Zurück zur Übersicht
15.10.2012
Unternehmensteuer

BFH: Inlandsbezug der § 6b-Rücklage verstößt gegen Gemeinschaftsrecht - ordnungsgemäße Revisionsbegründung

Der BFH hat die Revision verworfen, da sie nicht den notwendigen Begründungserfordernissen entspricht. Auch eine vom FG zugelassene Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen (§ 120 Abs. 2 und 3 FGO). Zur ordnungsgemäßen Revisionsbegründung bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils, aus der zu erkennen ist, dass der Revisionskläger die Begründung dieses Urteils und sein eigenes Vorbringen überprüft hat. Die vom Finanzamt in dessen ursprünglicher Revisionsbegründungsschrift innerhalb der Begründungsfrist vorgelegten Ausführungen entsprechen diesen Anforderungen nicht.
BFH, Beschluss vom 20.08.2012, I R 3/12
---------------------------------------

Entscheidung des Finanzgerichtes

Eine § 6b-Rücklage ist nach dem Gesetzeswortlaut auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen, das zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört. Dieser Inlandsbezug verstößt gegen Gemeinschaftsrecht. Die Vorschrift ist so auszulegen, dass lediglich eine Zugehörigkeit des Reinvestitionsguts zum Anlagevermögen einer im Gemeinschaftsgebiet belegenen Betriebsstätte gefordert werden kann.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz und Geschäftsleitung in den Niederlanden. Sie übt ihren Geschäftsbetrieb ausschließlich in deutschen Betriebsstätten aus. Im Jahr 2006 erzielte die Klägerin aus der Veräußerung eines in Deutschland gelegenen Grundstücks einen Veräußerungsgewinn, den sie in der Bilanz zum 31.12.2006 in eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage einstellte (§ 6b Abs. 3 S. 1 EStG). Im Jahr 2008 erwarb sie ein in den Niederlanden gelegenes unbebautes Grundstück, das der niederländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zugeordnet wurde. Im Jahresabschluss zum 31.12.2008 erfasste die Klägerin das niederländische Grundstück als Zugang im Anlagevermögen bei den Betriebsgrundstücken und löste in derselben Höhe die § 6b-Rücklage auf, indem sie von den Anschaffungskosten des niederländischen Grundstücks einen entsprechenden Betrag abzog. Das Finanzamt vertrat die Ansicht, dass ein Abzug nicht in Betracht komme, da das Grundstück nicht zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehöre. Dementsprechend erkannte das Finanzamt die Übertragung der stillen Reserven nicht an und erhöhte zusätzlich den Gewinn der Klägerin um einen Zuschlag für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat. Der Einspruch blieb erfolglos.

Entscheidung

Die Klägerin war berechtigt, die in der deutschen Betriebsstätte gebildete § 6b-Rücklage auf ein in den Niederlanden gelegenes Grundstück zu übertragen und den nämlichen Betrag von den Anschaffungskosten des niederländischen Grundstücks abzuziehen. Die Voraussetzungen eines Zuschlags nach § 6b Abs. 7 EStG liegen nicht vor.

Die Klägerin ist mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig, da sie im Inland Betriebsstätten unterhält. Steuerpflichtige können bei der Veräußerung von Grund und Boden im Wirtschaftsjahr der Veräußerung grundsätzlich eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden und bis zur Höhe dieser Rücklage einen Betrag von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten von in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften Grund und Boden unter der Voraussetzung abziehen, dass der angeschaffte Grund und Boden zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG) und der bei der Veräußerung entstandene Gewinn bei der Ermittlung des im Inland steuerpflichtigen Gewinns nicht außer Ansatz bleibt (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 4 EStG). Das in den Niederlanden gelegene Grundstück gehört nicht zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte der Klägerin, sodass die Klage aufgrund des Inlandsbezugs unter Betrachtung lediglich des nationalen Rechts keinen Erfolg gehabt hätte.

Allerdings beschränkt der Inlandsbezug die freie Wahl der Niederlassung. Unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts erfordert das Reinvestitionsgut keine Zugehörigkeit zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte, sondern zu einer Betriebsstätte im Gemeinschaftsgebiet. Je nachdem, ob das Reinvestitionsgut zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte oder zum Anlagenvermögen einer ausländischen Betriebsstätte zählt, wäre die Möglichkeit der gestundeten Besteuerung gegeben (§ 6b Abs. 3 S. 2 EStG) oder es käme zur sofortigen Besteuerung nach Ablauf der Investitionsfrist (§ 6b Abs. 3 S. 5 EStG). Dies führt zu einer Ungleichbehandlung von Betriebsstätten im Inland und im übrigen Gemeinschaftsgebiet und könnte Gesellschaften zum Verzicht auf eine Investition in Betriebsstätten im übrigen Gemeinschaftsgebiet bewegen. Jedenfalls macht es eine Investition in Betriebsstätten im übrigen Gemeinschaftsgebiet weniger attraktiv als eine Investition im Inland.

Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Der erkennende Senat kann keine zwingende Gründe des Allgemeininteresses für die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit feststellen. Das Besteuerungsrecht für die durch die Veräußerung des Grundstücks in Deutschland aufgedeckten stillen Reserven verbleibt bei der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des DBA Niederlande. Aufgrund des Belegenheitsprinzips steht zwar das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus der Veräußerung des niederländischen Grundstücks dem Königreich Niederlande zu. Bei der Ermittlung dieser Einkünfte sind aber die stillen Reserven i.S. des § 6b EStG nicht mit einzubeziehen, da sie Einkünfte aus der Veräußerung eines Grundstücks in Deutschland sind, die in Deutschland entstanden sind. § 6b EStG verhindert nicht die Versteuerung der aufgedeckten stillen Reserven, sondern verschiebt lediglich die Besteuerung auf den Zeitpunkt der Veräußerung des Reinvestitionswirtschaftsguts. Übertragen auf den Streitfall bedeutet dies, dass im Zeitpunkt der Veräußerung des niederländischen Grundstücks die bereits im Jahr 2006 aus der Veräußerung des inländischen Grundstücks aufgedeckten stillen Reserven der deutschen Besteuerung zu unterwerfen sind.

Diese Auffassung entspricht zudem der neuesten Rechtsprechung des BFH. Der BFH hat unter Aufgabe der Theorie der finalen Entnahme im Rahmen der Überführung eines Einzelwirtschaftsguts (BFH-Urteil vom 17.07.2008) und zur Frage der Sofortbesteuerung stiller Reserven bei der Betriebsverlegung ins Ausland (BFH-Urteil vom 28.10.2009) entschieden, dass soweit der künftige Gewinn aus der Realisierung der vor der Überführung bzw. Betriebsverlegung entstandenen stillen Reserven einer vormaligen, in Deutschland belegenen festen Einrichtung zugerechnet werden kann, das Besteuerungsrecht abkommensrechtlich weiterhin der Bundesrepublik Deutschland zustehe. Dieser Zuordnung stehe im Übrigen auch nicht entgegen, dass die feste Einrichtung, in der die stillen Reserven erwirtschaftet worden sind, zum Zeitpunkt der Realisierung eventuell nicht mehr bestehe (BFH-Urteil vom 28.10.2009).

Nicht zu verkennen ist das praktische Problem, dass es im Falle eines Reinvestitionsguts im Ausland für die Verwaltung häufig schwierig sein wird, das weitere Schicksal des Reinvestitionsguts zu beobachten und künftige Realisierungsvorgänge im Hinblick auf die gestundete Besteuerung der stillen Reserven zu erkennen und zu erfassen. Insoweit verweist die Klägerin aber zu Recht auf die besonderen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO und die Möglichkeiten der gegenseitigen Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern. Bilanztechnisch müsste die 6b-Rücklage, wenn man eine Aktivierung des ausländischen Wirtschaftsguts im "inländischen" Anlagevermögen nicht anerkennen wollte, in der Bilanz verbleiben und im Zeitpunkt der Veräußerung des ausländischen Wirtschaftsguts gewinnerhöhend aufgelöst werden.

Betroffene Norm

§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG
Streitjahr 2008

Fundstelle

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 01.12.2011, 6 K 435/09, DB 2012, DB0466338

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 17.07.2008, I R 77/08, BStBl II 2009, S. 464
BFH, Urteil vom 28.10.2009, I R 99/08, BFH/NV 2010, S. 346, siehe Deloitte Tax-News

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.