Regelmäßige grenzüberschreitende Tätigkeit in Europa: Neues multilaterales Rahmenübereinkommen für Telearbeit
Die deutschen und europäischen Behörden reagieren auf die neue Wirklichkeit der grenzüberschreitenden Telearbeit. Es wurde im Rahmen einer EU-Arbeitsgruppe ein multilaterales Rahmenübereinkommen erarbeitet, welches Grenzgängern innerhalb der EU einen größeren Arbeitszeitanteil für Telearbeit im Wohnsitzstaat ermöglicht, ohne dass dies eine Auswirkung auf das anzuwendende Sozialversicherungsrecht hat. Es steht den Mitgliedsstaaten frei sich dem neuen Rahmenübereinkommen anzuschließen, welches zum 01.07.2023 in Kraft tritt.
Bisherige Regelung
Für Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz und Lebensmittelpunkt außerhalb des Staates haben, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat und gewöhnlich im Wohnsitzstaat tätig sind, fanden bisher die Rechtsvorschriften über Soziale Sicherheit des Wohnsitzstaates Anwendung, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit dort für mindestens 25 % seiner Gesamtarbeitszeit ausgeübt hat.
Das neuen Rahmenübereinkommen bietet Grenzgängern nun grundsätzlich die Möglichkeit Telearbeit für bis zu 49,99 % in ihrem Wohnsitzstaat auszuüben, ohne dass das Sozialversicherungsrecht des Wohnsitzstaates Anwendung findet. Damit das Rahmenübereinkommen auch angewendet werden kann, müssen jedoch bestimmte Bedingungen erfüllt werden.
Definition der grenzüberschreitenden Telearbeit
Das multilaterale Rahmenübereinkommen ist eine Antwort auf den sich wandelnden Arbeitsmarkt, insbesondere auf die Digitalisierung und die damit verbundene Zunahme der grenzüberschreitenden Arbeit aus dem „Homeoffice“.
Telearbeit wird wie folgt definiert: Bei Telearbeit handelt es sich um eine Tätigkeit, die ortsunabhängig und vorzugsweise in der häuslichen Umgebung ausgeübt wird und nicht wie bisher in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers. Diese Tätigkeit wird durch die in den letzten Jahren weit fortgeschrittene Weiterentwicklung von Informationstechnologien ermöglicht, um die vom Arbeitgeber übertragene Aufgaben zu erfüllen.
Erfasste und nicht erfasste Sachverhalte
Der Anwendungsbereich des multilateralen Rahmenübereinkommens ist auf die grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer („Grenzgänger“) zugeschnitten, die in der Regel vor der Ausweitung der Telearbeit im Büro ihres Arbeitgebers im anderen Staat gearbeitet haben.
Die neuen Regelungen gelten daher grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz und Lebensmittelpunkt außerhalb des Staates haben, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat und gewöhnlich im Wohnsitzstaat für mehr als 25% ihrer Gesamtarbeitszeit Telearbeit verrichten.
Zusätzlich müssen jedoch noch einige weitere Voraussetzungen erfüllt werden, damit das neue Rahmenübereinkommen für Telearbeit anwendbar ist. Die neue Regelung ist nicht für diejenigen Personen anwendbar, die in ihrem Wohnsitzstaat noch andere Tätigkeiten neben der grenzüberschreitenden Telearbeit ausüben (z. B. Montagen, Kundenbesuche oder Besuche einer Tochtergesellschaft). Zusätzlich dürfen diese Personen keine gewöhnliche Beschäftigung außerhalb des Wohnstaats oder des Staates, in der der Arbeitgeber seinen Sitz hat, ausüben.
Die neuen Regelungen gelten nicht für selbstständig tätige Personen.
Bestimmung des anwendbaren Rechts für die grenzüberschreitende Telearbeit
Das multilaterale Rahmenübereinkommen verweist auf die grundsätzlich geltenden Bestimmungen für die Personen, die regelmäßig grenzüberschreitend tätig sind. Für die Beurteilung der Regelmäßigkeit ist es relevant, ob vorausschauend betrachtet damit zu rechnen ist, dass im Laufe der kommenden 12 Kalendermonate Arbeitsperioden in zwei Mitgliedstaaten mit einer gewissen Regelmäßigkeit aufeinander folgen werden.
Optionsrecht
Für Arbeitnehmer, die regelmäßig einen Anteil ihrer Beschäftigung von mindestens 25 % und maximal 49,99 % im Rahmen von Telearbeit im Wohnstaat ausüben, besteht nun die Option, dass dieser Mitarbeite weiterhin im Sozialversicherungssystem des Arbeitgebers versichert bleiben und gleichzeitig von den Regelungen des Wohnstaates freigestellt werden. Damit das neue Rahmenübereinkommen für den entsprechenden Arbeitnehmer Anwendung findet, ist ein Antragsverfahren notwendig.
A1 Bescheinigung – Nachweis des anwendbaren Rechts
Der Antrag auf die Anwendung der neuen Regelungen erfolgt im Rahmen einer Ausnahmevereinbarung (Artikel 16 VO (EG) 883/2004) und ist in dem Staat zu stellen, dessen Sozialversicherungsrecht nach dem Rahmenübereinkommen gelten soll. Bei den Arbeitgebern mit dem Sitz in Deutschland ist der Antrag auf die Ausnahmevereinbarung an den GKV-Spitzenverband, DVKA elektronisch zu übermitteln. Anschließend stellt die Behörde eine A1 Bescheinigung aus, welche für alle Behörden in der EU, EWR, in der Schweiz und Großbritannien ein verbindlicher Nachweis über das anwendbare Sozialversicherungsrecht darstellt.
Sollte der Arbeitnehmer in Deutschland wohnen und hier Telearbeit für seinen im Ausland ansässigen Arbeitgeber ausüben, ist der Antrag auf die Ausnahmevereinbarung beim zuständigen Träger des Wohnsitzstaates zu stellen.
Die A1 Bescheinigung wird für einen Höchstzeitraum von drei Jahren ausgestellt. Für einen Übergangszeitraums von einem Jahr ist es möglich, die A1 Bescheinigung rückwirkend für einen Zeitraum ab dem 1. Juli 2023 zu beantragen (vorausgesetzt, die betreffenden Mitgliedstaaten sind der Rahmenvereinbarung bis zu diesem Datum beigetreten). Ab dem 1. Juli 2024 wird eine rückwirkende Anwendung nur noch für einen Zeitraum von maximal drei Monaten möglich sein.
Auch wenn es sich bei dem Antragsverfahren um eine Ausnahmevereinbarung handelt, gibt es einige Unterschiede zu einem regulären Antrag auf eine Ausnahmevereinbarung nach Artikel 16 VO (EG) 883/2004 außerhalb der neuen Regelung für Telearbeit. So haben sich die beteiligten Staaten darauf verständigt, auf die Ausübung ihres Ermessens zu verzichten und den Antrag zu bewilligen, wenn die zuvor genannten Voraussetzungen des Rahmenübereinkommens für Telearbeit vorliegen. Des Weiteren ist es für das Antragsverfahren nicht erforderlich, dass der betreffende Arbeitnehmer zuvor den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt war, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.
Einverständnis des Arbeitnehmers
Grundsätzlich kann ein Antrag für die Ausnahmevereinbarung nur gestellt werden, wenn dies auch im Interesse des Arbeitnehmers ist. Sollte der Arbeitnehmer mit der Anwendung der neuen Regelung für die grenzüberschreitende Telearbeit nicht einverstanden sein, erfolgt die Festlegung der anwendbaren Rechtsvorschriften über die Soziale Sicherheit gemäß Artikel 13 VO (EG) 883/2004. Sollte der Arbeitnehmer 25 % oder mehr der Beschäftigung im Wohnstaat ausüben, gelten ausschließlich die Rechtsvorschriften des Wohnstaates.
Anwendbarkeit des multilateralen Rahmenübereinkommen
Das neue multilaterale Rahmenübereinkommen gilt ab dem 01. Juli 2023 für Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Liechtenstein, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, Schweden, Norwegen und Tschechien. Es ist davon auszugehen, dass weitere Länder sich dem neuen Rahmenübereinkommen für Telearbeit noch anschließen werden.
Es gilt zu beachten, dass die derzeit geltenden bilaterale Abkommen zu Telearbeit, die Deutschland mit Tschechien und Österreich dieses Jahr abgeschlossen hat, ab dem 01. Juli 2023 nicht mehr gelten, da diese Staaten dem multilateralen Rahmenübereinkommen beigetreten sind.