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04.01.2017
Thema des Monats

Brexit – Auswirkungen auf internationale Mitarbeitereinsätze: Sozialversicherung und Aufenthaltsrecht

Einen Artikel zur Arbeitnehmerbesteuerung finden Sie hier.

Sozialversicherung

Die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer, die grenzüberschreitend innerhalb der EU tätig sind, basiert auf den aktuell gültigen EU-Verordnungen. Auf Grundlage dieser Verordnungen wird sowohl die Sozialversicherungszugehörigkeit etwaiger Sachverhalte bestimmt als auch die Koordinierung der Sozialversicherungsansprüche zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten geregelt. Trotz des EU-Austrittentscheids Großbritanniens, behalten die EU-Verordnungen zunächst ihre Gültigkeit. Daher wird es für international tätige Mitarbeiter kurzfristig keine Änderungen mit Blick auf die Sozialversicherung geben.

Erst wenn der EU-Austritt wirksam wird, sind die EU-Verordnungen im Verhältnis zu Großbritannien grundsätzlich nicht mehr anwendbar. Wie auch im Steuerrecht hängt die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung dann davon ab, welchen Status Großbritannien nach seinem Austritt haben wird. Denkbar ist zunächst, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt nahtlos dem EWR beitritt. Da die EU-Verordnungen zur sozialen Sicherheit ebenfalls in allen dem EWR zugehörigen Staaten Anwendung finden, würden sich durch die Aufnahme keine Änderungen im Sozialversicherungsrecht ergeben. Alternativ ist denkbar, dass Großbritannien mit der EU ein Abkommen über Personenfreizügigkeit (ähnlich der Schweiz) abschließt, um die gleichen sozialversicherungsrechtlichen Rechte wie die EU- und EWR-Staaten zu erlangen.

Sollten die beschriebenen Alternativen für eine Weitergeltung der Koordinierungsvorschriften der EU-Verordnung zum Zeitpunkt des Austritts nicht erfüllt sein, würde das bereits 1960 geschlossene deutsch-britische Abkommen über Soziale Sicherheit zur Anwendung kommen. Bisher spielte dieses bilaterale Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien nur eine untergeordnete Rolle, da die EU-Verordnungen als überstaatliches Recht stets vorrangig anzuwenden waren. Im Einzelnen regelt das Abkommen folgendes:

  • Der sachliche Geltungsbereich des Abkommens deckt die gesetzliche Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung sowie den Anspruch auf Kindergeld ab. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist im Abkommen zwar nicht explizit aufgeführt, folgt jedoch grundsätzlich der Krankenversicherung und ist daher indirekt einbezogen.
  • Die Sozialversicherungszugehörigkeit für grenzüberschreitende Sachverhalte richtet sich zunächst nach dem Territorialitätsprinzip, welches besagt, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich der Sozialversicherung in dem Staat unterliegt, in dem er seine Tätigkeit ausübt.
  • In dem Abkommen sind jedoch insbesondere für entsandte Arbeitnehmer Ausnahmen von diesem Grundprinzip vorgesehen. Daher ist es für einen Zeitraum von bis zu 12 Monaten grundsätzlich möglich, dass ausschließlich die Sozialversicherungsvorschriften des Entsendestaates Anwendung finden. Ebenso sieht das Abkommen die Möglichkeit einer Verlängerung oder des Abschlusses einer Ausnahmevereinbarung, z. B. im Falle von fehlenden Voraussetzungen für eine Entsendung, vor.
  • Das Abkommen umfasst jedoch keine Ausnahme für die Sozialversicherungszugehörigkeit von Mitarbeitern, welche eine regelmäßige gewöhnliche Beschäftigung in Deutschland und Großbritannien ausüben (sogenannte multistate worker). Daher findet in diesem Fällen das Territorialitätsprinzip Anwendung, so dass die Rechtsvorschriften beider Vertragsstaaten Anwendung finden.
  • Darüber hinaus enthält das Abkommen Regelungen zur Anrechnung von Beitragszeiten für den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Rentenanspruchs.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit im Rahmen der Verhandlung zum Abschluss des Austrittsabkommens das deutsch-britische Sozialversicherungsabkommen von Relevanz sein wird. In diesem Zusammenhang ist es nicht auszuschließen, dass das bestehende Abkommen neu verhandelt wird und hieraus beispielsweise neue Regelungen hinsichtlich der Höchstzeiträume für eine Entsendung oder der Anrechnung von Versicherungszeiten für Rentenansprüche getroffen werden.

Die Entscheidung, aus der EU auszutreten, hat für Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine unmittelbaren Auswirkungen auf die bestehenden Regelungen über die soziale Sicherheit im Verhältnis zu Großbritannien. Dies bedeutet, dass bis zu einem Wirksamwerden des Austritts, die Bescheinigungen über die anzuwendenden Rechtsvorschriften (Vordruck A1) weiterhin ausgestellt und akzeptiert werden, sowie dass im Falle eines EU-Austritts die erworbenen Sozialversicherungsansprüche der betroffenen Personen unberührt bleiben. Dennoch sollten sich deutsche Arbeitnehmer in Großbritannien (bzw. britische Arbeitnehmer in Deutschland) ihre bereits erworbenen Rentenansprüche und zurückgelegten Versicherungszeiten zeitnah von den zuständigen Behörden dokumentieren lassen.

Aufenthaltsrecht

Für Staatsangehörige eines EU-Mitgliedsstaats - also zurzeit auch für britische Staatsangehörige - gilt die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie benötigen daher weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitserlaubnis, wenn sie innerhalb der EU leben und arbeiten wollen. In Abhängigkeit davon, welchen Status Großbritannien nach dem EU-Austritt haben wird, kann sich dies ändern. Im Folgenden werden die aus aufenthaltsrechtlicher Sicht relevanten Szenarien beleuchtet:

  • Großbritannien verhandelt im Rahmen der EU-Austrittsverhandlungen, dass es EWR-Mitglied wird. In diesem Szenario bleibt die Arbeitnehmerfreizügigkeit für Großbritannien im Verhältnis zu den EU-Mitgliedsstaaten bestehen und es ergeben sich keine aufenthaltsrechtlichen Veränderungen.
  • Großbritannien wird nicht EWR-Mitglied, wechselt jedoch in eine andere Assoziationsform, in der die Arbeitnehmerfreizügigkeit unverändert fortbesteht. Da sich viele britische Wähler aus Furcht vor Überfremdung gerade für einen Wegfall der Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit für einen „Brexit“ entschieden haben, ist dieses Szenario jedoch nicht zu erwarten.
  • Großbritannien wird nicht EWR-Mitglied und es wird kein Wechsel in eine andere Assoziationsform vereinbart, in der die Arbeitnehmerfreizügigkeit weiterhin fortbesteht. In diesem Szenario müssen britische Bürger künftig, wie andere sogenannte „Drittstaatsangehörige“, einen zeitaufwendigen Visaprozess durchlaufen, wenn sie in Deutschland leben und arbeiten möchten. Deutsche Staatsbürger, die in Großbritannien leben und arbeiten möchten, sind hiervon ebenfalls betroffen. Der Visaprozess dürfte den Zugang zu Fachkräften für in britische und deutsche Unternehmen sowie Entsendungen und kurzfristige Auslandseinsätze erheblich erschweren. Darüber hinaus ist damit zu rechnen, dass im Vorfeld einer touristischen oder geschäftlichen Reise Visa- und Registrierungspflichten zu erfüllen sind.

Betroffene sollten bereits jetzt handeln! Denn für Arbeitnehmer, die sich bereits mehr als fünf Jahre in Großbritannien bzw. in Deutschland aufhalten und dort in dieser Zeit gearbeitet haben, besteht unter Umständen die Möglichkeit, einen sogenannten „Daueraufenthaltsstatus“ zu beantragen. Der Daueraufenthaltsstatus schützt Arbeitnehmer vor aufenthaltsrechtlichen Gesetzesänderungen und ermöglicht die Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Großbritannien bzw. Deutschland ohne zusätzlichen administrativen Aufwand.

Ferner könnte eine doppelte Staatsbürgerschaft für den Arbeitnehmer von Vorteil sein. So hätte beispielsweise der Besitz eines deutschen Reisepasses zur Folge, dass britische Arbeitnehmer in anderen EU-Staaten in den Genuss der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit kommen und somit schnell und flexibel für ihren Arbeitgeber einsetzbar sind.

Fazit

Durch den „Brexit“ kann sich für international tätige Mitarbeiter, die Sachverhalte mit Großbritannien realisieren, viel ändern! In welchen Bereichen und in welchem Ausmaß sich Änderungen ergeben, hängt wesentlich davon ab, ob Großbritannien in eine neue Assoziationsform wechselt, beispielsweise durch Aufnahme in der Kreis der EWR-Staaten oder durch Abschluss eines Abkommens über Personenfreizügigkeit. Arbeitgeber sollten jedoch nicht abwarten, bis das EU-Austrittsabkommen unterzeichnet ist und damit Klarheit über den künftigen Status Großbritanniens besteht. Sie sollten schon jetzt handeln und ihre Arbeitnehmer proaktiv über mögliche Änderungen und Handlungsspielräume informieren.

Im schlimmsten Fall ergeben sich durch den EU-Austritt Großbritanniens erhebliche steuerliche Mehrbelastungen für den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit die Mehrbelastung auszugleichen, indem er mit dem Arbeitnehmer eine entsprechende Vereinbarung trifft. Möglicherweise hat der Arbeitgeber aber ohnehin die Verpflichtung, den Arbeitnehmer vor einer steuerlichen Mehrbelastung abzuschirmen, beispielsweise wenn im konkreten Fall eine Entsendungsrichtlinie einschlägig ist, die einen entsprechenden Ausgleichsmechanismus vorsieht. In beiden Fällen treffen dann den Arbeitgeber die finanziell unerwünschten Folgen der steuerlichen Mehrbelastung.

Im Bereich der Sozialversicherung ergeben sich vor allem dann Änderungen, wenn das deutsch-britische Abkommen über Soziale Sicherheit zur Anwendung kommt. In diesem Fall ist der Zeitraum, für den im Fall einer Entsendung der Verbleib im Heimatland beantragt werden kann, grundsätzlich auf 12 Monate begrenzt. Darüber hinaus gibt es keine Sonderregelung für Berufspendler (sogenannte multistate worker). In jedem Fall sollten sich deutsche Arbeitnehmer in Großbritannien bzw. britische Arbeitnehmer in Deutschland ihre bereits erworbenen Rentenansprüche und zurückgelegten Versicherungszeiten von den zuständigen Behörden dokumentieren lassen.

Im Bereich des Aufenthaltsrechts bieten vor allem die Beantragung des Daueraufenthaltsstatus oder die doppelte Staatsbürgerschaft Schutz vor den unerwünschten Folgen des EU-Austritts Großbritanniens. Ob die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist jedoch im Einzelfall sorgfältig zu prüfen.

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Ihr Ansprechpartner

Constantin Betz
Director

cbetz@deloitte.de
Tel.: 0211 8772-4761

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