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23.06.2022
Verfahrensrecht

FG Düsseldorf: Gestaltungsmissbrauch bei einem „Cash-Circle“

Leistet eine Alleingesellschafterin einer Kapitalgesellschaft eine Einlage in deren Kapitalrücklage mit dem alleinigen Zweck, mit den eingelegten Mitteln die ihr gegenüber bestehenden Verbindlichkeiten zu bedienen, und werden die Einlage und die Rückzahlungen der Verbindlichkeiten nur buchhalterisch in einem konzerninternen Verrechnungssystem abgebildet, liegt ein Gestaltungsmissbrauch vor, als dessen Folge die Gestaltung wie ein Forderungsverzicht der Alleingesellschafterin zu behandeln ist.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine nach dem Recht Panamas gegründete Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer S.A. mit Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Alleingesellschafterin der S.A. war die B-AG. Die S.A. unterhielt im Streitjahr 2011 keinen aktiven Geschäftsbetrieb mehr.

Gegenüber der Alleingesellschafterin bestand eine Verbindlichkeit. Da die S.A. Liquidität zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Alleingesellschafterin benötigte, leistete die Alleingesellschafterin eine Einlage in die Kapitalrücklage. Daraufhin wurde eine Gutschrift in die Kapitalrücklage erfasst und zugleich die Darlehensverbindlichkeit ausgebucht. Ein tatsächlicher Geldfluss erfolgte nicht.

Das Finanzamt behandelte den Vorgang als einen im Gesellschaftsverhältnis veranlassten Forderungsverzicht, d.h. im Umfang des werthaltigen Teils der Forderungen lag eine verdeckte Einlage vor und im verbleibenden Umfang, soweit die Forderungen als wertlos erachtet wurden, führte der Vorgang zu einem steuerpflichtigen Gewinn.

Entscheidung

Das FG kommt übereinstimmend mit der Auffassung des Finanzamts zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Einlage in die Kapitalrücklage der S.A. und der anschließenden Tilgung des Gesellschafterdarlehens um einen Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 Abs. 2 AO handelt und bei der S.A. wie ein Forderungsverzicht der Alleingesellschafterin zu behandeln ist.

Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten

Gemäß § 42 Abs. 2 AO liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt, es sei denn, dass für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Durch die lediglich buchhalterisch vollzogene Einlage in die Kapitalrücklage und die unmittelbar folgende, ebenfalls nur buchhalterisch vollzogene Tilgung liegt nach dem FG hier ein Missbrauch i.S.d. § 42 Abs. 2 AO vor. Diese Vorgehensweise diene lediglich der Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Rechtsfolge eines Forderungsverzichts und stelle sich als eine unangemessene Gestaltung mit dem alleinigen Ziel der Steuerminderung dar, die nicht durch außersteuerliche Gründe gerechtfertigt sei.

Unangemessenheit der gewählten Vorgehensweise

Zur Erreichung des angestrebten wirtschaftlichen Ziels der S.A., nämlich sie von ihrer Überschuldung zu befreien, war nach Auffassung des FG die Vorgehensweise auch unangemessen. Die Vorgehensweise diente einzig der Vermeidung der Besteuerungsfolgen bei der S.A., die bei einer angemessenen Gestaltung (hier: einem Forderungsverzicht der Alleingesellschafterin) eingetreten wären.

Die Unangemessenheit der Gestaltung zeigt sich zudem dadurch, dass keine wirtschaftlichen Veränderungen bei der S.A. und der Alleingesellschafterin eingetreten sind. Es handelt sich vielmehr um wirtschaftlich gegenläufige und in ersichtlich zeitlicher Nähe erfolgte Vorgänge, die die wirtschaftliche Position der Beteiligten nicht verändern und die ein zentrales Indiz für eine unangemessene Gestaltung darstellen, weil sie sich in ihrer Wirkung neutralisieren (vgl. BFH-Urteile vom 17.12.2003 IX R 56/03 und vom 29.08.2007 IX R 17/07; FG Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2012 2 K 13510/10).

Keine Einschränkung der Finanzierungsfreiheit

Der Gestaltungsmissbrauch liegt im Streitfall nach dem FG nicht in der Bereitstellung von Eigenkapital statt Fremdkapital, sondern ergibt sich zusammen mit der anschließenden Darlehensrückgewähr mittels der unmittelbar zuvor gewährten Einlagemittel und der Abwicklung sämtlicher Teilschritte nur als zeitlich kurz hintereinander vorgenommene Buchungsvorgänge. Erst in dieser Gesamtschau werde die gesetzlich vorgesehene Folge beim Wegfall einer Darlehensverbindlichkeit durch Verzicht eines Gläubigers umgangen und der Gestaltungsmissbrauch offenbar. Folglich stehe auch das Urteil des FG München vom 27.10.2009 (6 K 3941/06) nicht im Widerspruch zu der Beurteilung des vorliegenden Streitfalls. Die S.A. könne sich auch deshalb nicht auf den Grundsatz der Finanzierungsfreiheit berufen, weil es von vornherein nicht beabsichtigt war, die S.A. zu finanzieren, da die geleisteten Mittel von vornehinein unmittelbar an die Alleingesellschafterin zurückfließen und nicht bei der S.A. verbleiben sollten.

Das FG grenzt den vorliegenden Streitfall auch noch von der Entscheidung des BFH vom 20.07.2018 (IX R 5/15) ab. Der damaligen Entscheidung lag ein in wesentlichen Punkten von dem Streitfall abweichenden Sachverhalt zu Grunde, insbesondere flossen im vom BFH entschiedenen Fall tatsächliche Geldmittel und es trat eine wirtschaftliche Belastung der Gesellschafter ein.

Kein steuerfreier Sanierungsertrag nach § 3a Abs. 1 EStG

Es handelt sich bei der Betriebsvermögensmehrung bei der S.A. nach dem FG auch nicht um einen nach § 3a Abs. 1 EStG steuerfreien Sanierungsertrag, da die Vorschrift erst mit Wirkung für den VZ 2017 in Kraft getreten ist und eine unternehmensbezogene Sanierung weiterhin voraussetzt, dass sie zum Zwecke der Fortführung des Gesamtbetriebs erfolgt, was hier nicht beabsichtigt war.

Betroffene Normen

§ 42 Abs. 2 AO, § 3a Abs. 1 EStG

Streitjahr 2011

Anmerkungen

Die o.g. Entscheidung betrifft einen sog. „Cash-Circle“, bei dem Eigenkapitalmittel durch einen Gesellschafter an die Gesellschaft hingegeben werden und anschließend bestehende Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter getilgt werden. Ein wesentlicher Unterschied zu herkömmlichen „Cash-Circle“-Sachverhalten war im o.g. Streitfall allerdings, dass tatsächlich kein „Cash“ floss. Der BFH hat nun Gelegenheit zu diesem Thema Stellung zu nehmen und somit relevante Hinweise für die Gestaltungsberatung zu liefern.

Fundstelle

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 22.12.2021, 7 K 101/18 K, G, F, BFH-anhängig: I R 11/22 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 07.12.2010, IX R 40/09, BStBl II 2011, S. 427

BFH, Urteil vom 29.05.2008, IX R 77/06, BStBl II 2008, S. 789

BFH, Urteil vom 29.08.2007 IX R 17/07, BStBl II 2008, S. 502

BFH, Urteil vom 17.12.2003, IX R 56/03, BStBl II 2004, S. 648

BFH, Urteil vom 20.07.2018, IX R 5/15, BStBl. II 2019, S. 194, siehe Deloitte Tax News 

Finanzgericht Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2012, 2 K 13510/10, GmbHR 2013, S. 613, siehe Deloitte Tax-News

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