Übergangsregelung zur Sozialversicherungspflicht von Honorar-Lehrkräften: Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen
Das „Herrenberg-Urteil“ des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.06.2022 stellte die bisherige Praxis infrage, Honorar-Lehrkräfte als selbstständig zu beschäftigen, und führte in vielen Fällen zu erheblichen Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen. Um die daraus resultierende Unsicherheit zu beseitigen, hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung im neuen § 127 SGB IV geschaffen, die bis zum 31.12.2026 gilt. In diesem Zusammenhang besteht für Bildungseinrichtungen dringender Handlungsbedarf.
Bundessozialgericht, Urteil vom 28.06.2022, B 12 R 3/20 R
Entscheidung
Was besagt das „Herrenberg-Urteil“?
Das Urteil des BSG entschied in einem Einzelfall, dass eine Musiklehrkraft an einer kommunalen Musikschule nicht selbstständig, sondern abhängig beschäftigt war. Diese Einstufung führte zur Sozialversicherungspflicht (BSG, Urteil vom 28.06.2022, Az. B 12 R 3/20 R).
Das Gericht nannte mehrere Kriterien, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen:
- Eingliederung in den Betrieb: Die Lehrkraft war fest in die organisatorischen Abläufe der Musikschule integriert und musste sich an vorgegebene Stundenpläne sowie Lehrpläne halten.
- Weisungsgebundenheit: Die Musikschulleitung hatte umfassende Weisungsrechte hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Unterrichtsdurchführung.
- Fehlendes unternehmerisches Risiko: Die Lehrkraft erhielt eine feste Vergütung, auch für ausgefallene Stunden, sofern die Schüler den Ausfall zu vertreten hatten.
- Einbindung in die Betriebsorganisation: Die Lehrkraft war in die Strukturen der Musikschule eingebunden und unterlag deren Weisungen, was typisch für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis ist.
Diese Kriterien führten dazu, dass Bildungseinrichtungen ihre bisherigen Vertragsverhältnisse überdenken mussten, um Nachforderungen zu vermeiden.
Die neue Entscheidung hatten die Sozialversicherungsträger aufgegriffen und mit Besprechungsergebnis vom 04.05.2023 eine geänderte Beitragspraxis, auch für die Vergangenheit, angekündigt. Weil das BSG einen Vertrauensschutz in seiner früheren Rechtsprechung verneint hatte, sahen sich Bildungseinrichtungen finanziell erheblich belastet. Der Gesetzgeber hat sich dieses besonderen Sachverhaltes angenommen und eine Übergangsregelung im § 127 SGB IV beschlossen.
Die Übergangsregelung ermöglicht es, dass Honorar-Lehrkräfte bis Ende 2026 weiterhin als selbstständig gelten, selbst wenn im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens durch die Deutschen Rentenversicherung oder im Rahmen einer Betriebsprüfung eine abhängige Beschäftigung angenommen wird.
Dazu müssen jedoch folgende Voraussetzungen vorliegen:
1. Beide Vertragsparteien müssen bei Vertragsschluss übereinstimmend von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen sein.
2. Die Lehrkraft muss dieser Einstufung schriftlich zustimmen.
Die Übergangsregelung enthält keine Stichtagsregelung, daher gilt sie auch rückwirkend auf bestehende Sachverhalte. Das macht eine Überprüfung der Dokumentation durch die Bilungseinrichtungen notwendig.
Handlungsempfehlungen für Bildungseinrichtungen
Um bei einer Statusprüfung der Dozenten eine selbständige Tätigkeit nachweisen zu können, sollten schon bestehende Honorarverträge auf die Voraussetzungen des § 127 SGB IV überprüft werden. Grundsätzlich sollte es ausreichen, wenn die Parteien keinen Arbeitsvertrag nach § 611a BGB, sondern einen Honorarvertrag abgeschlossen haben. Selbst ohne schriftliche Vereinbarung kann bei eingereichten Rechnungen durch den Dozenten, die Zahlung und Versteuerung dieser durch die Bildungseinrichtung grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass bei Vertragsschluss von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen worden ist.
In Zweifelsfällen sollte man über eine nachträgliche Zusatzvereinbarung nachdenken. Zudem muss die Lehrkraft schriftlich zustimmen, dass ihre Tätigkeit als selbstständig eingestuft wird. Auch hier muss geprüft werden, ob eine solche Zustimmung schriftlich vorliegt.
Sofern Dozenten noch im Rahmen von selbständigen Tätigkeiten beauftragt werden sollen, sind die Voraussetzungen des § 127 SGB IV zwingend direkt mit in die Verträge aufzunehmen. Es ist derzeit nicht klar, wie der Gesetzgeber nach Auslaufen der Übergangsregelung agieren wird. Denkbar sind Verlängerungen oder im Gegenteil: das Auslaufen lassen der Sonderbehandlung.
Grundsätzlich gibt es Tendenzen, dass immer mehr Tätigkeiten durch die Behörden und die Rechtsprechung als abhängige Beschäftigungen beurteilt werden. Daher ist auch bei den vorliegenden Sachverhalten ein grundsätzliches Überdenken der Beauftragung von Lehrkräften angezeigt; der Abschluss von Arbeitsverträgen im Ergebnis die rechtssichere Variante.
Fazit
Die Übergangsregelung schafft bis Ende 2026 Rechtssicherheit, erfordert jedoch eine sorgfältige Überprüfung der bestehenden Verträge. Bei Abschluss von Neuverträgen sind die Voraussetzungen des § 127 SGB IV zu beachten.
Haben Sie Fragen oder benötigen Sie Unterstützung bei der Vertragsüberprüfung?
Sollten Sie in der Vergangenheit bereits bestandskräftig abgeschlossene Verfahren geführt haben, die eine abhängige Beschäftigung von Dozenten zum Ergebnis hatten, besteht grundsätzlich auch hier die Möglichkeit der rückwirkenden Überprüfung.
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Fundstelle
Bundessozialgericht, Urteil vom 28.06.2022, B 12 R 3/20 R
