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19.04.2012
Unternehmensteuer

FG Hamburg: Gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Zins-, Miet- und Pachtaufwendungen verfassungswidrig?

Mit Beschluss vom 15.02.2016 hat das BVerfG die Vorlage des FG Hamburg vom 29.02.2012 zur möglichen Verfassungswidrigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung von Entgelten für Schulden sowie Miet- und Pachtzinsen als unzulässig abgewiesen.
BVerfG, Beschluss vom 15.02.2016, 1 BvL 8/12, siehe Deloitte Tax-News
                                                                                                                              

BVerfG-Vorlage des FG Hamburg:
Dem BVerfG wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Zinsen, Mieten und Pachten i.d.F. UntStRefG 2008 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist. Das Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip sei verletzt, wenn betrieblich veranlasste Aufwendungen nicht von den erzielten Erträgen abgezogen werden könnten. Die Nichtabzugsfähigkeit der GewSt wird dagegen als verfassungsgemäß angesehen.

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt eine Tankstelle (GmbH), für deren Betrieb sie im Streitjahr 2008 wesentliche Wirtschaftsgüter pachtete. Im Rahmen der Ermittlung des körperschaftsteuerlichen Einkommens rechnete sie die Gewerbesteuer als nicht abziehbare Betriebsausgabe dem Einkommen hinzu (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5b EStG). Dieser Ausgangsgröße rechnete sie im Rahmen der Ermittlung des Gewerbeertrags Zins-, Miet- und Pachtaufwendungen (§ 8 Nr. 1 Buchst. a, d und e GewStG) hinzu. Die Klägerin hält sowohl die Hinzurechnung der GewSt als nicht abziehbare Betriebsausgabe (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5b EStG) als auch die Hinzurechnungstatbestände für Zinsen, Mieten und Pachten für verfassungswidrig und macht dies im Rahmen ihrer Klage geltend.

Entscheidung

Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Zins-, Miet- und Pachtaufwendungen verfassungsgemäß ist.

Hinsichtlich der Hinzurechnung der Gewerbesteuer als nicht abziehbare Betriebsausgabe sieht das FG Hamburg keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Finanzamt habe die Gewerbesteuer in Einklang mit § 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 4 Abs. 5b EStG i.d.F UntStRefG 2008 zutreffend nicht berücksichtigt. Die Vorschrift des § 4 Abs. 5b EStG wurde durch das UntStRefG 2008 in das Gesetz eingefügt mit Wirkung für Erhebungszeiträume mit Beginn nach dem 31.12.2007. Die Gewerbesteuer ist eine Betriebsausgabe, die grundsätzlich aufgrund des objektiven Nettoprinzips abziehbar ist. Der Gesetzgeber kann das objektive Nettoprinzip durchbrechen. Das BVerfG hat außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse anerkannt (BVerfG-Urteil vom 09.12.2008). Bei der Erschließung von Steuerquellen können sachgerechte Erwägungen auch finanzpolitischer oder steuertechnischer Natur sein. Die vom Gesetzgeber zur Einführung des § 4 Abs. 5b EStG angeführte Steuerbelastungstransparenz kann ein hinreichender sachlicher Grund der Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips sein.

Hinsichtlich der streitigen Hinzurechnungstatbestände für Schuld-, Miet- und Pachtzinsen ist der Senat überzeugt, dass diese mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar seien. Zwar hat das FA die Aufwendungen für Schuld-, Miet- und Pachtzinsen im Gewerbesteuer-Messbescheid entsprechend den gesetzlichen Regelungen (§ 8 Nr. 1 Buchst. a, d, e GewStG) zutreffend hinzugerechnet. Entscheidungserheblich ist jedoch die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift i.d.F. UntStRefG 2008.

Die bis dahin geltenden gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschriften sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 13.05.1969). Auch der BFH hat die Verfassungsmäßigkeit der früheren Hinzurechnungsvorschriften bejaht (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 04.05.1965 und vom 30.03.1994; BFH-Beschluss vom 15.07.2005).

Der Senat hält die Hinzurechnungsvorschriften i.d.F. UntStRefG 2008 für nicht verfassungsgemäß. Unter Zugrundelegung des Ist-Leistungsfähigkeitsprinzips verstoßen die sie gegen das Gebot der Folgerichtigkeit. Das Ist-Leistungsfähigkeitsprinzip werde folgerichtig durch das objektive Nettoprinzip ausgestaltet. Die Hinzurechnungsvorschriften für Schuld-, Miet- und Pachtzinsen verletzten das objektive Nettoprinzip. Sie führten dazu, dass objektiv durch den Gewerbebetrieb veranlasste Aufwendungen nicht von den erzielten Erträgen abgezogen werden können. Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Solche Gründe liegen nach Auffassung des Senats nicht vor. Die bisher angenommenen Rechtfertigungsgründe (Objektsteuercharakter, Äquivalenzprinzip, Gleichstellung des Fremdkapitaleinsatzes mit dem Eigenkapitaleinsatz) und die erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen sowie sonstige mögliche Gründe genügten nicht, um die nicht folgerichtige Umsetzung des Ist-Leistungsfähigkeitsprinzips zu rechtfertigen.

Betroffene Norm

§ 8 Nr. 1 Buchst. a, d, e GewStG 2008
Streitjahr 2008

Anmerkungen

BFH-Urteil vom 06.06.2014: Hinzurechnungen verfassungsgemäß
In einem anderen Verfahren hatte der BFH mit Urteil vom 04.06.2014 (I R 70/12) der Entscheidung des BVerfG vorgegriffen und festgestellt, dass die gewerbesteuerliche Hinzurechnung von Miet- und Pachtzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG) verfassungsgemäß sei. Auch die Mieten und Pachten für weitervermietete oder verpachtete Immobilien seien dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen. Ein Erlass der Gewerbesteuer aus Billigkeitsgründen komme hier grundsätzlich nicht in Betracht (BFH-Urteil vom 04.06.2014, I R 21/13).

FG Hamburg vom 29.02.2012: Nichtabziehbarkeit der GewSt von der BMG bei der KSt
In einem weiteren Verfahren (Urteil vom 29.02.2012, 1 K 48/12) sieht das FG Hamburg die Nichtabziehbarkeit der Gewerbesteuer von der Bemessungsgrundlage bei der Körperschaftsteuer als verfassungsgemäß an. Mit Urteil vom 16.01.2014, I R 21/12 (siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH diese Auffassung des FG Hamburg nun bestätigt. Zudem bekräftigt der BFH in diesem Urteil seine Auffassung aus dem Beschluss vom 16.10.2012, I B 128/12 (siehe Deloitte Tax-News), nach dem die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen gem. § 8 Nr. 1 GewStG verfassungsgemäß sind.

 

Fundstelle

BVerfG, Beschluss vom 15.02.2016, 1 BvL 8/12, siehe Deloitte Tax-News
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 29.02.2012, 1 K 138/10
Pressemitteilung vom 12.03.2012

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 16.01.2014, I R 21/12, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 16.10.2012, I B 128/12, siehe Deloitte Tax-News
Unternehmensteuerreformgesetz (UntStRefG) 2008 vom 14.08.2007, BGBl I 2007, S. 1912
BVerfG, Urteil vom 09.12.2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, S. 210, 231
BVerfG, Beschluss vom 13.05.1969, 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, S. 1
BFH, Urteil vom 04.05.1965, I 373/62 U, BStBl III 1965, S. 424
BFH, Urteil vom 30.03.1994, I R 123/93, BStBl II 1994, S. 810
BFH, Beschluss vom 15.07.2005, I R 21/04, BStBl II 2005, S. 716

Englische Zusammenfassung

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