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08.07.2011
Verfahrensrecht

FG Hamburg: Zulässigkeit einer öffentlichen Zustellung

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein gegen den Kläger gerichteter Haftungsbescheid öffentlich zugestellt werden durfte. Der Kläger war in der Zeit vom 07.10.2005 bis zum 24.10.2006 als Vorstand der B AG tätig und lebt seit 2006 in A (Monaco). Wegen offener Steuerschulden der B AG sandte das Finanzamt am 03.06.2008 an den Kläger ein Schreiben mit dem Hinweis auf eine mögliche Haftung des Klägers. Das Schreiben wurde nach einer telefonischen Adressmitteilung des Registergerichts als internationales Einschreiben mit Rückschein versandt, konnte aber nicht zugestellt werden und ging am 12.06.2008 wieder beim Finanzamt ein. Daraufhin stellte das Finanzamt eine schriftliche Anfrage an das Registergericht und bat die Stadtverwaltung F um Mitteilung des letzten bekannten Aufenthaltsortes des Klägers. Schließlich gab die Deutsche Post AG an, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift nicht mehr wohne und dass eine neue Anschrift leider nicht bekannt sei.

Daraufhin erließ das Finanzamt am 28.08.2008 einen Haftungsbescheid gegen den Kläger, der öffentlich zugestellt wurde. Am 19.12.2008 ging beim Finanzamt ein Schreiben des Klägers ein, mit dem dieser "Widerspruch" mit der Begründung einlegte, dass ihm "Ursprung, Art und Grund" der Forderung des Finanzamtes völlig unbekannt seien. Mit Schreiben vom 28.01.2009 übersandte das Finanzamt dem Kläger Kopien des Haftungsbescheides und teilte ihm mit, dass es sich bei den Haftungsbeträgen um Rückstände der B AG handele. Der Bevollmächtigte des Klägers legte daraufhin am 03.02.2009 erneut Einspruch gegen den Haftungsbescheid ein. Zur Begründung machte er im Wesentlichen geltend, dass der Haftungsbescheid erst am 28.01.2009 ordnungsgemäß in A zugestellt worden sei. Der Einspruch vom 03.02.2009 sei damit rechtzeitig eingelegt worden. Die öffentliche Zustellung hätte nicht erfolgen dürfen und sei unzulässig. Das Finanzamt wertete den Einspruch als verspätet.

Entscheidung

Das Finanzamt ist seiner Verpflichtung, im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung den Aufenthaltsort des Klägers mit allen zumutbaren und geeigneten Maßnahmen zu ermitteln, nicht nachgekommen. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntgabe unter anderem dann erfolgen, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist (Nr. 1) oder die Zustellung im Ausland erfolgen müsste, aber unmöglich ist oder keinen Erfolg verspricht (Nr. 3). Das Tatbestandsmerkmal "unbekannt" in § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VwZG muss im Sinne von "allgemein unbekannt" verstanden werden; es genügt nicht, dass der Aufenthaltsort des Zustellungsempfängers der betreffenden Behörde nicht bekannt ist (so BFH-Urteil vom 09.12.2009). Der Behörde obliegt damit eine Erkundigungspflicht mit der Folge, dass der Aufenthaltsort nur dann unbekannt ist, wenn er trotz Ausschöpfung aller der betreffenden Stelle zuzumutenden Erkenntnismittel nicht festgestellt werden kann. Die öffentliche Zustellung ist erst als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (so ausdrücklich der BFH im Urteil vom 09.12.2009).

Auch in Auslandsfällen hat das Finanzamt alle geeignet erscheinenden, rechtlich zulässigen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten des grenzüberschreitenden Informationsaustausches auszuschöpfen. Es muss insbesondere klären, ob ein solcher Informationsaustausch mit den Behörden des vermuteten Aufenthaltsstaates möglich ist und an diese ein Auskunftsersuchen richten, um die dortige Anschrift des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung im Wege des grenzüberschreitenden Informationsaustauschs entweder nicht möglich oder ein konkretes Auskunftsersuchen fehlgeschlagen ist, darf das Finanzamt demnach zur öffentlichen Zustellung übergehen (so BFH-Urteil vom 09.12.2009). Dementsprechend führt das BMF (Schreiben vom 25.01.2006) aus, dass ausländische Finanzbehörden auch dann um Auskunft ersucht werden können, wenn das betreffende Land weder in den Anwendungsbereich der EG-Amtshilfe-Richtlinie fällt noch mit ihm ein Auskunftsaustausch in einem Doppelbesteuerungsabkommen oder einem Amts- und Rechtshilfevertrag vereinbart worden ist. Doch beschränkt das BMF die Aufnahme eines Auskunftsaustausches hier auf "Fälle mit besonderer Bedeutung".

Unter Anwendung dieser Grundsätze gelangt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, dass im Streitfall die öffentliche Zustellung unwirksam ist. Der Beklagte hat nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten zur Feststellung des Aufenthaltsortes des Klägers ausgeschöpft. Zwar ist es zutreffend, dass zwischen der Bundesrepublik Deutschland und A ein bilaterales Amtshilfeabkommen nicht bestand und dass ein auf dieser Grundlage vorzunehmender Zustellungsversuch ausschied. Dies durfte der Beklagte aber nicht zum Anlass nehmen, jeden Versuch der Zustellung oder der Ermittlung der aktuellen Anschrift des Klägers über die Behörden oder über die konsularische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland von vornherein zu unterlassen. Auch die Möglichkeit der Einholung einer Spontanauskunft wurde von dem Beklagten - unstreitig - gar nicht erst geprüft.

Der Haftungsbescheid ist somit erst durch die Übersendung der Bescheidkopien an den Kläger mit Schreiben vom 28.01.2009 bekanntgegeben worden. Der Kläger hat hiergegen fristgerecht Einspruch erhoben. Die Revision war nicht zuzulassen, da die grundsätzliche Frage nach dem Umfang der Ermittlungspflichten des Finanzamts vor einer öffentlichen Zustellung durch das Urteil des BFH vom 09.12.2009 geklärt ist.

Betroffene Norm

§ 10 Abs. 1 VwZG
Streitjahr 2009

Anmerkungen

Bei einer öffentlichen Zustellung ist die öffentliche Zustellung und der Inhalt des Schriftstücks dem Empfänger formlos mitzuteilen, soweit seine Anschrift bekannt ist und Postverbindung besteht. Die formlose Mitteilung ist jedoch nicht als Voraussetzung der wirksamen Bekanntgabe anzusehen. Der Verzicht auf eine formlose Mitteilung kann aber im Falle des unverschuldeten Versäumens der Einspruchsfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) rechtfertigen (so BFH-Urteil vom 12.01.2011).

Fundstelle

Finanzgericht Hamburg, 6 K 215/09, 11.04.2011, Revision nicht zugelassen

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 09.12.2009, X R 54/06, BStBl II 2010, S. 732
BMF, Schreiben vom 25.01.2006, IV B 1-S 1320-11/06, BStBl I 2006, S. 26
BFH, Urteil vom 12.01.2011, I R 37/10, nicht amtlich veröffentlicht, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

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