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24.03.2014
Unternehmensrecht

EuGH: Wertpapierprospekthaftung „schlägt“ aktienrechtliches Kapitalerhaltungsgebot

Das Verhältnis zwischen dem aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgebot und der Haftung aufgrund falscher Kapitalmarktinformationen war in der Rechtsprechung und Literatur lange Zeit umstritten. Der EuGH hatte nun Gelegenheit, im Rahmen eines durch das Handelsgericht Wien initiierten Vorabentscheidungsverfahrens zu dieser Frage aus europarechtlicher Sicht Stellung zu nehmen.

Sachverhalt

Der Kläger erwarb im Vertrauen auf die Angaben im Wertpapierprospekt der österreichischen Immofinanz AG (nachfolgend: Beklagte) Aktien an der Beklagten auf dem Sekundärmarkt. Nachdem sich herausstellte, dass die Angaben im Wertpapierprospekt falsch und irreführend waren, verklagte er gemäß § 11 (österreichisches) Kapitalmarktgesetz die Beklagte vor dem Handelsgericht Wien auf Zahlung des Betrags, den er für die an der Beklagten erworbenen Aktien bezahlt hatte und verlangte ferner die Rücknahme dieser Aktien durch die Beklagte. Die Beklagte wehrte sich gegen ihre Schadensersatzpflicht mit dem Argument, dass sie auf Grundlage des in der Kapital-Richtlinie und im österreichischen Aktienrecht verankerten Kapitalerhaltungsgebots zu dieser Schadensersatzleistung nicht verpflichtet sei, insbesondere keine Einlagen an die Aktionäre zurückgewähren dürfe. Weil das Handelsgericht Wien Zweifel an der Vereinbarkeit des § 11 Kapitalmarktgesetz mit dem aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgebot hatte, legte es diese Frage dem EuGH zur Entscheidung in einem Vorabentscheidungserfahren gemäß Art. 267 AEUV vor.

Entscheidung

Der EuGH urteilte, dass die Regelungen in der Kapital-Richtlinie (Richtlinie 77/91/EWG, zwischenzeitlich abgelöst durch Richtlinie 2012/30 EG) zu den Verboten der Befreiung der Aktionäre von ihren Einlageleistungen (Art. 12), der Ausschüttung von Vermögen unterhalb des jährlichen Bilanzgewinns (Art. 15), des Erwerbs eigener Aktien (Art. 18, Art. 19) und der Ungleichbehandlung von Aktionären (Art. 42) sowohl nach ihrem jeweiligen Zweck als auch Wortlaut einer Schadensersatzzahlung der Gesellschaft an die Aktionäre wegen falscher und irreführender Angaben im Wertpapierprospekt nicht entgegenstehen. Diese Vorschriften würden ausschließlich das Innenverhältnis zwischen der Aktiengesellschaft und den Aktionären betreffen. Die Verantwortlichkeit der Gesellschaft aufgrund der falschen Kapitalmarktinformationen im Wertpapierprospekt betreffe dagegen nicht dieses Innenverhältnis zwischen den Aktionären und der Gesellschaft, so dass eine Schadensersatzzahlung keine Kapitalausschüttung im Sinne des Art. 15 Kapital-Richtlinie darstelle. Der die Schadensersatzforderung geltend machende Aktionär trete der Gesellschaft vielmehr wie ein Drittgläubiger gegenüber und sei deshalb wie ein solcher zu behandeln. Aus demselben Grund falle die Pflicht der Gesellschaft zur Rücknahme ihrer eigenen Aktien nicht in den Anwendungsbereich des Art. 18 Kapital-Richtlinie, wonach die Gesellschaft keine eigenen Aktien erwerben dürfe. Eine Ungleichbehandlung der Aktionäre liege nicht vor, da die Situation des durch die Falschangaben geschädigten Klägers nicht mit den anderen – nicht von den Falschangaben betroffenen – Aktionären vergleichbar sei. Der EuGH führt ferner aus, dass die Mitgliedsstaaten einen Gestaltungsspielraum zur Regelung der zivilrechtlichen Haftungsfolgen haben, die aus Verstößen gegen die Pflichten aus der Prospektrichtlinie, Transparenzrichtlinie und Marktmissbrauchsrichtlinie resultieren. Österreich habe von diesem Gestaltungsspielraum ordnungsgemäß Gebrauch gemacht, da § 11 Kapitalmarktgesetz eine angemessene Abhilfe für den dem Aktionär entstandenen Schaden sowie eine angemessene Sanktionierung der Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten vorsehe.

Der EuGH führt des Weiteren aus, dass die Grundsätze seines „E. Friz-Urteils“ (Urt. v. 15.04.2010 - C-215/08) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar seien, so dass der den Schadensersatz geltend machende Aktionär nicht lediglich den Wert der Aktien ersetzt verlangen kann, der im Zeitpunkt der Geltendmachung seines Anspruchs besteht, sondern auch den Wert des von ihm ursprünglich gezahlten Kaufpreises für die Aktien. Die Mitgliedsstaaten seien im Übrigen berechtigt, im Rahmen ihres durch die Prospektrichtlinie, Transparenzrichtlinie und Marktmissbrauchsrichtlinie zustehenden Gestaltungsspielraums zu wählen, ob die Gesellschaft wegen falscher Kapitalmarktinformationen den Kaufpreis der Aktien zurück zu gewähren habe oder lediglich den im Zeitpunkt der Erhebung des Schadensersatzanspruchs bestehenden Börsenpreis.


Anmerkungen

Das Urteil des EuGH ist von hoher praktischer Relevanz, klärt es doch auch auf europarechtlicher Ebene das Verhältnis zwischen Prospekthaftungsansprüchen und dem aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsgebot. Hieraus folgt, dass die Mitgliedsstaaten in Umsetzung der Prospektrichtlinie Schadensersatzansprüche vorsehen können wie § 11 (österreichisches) Kapitalmarktgesetz oder etwa auch § 21 ff. (deutsches) Wertpapierprospektgesetz, wonach Emittenten bei Falschangaben im Wertpapierprospekt den Aktionären den ursprünglich bezahlten Kaufpreis gegen Rücknahme der Aktien zu ersetzen haben.

Aus der Entscheidung folgt ferner, dass Emittenten das aktienrechtliche Kapitalerhaltungsgebot grundsätzlich auch Schadensersatzansprüchen von Aktionären nicht wirksam entgegen halten können, die auf der Verletzung von Kapitalmarktinformationspflichten gemäß der Marktmissbrauchsrichtlinie oder Transparenzrichtlinie beruhen. Hinsichtlich der Haftung aufgrund falscher ad-hoc-Mitteilungen hatte der BGH im Jahr 2005 aber ohnehin schon Vorarbeit geleistet und klargestellt, dass sich eine Aktiengesellschaft ihrer entsprechenden Verantwortlichkeit nicht unter Berufung auf das Kapitalerhaltungsgebot gemäß § 57 AktG und das Verbot zum Erwerb eigener Aktien gemäß § 71 AktG entziehen könne (vgl. BGH, Urt. v. 09.05.2005 - II ZR 287/02; bestätigt durch Urt. v. 04.06.2007, II ZR 147/05; 173/05). Im Gegensatz zum EuGH nahm der BGH in diesem Urteil auch zu der Frage Stellung, ob eine Befriedigung des Schadensersatzanspruchs des Aktionärs nur aus dem freien Vermögen der Aktiengesellschaft erfolgen dürfe. Er verneinte eine solche Rechtsfolge im Hinblick darauf, dass der den Anspruch geltend machende Aktionär der Gesellschaft gegenüber wie ein Drittgläubiger entgegentrete und es somit keinen Grund gebe, den Anspruch des Aktionärs entsprechend zu beschränken.

Betroffene Normen

Artt. 12, 15, 18, 19 und 42 Richtlinie 77/91/EWG; § 11 österreichisches Kapitalmarktgesetz

Vorinstanz

Handelsgericht Wien, Urteil vom 26.03.2012

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 19.12.2013 – C 174/12

Ihr Ansprechpartner

Dr. Marcell Baumann

mbaumann@raupach.de
Tel.: +49 711-66962 69

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