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26.05.2015
Unternehmensrecht

Haftung für Ordnungswidrigkeiten der übertragenden Gesellschaft bei Verschmelzung durch Aufnahme

Eine jüngst ergangene Entscheidung des EuGH (Urteil vom 5. März 2015 – C-343/13) präzisiert die Reichweite des Übergangs von Verbindlichkeiten im Rahmen einer Verschmelzung durch Aufnahme und verdeutlicht einmal mehr, dass die Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts nicht nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten von entscheidender Bedeutung sein kann.

EUGH: Haftung für Ordnungswidrigkeiten der übertragenden Gesellschaft bei Verschmelzung durch Aufnahme

Die im Umwandlungsgesetz (UmwG) geregelte Verschmelzung durch Aufnahme ermöglicht es, das Vermögen einer Gesellschaft im Ganzen auf eine andere Gesellschaft zu übertragen, ohne hierfür jeden Vermögensgegenstand im Einzelnen benennen und – unter Beachtung der jeweiligen Formerfordernisse – gesondert übertragen zu müssen. Die Übertragung ist jedoch nicht auf Vermögensgegenstände beschränkt: Das Vermögen des übertragenden Rechtsträgers geht „einschließlich der Verbindlichkeiten“ auf den übernehmenden Rechtsträger über, § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG. Eine jüngst ergangene Entscheidung des EuGH (Urteil vom 5. März 2015 – C-343/13) präzisiert die Reichweite des Übergangs von Verbindlichkeiten im Rahmen einer Verschmelzung durch Aufnahme und verdeutlicht einmal mehr, dass die Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts nicht nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten von entscheidender Bedeutung sein kann.

Die Entscheidung des EuGH

Die Entscheidung des EuGH nahm ihren Ausgang in einem Rechtsstreit vor einem portugiesischen Arbeitsgericht. Hierbei wehrte sich eine portugiesische Gesellschaft (nachfolgend die „Übernehmerin“) gegen ein Bußgeld, welches die portugiesische Arbeitsaufsichtsbehörde gegen sie verhängt hatte. Mit dem Bußgeld sollten arbeitsrechtliche Verstöße geahndet werden, welche nicht die Übernehmerin selbst, sondern eine von ihr verschiedene, ebenfalls portugiesische Gesellschaft (nachfolgend die „Überträgerin“) begangen hatte. Noch bevor die Arbeitsaufsichtsbehörde diese Verstöße ahndete verschmolz die Überträgerin auf die Übernehmerin. Da die Überträgerin infolge der Verschmelzung erloschen war, wandte sich die Arbeitsaufsichtsbehörde an die Übernehmerin. Diese argumentierte, dass im Zeitpunkt der Verschmelzung noch keine Verbindlichkeit der Überträgerin aufgrund der Verstöße entstanden war, da das Bußgeld zu diesem Zeitpunkt noch nicht verhängt worden war. Mithin, so die Übernehmerin, habe in Ansehung der Verstöße durch die Verschmelzung keine Übertragung dieser Rechtsposition auf die Übernehmerin erfolgen können.

Das portugiesische Arbeitsgericht rief den EuGH an und ließ prüfen, wie in diesem Fall die Reichweite des im portugiesischen Umwandlungsrecht angeordneten Übergangs aller „Rechte und Pflichten“ des übertragenen auf den übernehmenden Rechtsträgers im Lichte der einschlägigen EU-Verschmelzungsrichtlinie auszulegen sei. Die betreffende Vorschrift, Art. 112 des portugiesischen Gesetzbuchs über Handelsgesellschaften, diente der Umsetzung von Art. 19 Abs. 1 der EU-Verschmelzungsrichtlinie (Richtlinie 78/855/EWG, mittlerweile ersetzt durch die – insoweit gleichlautende – Richtlinie 2011/35/EU). Art. 19 Abs. 1 der EU-Verschmelzungsrichtlinie sieht vor, dass bei einer Verschmelzung „das gesamte Aktiv- und Passivvermögen der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft“ übergeht.

Der EuGH entschied zugunsten der Arbeitsaufsichtsbehörde und kam zu dem Schluss, „dass auf die übernehmende Gesellschaft die Verpflichtung zur Zahlung einer Geldbuße übergeht, die nach der Verschmelzung mit einer endgültigen Entscheidung verhängt wird, aber arbeitsrechtliche Zuwiderhandlungen ahndet, die die übertragende Gesellschaft vor der Verschmelzung begangen hatte“.

Praktische Auswirkungen für das deutsche Umwandlungsrecht

Obwohl es sich bei der streitgegenständlichen Verschmelzung um einen reinen Inlandssachverhalt handelte, war die Frage der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Umwandlungsrechts im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung. Und obgleich sie eine inländische Verschmelzung in Portugal betrifft, hat die Entscheidung des EuGH auch Relevanz für Verschmelzungen in Deutschland: Die vom EuGH vorgenommene Auslegung von Art. 19 Abs. 1 der EU-Verschmelzungsrichtlinie wirkt sich auf die Auslegung aller nationalen Vorschriften aus, die in Umsetzung dieser Vorschrift erlassen wurden – einschließlich des deutschen § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG.

Festzuhalten ist, dass im Gegensatz zur Rechtslage in Portugal bei einer inländischen Verschmelzung in Deutschland für die übernehmende Gesellschaft schon vor der Entscheidung des EuGH ein Risiko der Inanspruchnahme durch Ordnungsbehörden für Verstöße der übertragenden Gesellschaft gegeben war: Seit 2013 ist die Übertragbarkeit von Bußgeldern auf den Rechtsnachfolger des Bußgeldpflichtigen in § 30 Abs. 2a OWiG ausdrücklich vorgesehen. Dies umfasst auch die Rechtsnachfolge im Rahmen einer Verschmelzung. Die Höhe des Bußgelds ist hierbei allerdings auf den Wert des übernommenen Vermögens sowie die Höhe der gegenüber dem Rechtsvorgänger angemessenen Geldbuße begrenzt.

Durch die Entscheidung des EuGH ist nunmehr grundsätzlich der Weg zur Umgehung dieser betragsmäßigen Grenzen geebnet, denn die Verhängung von Bußgeldern gegen den Rechtsnachfolger des eigentlich Bußgeldpflichtigen kann nunmehr – ohne Bezug zu § 30 Abs. 2a OWiG – auch umwandlungsrechtlich begründet werden. Dies ist nicht unumstritten, vgl. etwa Haspl, EuZW 2013, 888.

Weiterhin liefert der EuGH wichtige allgemeine Anhaltspunkte zu seinem Verständnis des Übergangs von „Aktiv- und Passivvermögen“ im Rahmen der Verschmelzung zur Aufnahme. Der EuGH begründet seine Entscheidung unter anderem mit der Erwägung, dass die EU-Verschmelzungsrichtlinie neben den Gläubigern der übertragenden Gesellschaft auch Dritte schützen soll, „die zum Zeitpunkt der Verschmelzung noch nicht als Gläubiger … einzustufen waren, aber nach der Verschmelzung als solche aufgrund von Sachverhalten eingestuft werden können, die bereits vor der Verschmelzung entstanden sind“. In der Vergangenheit haben deutsche Gerichte sich teilweise gegen den Übergang bestimmter Rechtspositionen des übertragenden Rechtsträgers auf den übernehmenden Rechtsträger entschieden, etwa das OLG Köln (Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 6 W 104/08) zur Verhängung von Vollstreckungsmaßnahmen im Sinne des § 890 ZPO. Ob solche Entscheidungen vor dem Hintergrund der Erwägungen des EuGH zukünftig in gleicher Weise getroffen werden (können), bleibt abzuwarten. Besonders aufmerksam wird zu verfolgen sein, wie sich die Entscheidung des EuGH auf die Haftungsnachfolge in Kartellbußgelder auswirkt, welche bekanntermaßen erhebliche Summen erreichen können.

Fazit

Die Entscheidung des EuGH führt tendenziell zu einem gesteigerten Risiko des übernehmenden Rechtsträgers, durch eine Verschmelzung zur Aufnahme unerkannte latente Verbindlichkeiten oder sonstige nachteilige Rechtspositionen des übertragenden Rechtsträgers zu übernehmen. Dies wird häufig zu einem gesteigerten Prüfungsaufwand vor der Verschmelzung führen. Der EuGH weist zutreffend darauf hin, dass es dem übernehmenden Rechtsträger unbenommen ist, „vor der Verschmelzung eine eingehende Prüfung der wirtschaftlichen und rechtlichen Situation der aufzunehmenden Gesellschaft durchführen zu lassen, um zusätzlich zu den Unterlagen und Informationen, deren Verfügbarkeit die geltenden Rechtsvorschriften vorschreiben, einen umfassenderen Einblick in die Verpflichtungen dieser Gesellschaft zu erlangen“. Bereits bei konzerninternen Verschmelzungen wird oft ein Interesse daran bestehen, das wirtschaftliche Ausmaß der Verschmelzung für die übernehmende Gesellschaft vorab präzise einschätzen zu können. Besonders jedoch bei der Hereinverschmelzung von – z.B. neu erworbenen – externen Gesellschaften wird die Entscheidung des EuGH im Rahmen der vorbereitenden rechtlichen Prüfung zu beachten sein.

Ihr Ansprechpartner

Klaus Gresbrand
Senior Manager

kgresbrand@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-2501

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