BMF: Stellungnahme zum BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen
Das aktualisierte BMF-Schreiben zur steuerlichen Behandlung des Arbeitslohns nach den DBA vom 12.12.2023 sorgte vor allem im Hinblick auf die neu aufgenommenen Anwendungsregelungen zur Bestimmung der Ansässigkeit nach Art. 4 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) für Aufregung. Die Ansässigkeit ist entscheidend für die Zuweisung des Besteuerungsrechts und Aufteilungsmaßstabs des Arbeitslohns.
Bestimmung der Ansässigkeit nach Art. 4 OECD-MA
Die Begriffe „Ansässigkeit“ und „unbeschränkte Steuerpflicht“ unterscheiden sich grundlegend. Während die unbeschränkte Steuerpflicht eine umfassende Steuerpflicht nach innerstaatlichem Recht begründet, dient die Ansässigkeit nach einem DBA insbesondere der Zuordnung von Besteuerungsrechten zwischen Vertragsstaaten. Eine Person kann nach innerstaatlichem Recht in beiden Staaten unbeschränkt steuerpflichtig sein, jedoch nur in einem Staat als ansässig im Sinne des DBA gelten. Zur Bestimmung der Ansässigkeit enthält Art. 4 Abs. 2 des OECD-MA eine festgelegte Prüfreihenfolge, nach der diese zu bestimmen ist:
- Eine Person gilt nur in dem Staat als ansässig, in dem sie über eine ständige Wohnstätte verfügt.
- Verfügt sie in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, wird die Ansässigkeit aufgrund der engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestimmt (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Maßgebend hierfür ist die familiäre, gesellschaftliche, berufliche, politische und kulturelle Anbindung der Person.
- Kann der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht bestimmt werden oder besteht in beiden Staaten keine ständige Wohnstätte, bestimmt sich die Ansässigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt.
- Befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt in beiden Staaten oder hat die Person in keinem dieser Staaten ihren gewöhnlichen Aufenthalt, ist die Staatsangehörigkeit für die Ermittlung der Ansässigkeit maßgebend.
- Sollte die Person die Staatsangehörigkeit beider Staaten oder keine der Staatsangehörigkeiten der Staaten besitzen, müssen die Finanzbehörden untereinander zu einer Lösung finden (Verständigungsvereinbarung).
Neue Erläuterungen zur Bestimmung der Ansässigkeit im aktualisierten BMF-Schreiben vom 12.12.2023
Sowohl das Vorgängerschreiben als auch das BMF-Schreiben vom 12.12.2023 sehen vor, dass bei einer befristeten Entsendung von bis zu einem Jahr eine widerlegbare Vermutung besteht, dass der Lebensmittelpunkt und damit die Ansässigkeit im Heimatland verbleiben.
Bei Entsendungen von mehr als einem Jahr war es gelebte (Verwaltungs-)Praxis, dass bei Vorliegen einer Doppelansässigkeit für die Bestimmung des Mittelpunkts der Lebensinteressen vor allem der Umzug der Familie des Arbeitnehmenden entscheidend war. Ist die Familie mit dem Arbeitnehmenden in das Entsendeland gezogen, wurde regelmäßig angenommen, dass sich der Lebensmittelpunkt und damit die Ansässigkeit in das Entsendeland verlagert haben, da den sonstigen persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen in der Regel weniger Bedeutung beigemessen wurde.
Mit dem BMF-Schreiben vom 12.12.2023 wurde dieser Grundsatz anders ausgeführt. Erst ab einer Entsendung von fünf Jahren oder länger wird ein Ansässigkeitswechsel in das Entsendeland vermutet. Bei befristeten Auslandsaufenthalten von bis zu fünf Jahren sieht das BMF grundsätzlich die Ansässigkeit weiterhin im ursprünglichen Heimatstaat, sofern der Wohnsitz beibehalten wird. Das BMF ist der Ansicht, dass die persönlichen Verbindungen zum Heimatland durch den Aufenthalt im Ausland nicht verloren gehen. Es sei von Anfang an klar, dass der Arbeitnehmende nach Abschluss seiner Auslandstätigkeit sofort an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird. Die Tatsache, dass der Familienwohnsitz während der vorübergehenden Auslandstätigkeit zur persönlichen Nutzung bereitgehalten wird, zeigt die persönlichen Interessen des Arbeitnehmenden in Deutschland. Im Ergebnis führt dies deutlich seltener zu einer Ansässigkeitsverlagerung als zuvor.
Kritik des BDI und Stellungnahme des BMF vom 19.06.2024
Die neu im BMF-Schreiben aufgenommene Auffassung führte zu einiger Kritik, da man u.a. davon ausging, dass diese zu einer häufigeren Doppelbesteuerung von Arbeitslohn führt, da andere Staaten in der Regel weiterhin den Lebensmittelpunkt während einer befristeten Entsendung hauptsächlich anhand des Aufenthaltsortes der Familie bestimmen. Daher wandte sich unter anderem der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.) an das BMF und äußerte erhebliche Bedenken in Bezug auf die neuen Ausführungen zur Bestimmung der Ansässigkeit. Mit Antwortschreiben vom 19. Juni 2024 reagierte das BMF auf die Rückfragen des BDI.
Das BMF erläutert in dieser Stellungnahme, dass die Befürchtung des BDI, die Auffassung der Finanzverwaltungen der Länder zur Bestimmung der Ansässigkeit nach Art. 4 des OCED-MA habe sich geändert, unbegründet sei und durch das BMF-Schreiben vom 12.12.2023 keine Änderung der Verwaltungspraxis angestrebt wird. Die gegenüber dem Vorgängerschreiben aufgenommenen Ergänzungen zu Entscheidungskriterien bei Vorliegen einer Doppelansässigkeit bei Entsendungen von Arbeitnehmenden in das Ausland entsprechen den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der Kommentierung der OECD und Vereinten Nationen zu ihren jeweiligen Musterabkommen für DBA, der einschlägigen Kommentarliteratur sowie praktischen Erfahrungen der Steuerverwaltungen des Bundes und der Länder aus Verständigungsvereinbarungen mit anderen DBA-Staaten. Es wird betont, dass es sich lediglich um Konkretisierungen handelt und diese Konkretisierungen nichts an der bisherigen Verwaltungspraxis ändern würden. Die neu aufgenommenen Beispiele und Ausführungen dienen der Transparenz und sollen die Entscheidungsfindung erleichtern.
Es wird abschließend nochmal hervorgehoben, dass sich die maßgeblichen Kriterien für die Bestimmung der Ansässigkeit nach den DBA nicht geändert haben.
Fazit
Das BMF-Schreiben vom 12.12.2023 hatte zunächst für Rechtsunsicherheit bei Entsendungen von ein bis fünf Jahren gesorgt. Die jüngste Stellungnahme bringt jedoch Klarheit, indem sie bestätigt, dass die bisherigen Kriterien zur Ansässigkeitsbeurteilung weiter gelten. Bei Entsendungen von über einem Jahr und Doppelansässigkeit wird eine Verlagerung der Ansässigkeit ins Entsendeland angenommen, sofern die Familie mitzieht und keine starken Bindungen zum Heimatstaat bestehen. Dies schafft mehr Rechtssicherheit und erleichtert die Praxis erheblich.
Fundstelle
BMF, Schreiben vom 12.12.2023, Steuerliche Behandlung des Arbeitslohns nach den Doppelbesteuerungsabkommen, IV B 2 - S 1300/21/10024 :005