BFH: Besteuerung von Abfindungen nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 – Grenzgängerregelung
Mit Urteil vom 01.08.2024 hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass die Grenzgängerregelung des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) zwischen Deutschland und Frankreich 1959/2001 dem Recht Deutschlands auf die Besteuerung einer Entschädigungszahlung für die Auflösung eines Dienstverhältnisses (Abfindung) grundsätzlich nicht entgegensteht. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Abfindung auch einen Zeitraum beinhaltet, in dem der Arbeitnehmende in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war bzw. in Deutschland gelebt und gearbeitet hat.
Sachverhalt
Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger von Februar 1995 bis Juni 2015 in einem Angestelltenverhältnis mit in Deutschland ansässigen Unternehmen eines Konzerns. Das Arbeitsverhältnis endete im Juni 2015 im Zuge eines Kündigungsschutzverfahrens, welches einen Vergleich mit der Zahlung einer Abfindung zur Folge hatte.
Der Kläger hatte bis Ende Oktober 2005 seinen Wohnsitz in Deutschland und war dort unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Im Anschluss lebte er ausschließlich in Frankreich, auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Der Arbeitgeber führte entsprechend im Zeitraum von Februar 1995 bis zur Wohnsitzaufgabe im Oktober 2005 für den laufenden Arbeitslohn Lohnsteuer ab. Nach der Verlagerung des Wohnsitzes nach Frankreich traf auf den Kläger die Grenzgängerregelung nach Art. 13 Abs. 5 DBA Frankreich 1959/2001 zu, weshalb der Arbeitgeber bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Juni 2015 keine Lohnsteuer in Deutschland mehr abführte.
Nach Abstimmung mit dem zuständigen Finanzamt führte das Unternehmen im Rahmen der Auszahlung der Abfindung anteilig für die Zeit von Februar 1995 bis Oktober 2005 (129 von insgesamt 245 Monaten) Lohnsteuer ab. Der darüber hinaus gehende Anteil der Abfindung blieb aufgrund des ausschließlichen Wohnsitzes in Frankreich und der Anwendung der Grenzgängerregelung steuerfrei.
Hiergegen richtete sich die Klage, da nach Auffassung des Klägers auch der Anteil der Abfindung, der auf den Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland entfällt, von der deutschen Besteuerung freizustellen sei und folglich sein Arbeitgeber zu Unrecht Lohnsteuer einbehalten habe.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg als unbegründet zurückgewiesen.
Die anteilig für die Zeit von Februar 1995 bis Oktober 2005 gezahlte Abfindung fällt unter die beschränkte Steuerpflicht im Sinne des § 1 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG), da zu den inländischen Einkünften im Sinne des § 49 EStG auch Abfindungen zählen, soweit die Einkünfte für die zuvor aktive Tätigkeit der inländischen Besteuerung unterlegen haben. Einer Besteuerung in Deutschland steht somit grundsätzlich nichts entgegen.
Auch das DBA mit Frankreich schließt ein deutsches Besteuerungsrecht nicht aus, auch wenn nach Artikel 15 des OECD-Musterabkommens Abfindungen grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern sind. Denn aufgrund des abweichenden Wortlauts des Artikels 13 Abs. 1 DBA-Frankreich verbleibt es bei einem Besteuerungsrecht im Tätigkeitsstaat (Deutschland).
Fazit
Mit dem Urteil im hiesigen Fall stellt der BFH klar, dass die Grenzgängerregelung des DBA-Frankreich der Besteuerung einer Abfindung in Deutschland grundsätzlich nicht entgegensteht. Dies gibt jedoch keine Antwort darauf, ob Abfindungszahlungen von der Grenzgängerregelung des Artikel 13 Abs. 5 DBA Frankreich 1959/2001 erfasst werden oder nicht. Das Finanzgericht Baden-Württemberg verneint dies. Da das Finanzamt die Abfindung ab Anwendung der Grenzgängerregelung steuerfrei gestellt hat, musste der BFH diese Frage nicht abschließend klären. Grenzgängern empfiehlt sich daher grundsätzlich, die Besteuerung der Abfindung in den jeweiligen Ländern vor Auszahlung zu prüfen.
Zu erwähnen ist jedoch, dass das Urteil die Rechtslage vor Einführung des § 50d Abs. 12 EStG betrifft. Danach gelten Abfindungen, die nach dem 31. Dezember 2016 anlässlich der Beendigung des Dienstverhältnisses gezahlt werden, für Zwecke der Anwendung eines DBA grds. als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Folglich sind inzwischen auch dann Abfindungszahlungen grds. (teilweise) im Tätigkeitsstaat zu versteuern, wenn das anzuwendende DBA dem Wortlaut des Artikel 15 des OECD-Musterabkommens entspricht.
Fundstelle
BFH, Urteil vom 01.08.2024, VI R 52/20