffene Einkünftetatbestand erfasse Einnahmen, die den Bezug einer Gewinnausschüttung wirtschaftlich ersetzen (Ausgleichszahlung des Verkäufers anstelle der Dividende).

Zwar könne die Klägerin diesen Einkünftetatbestand grundsätzlich durch den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an den Aktien vor dem Ausschüttungsbeschluss im Zeitpunkt des jeweiligen schuldrechtlichen Anschaffungsgeschäfts im Zusammenhang mit den sog. cum/ex-Geschäften erfüllen (vgl. z.B. BFH-Urteil v. 01.08.2012) und zwar auch in der streitgegenständlichen Situation des außerbörslichen Handels. Allerdings stehe das vorliegend gewählte modellhaft aufgelegte Gesamtvertragskonzept der Annahme des wirtschaftlichen Eigentums der GmbH entgegen.

Zwar seien weder die Fremdfinanzierung mittels der B-Bank, noch die kurze Zeit später erfolgte Rückveräußerung der Aktien „ex dividende“ an A (nach Beendigung der Wertpapierleihe mit der B-Bank) isoliert betrachtet ein Grund, wirtschaftliches Eigentum der GmbH an den Aktien abzulehnen. Gleichwohl stünden diese Vorgänge in ihrer Gesamtheit der Annahme wirtschaftlichen Eigentums entgegen.

Die B-Bank sei durch die Wertpapierleihe, die ihrem Inhalt nach ein Sachdarlehen sei, zivilrechtliche Eigentümerin der Aktien geworden. Allerdings könne das wirtschaftliche Eigentum schon vor dem Zeitpunkt des Erwerbs des zivilrechtlichen Eigentums (Zeitpunkt der Depotumbuchung) auf den Entleiher (hier: B-Bank) übergehen. Dabei komme es auf das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen an (vgl. BFH-Urteil v. 05.10.2011).

Bereits vor dem Abschluss des ersten schuldrechtlichen Geschäfts sei eine Rahmenvereinbarung getroffen worden: B trage als finanzierende Bank die Kursrisiken und die Kurschancen der Aktien, enthalte den wesentlichen Teil (95 %) der Dividende und hindere die GmbH mittels Leihvereinbarung an einer anderweitigen Verfügung über die Aktien. Auch sei eine irgendwie geartete Nutzung sonstiger mit dem Aktienbesitz verbundener (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte durch die GmbH nicht vorgesehen gewesen. Somit sei die B-Bank und nicht die Klägerin bereits vor dem Übergang des zivilrechtlichen Eigentums wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien gewesen. Die Klägerin erziele somit aus den Aktien keine Kapitaleinkünfte und die begehrte Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen komme daher nicht in Betracht.

Betroffene Normen

§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO
Streitjahr 2008

Anmerkungen

Das Urteil betrifft die Rechtslage vor dem 01.01.2012. Mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz vom 22.06.2011 hat der Gesetzgeber Änderungen bei den §§ 43 ff. EStG vorgenommen, um Missbräuche zu vermeiden.

Mangels Entscheidungserheblichkeit hat der BFH die in der Literatur umstrittene Frage, ob im Zusammenhang mit den sog. cum/ex-Geschäften ein Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO vorliegt, offen gelassen.

Vorinstanz

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 24.11.2011, 6 K 22/10

Fundstelle

BFH, Urteil vom 16.04.2014, I R 2/12
Pressemittelung Nr. 30 vom 17.04.2014 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 01.08.2012, IX R 6/11, nicht amtlich veröffentlicht, siehe Deloitte Tax-News 
BFH, Urteil vom 05.10.2011, IX R 57/10, BStBl II 2012 S. 318, siehe Deloitte Tax-News

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