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05.07.2011
Verfahrensrecht

FG Rheinland-Pfalz: Keine Änderung bestandskräftiger Bescheide aufgrund EuGH-Rechtsprechung

Sachverhalt

Die Kläger beantragten im Oktober 2007, ihre bestandskräftigen Einkommensteuererbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 dahingehend zu ändern, dass die geleisteten Schulgeldzahlungen für den Besuch einer Privatschule in Großbritannien durch ihren Sohn als Sonderausgaben berücksichtigt werden. Nach dem EuGH-Urteil vom 11.09.2007 verstoße es gegen Gemeinschaftsrecht, wenn Schulgeldzahlungen beim Besuch ausländischer Privatschulen nicht als Sonderausgaben berücksichtigt würden. Das Finanzamt lehnte die begehrte Änderung ab.

Entscheidung

Das Finanzamt hat es zu Recht abgelehnt, geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1992 bis 1999 zu erlassen.

Die Beschränkung des Sonderausgabenabzugs auf Schulgeldzahlungen an inländische Schulen verstößt gegen EU-Recht (EuGH-Urteil vom 11.09.2007) mit der Folge, dass § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG in der für die Streitjahre geltenden Fassung dahingehend gemeinschaftsrechtskonform auszulegen ist, dass auch Zahlungen an Schulen im übrigen Gemeinschaftsgebiet als Sonderausgaben abzugsfähig sind.

Eine Verwaltungsbehörde ist grundsätzlich nicht verpflichtet, eine bestandskräftige Entscheidung zurückzunehmen (EuGH-Urteile vom 13.01.2004, 13.03.2007 und 17.02.2008). Damit soll verhindert werden, dass Verwaltungsakte unbegrenzte Zeit in Frage gestellt werden können. Eine Verwaltungsbehörde ist nur bei „besonderen Umständen" (vgl. EuGH, Urteil vom 17.02.2008) zur Überprüfung und gegebenenfalls Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts verpflichtet. Eine solche Pflicht besteht, wenn die Behörde nach nationalem Recht befugt ist, ihre Entscheidung zurückzunehmen. Zudem muss die Verwaltungsentscheidung infolge eines Urteils letzter Instanz bestandskräftig geworden sein („Ausschöpfung des Rechtswegs"). Darüber hinaus ist erforderlich, dass das Urteil auf einer unrichtigen Auslegung des Gemeinschaftsrechts beruht, weil sich das Gericht nicht an den EuGH gewandt hat. Schließlich muss der Antrag auf Aufhebung oder Änderung der bestandskräftigen Entscheidung unmittelbar nach Kenntnis der Entscheidung des EuGH gestellt worden sein, wobei es Sache der Mitgliedstaaten ist, diese Frist näher zu konkretisieren. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht änderbar ist, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage vorsieht (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 23.11.2006).

Das deutsche Recht kennt keine Vorschrift zur Korrektur bestandskräftig gewordener Steuerbescheide wegen späterer Änderungen bzw. Präzisierungen der Rechtsprechung. Die Festsetzungsfrist ist abgelaufen (§§ 169 Abs. 2 Nr. 2, 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) und Hemmungsgründe im Sinne des § 171 AO sind nicht ersichtlich. Auch entspricht es ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich frei sind, das Besteuerungsverfahren zu regeln und dabei auch Fristen zu setzen, innerhalb derer Ansprüche auf Rückerstattung von Abgaben geltend zu machen sind (vgl. u.a. EuGH-Urteil vom 15.09.1998). Die Revision war nicht zuzulassen, das Urteil ist rechtskräftig.

Betroffene Norm

§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG (1992 – 1999)
Streitjahre 1992 bis 1999

Fundstelle

Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20.01.2010, 1 K 1285/08, DStRE 2011, S. 767, rechtskräftig

Weitere Fundstellen

EuGH, Urteil vom 11.09.2007,C-76/05, Schwarz und Gootjes-Schwarz, DStR 2007, S. 1670
EuGH, Urteil vom 13.01.2004, C-453/00, Kühne und Heitz, HFR 2004, S. 488
EuGH, Urteil vom 13.03.2007, C-432/05, Unibet, HFR 2007, S. 712
EuGH, Urteil vom 17.02.2008, C-2/06, Kempter, HFR 2008, S. 521
BFH, Urteil vom 23.11.2006, V R 67/05, BStBl II 2007, S. 436
EuGH, Urteil vom 15.09.1998, C-231/96, Edis, HFR 1998, S. 1033

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