Zurück zur Übersicht
URL: http://www.deloitte-tax-news.de/arbeitnehmerentsendung-personal/steuerrecht/bfh---besteuerungsrecht-fuer-geschaeftsfuehrerverguetungen-und--abfindungen-nach-dem-dba-polen-2003.html
24.06.2021
Steuerrecht

BFH: Besteuerungsrecht für Geschäftsführervergütungen und -abfindungen nach dem DBA Polen 2003

Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass die vom OECD-Musterabkommen abweichende Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA‐Polen 2003, in der die Besteuerungsbefugnis für Vergütungen einer Person in ihrer Eigenschaft als "bevollmächtigter Vertreter" geregelt wird, auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH gilt. In diesem Zusammenhang sind Abfindungen analog zu behandeln.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall streiten sich die Beteiligten über einen Haftungsbescheid für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013, durch den die Klägerin, eine inländische GmbH, für Lohnsteuer ihrer ehemaligen Geschäftsführerin in Anspruch genommen wird. Im Streitfall geht es insbesondere um die abkommensrechtliche Behandlung des laufenden Arbeitslohns und einer Abfindung.

Die Klägerin bestellte eine in Polen ansässige und in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtige Mitarbeiterin zur Geschäftsführerin. Ihre Tätigkeit übte die Mitarbeiterin teilweise in Deutschland, zum überwiegenden Teil aber in Polen und anderen Staaten aus. Im Juli 2013 wurde die Mitarbeiterin von ihren Tätigkeiten freigestellt. Die Bestellung zur Geschäftsführerin wurde widerrufen und im Handelsregister gelöscht. Sie erhielt für das Jahr 2013 ihr anteiliges Festgehalt, eine variable Vergütung sowie einen Betrag zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Ferner wurde eine Abfindung vereinbart.

Soweit die Mitarbeiterin ihre Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hat, führte die Klägerin für das Festgehalt sowie die variable Vergütung zeitanteilig Lohnsteuer ab. Die Abfindungszahlung wurden dagegen nicht der Lohnsteuer unterworfen.

Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung nahm das Finanzamt die Klägerin hinsichtlich derjenigen Vergütungen und geldwerten Vorteile, für die bisher keine Lohnsteuer angemeldet und abgeführt wurde, mit einem Haftungsbescheid gemäß § 42d EStG in Anspruch. Der Haftungsbescheid umfasste auch die Lohnsteuer der Mitarbeiterin auf die erhaltene Abfindung.

Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das Finanzgericht Hamburg als unbegründet zurück (FG Hamburg, Urteil v. 9.11.2017 - 6 K 14/17).

Entscheidung

Der I. Senat des BFH hat die Revision der Klägerin als unbegründet erachtet und zurückgewiesen.

Der BFH bestätigte die zuvor ergangene Rechtsprechung des Finanzgerichts und bekräftigt damit, dass die Klägerin nicht nur für denjenigen Teil der laufenden Vergütungen, der auf die Tätigkeit der Mitarbeiterin in Deutschland entfiel, sondern für sämtliche Vergütungen, einschließlich der Abfindungszahlung, Lohnsteuer einbehalten, anmelden und abführen müsse.

Nach der deutschen Sprachfassung des Art. 16 Abs. 1 DBA Polen 2003 können "Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen" und ähnliche Zahlungen, die eine in Polen ansässige Person "in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsrats" einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht, in Deutschland besteuert werden. Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 erweitert diese Regelung auf Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in Polen ansässige Person "in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter" einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bezieht.

In diesem Zusammenhang wurde auf die Problematik des Sachverhalts verwiesen, die im deutschen Gesellschaftsrecht beruht und den Geschäftsführer einer GmbH nicht als deren gesetzlichen Vertreter ansieht, sondern als das Organ der Gesellschaft (daraus abgeleitet, ist Organhandeln streng genommen Eigenhandeln der Gesellschaft und nicht Vertreterhandeln). Diese detaillierte Differenzierung zwischen Organstellung und Vertretungsverhältnis wird allerdings, wenn überhaupt nur marginal, im Zivilrecht (vgl. §§ 164 ff. BGB) und Steuerrecht (vgl. §§ 34 Abs. 1, 79 Abs. 3 AO) umgesetzt.

Der zentralen Fragestellung, die sich daraus ergibt und die den Streitfall bestimmte, ob der Geschäftsführer einer GmbH, abkommensrechtlich als "bevollmächtigter Vertreter" zu qualifizieren sei, hat der BFH in seiner Entscheidung zugestimmt.

Die beschränkte Einkommensteuerpflicht lag unproblematisch hinsichtlich sämtlicher Vergütungsbestandteile vor. So enthalten § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstaben c und d EStG ausdrückliche Regelungen für die Geschäftsführervergütung und Abfindungen, die ein beschränkt Steuerpflichtiger von einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung im Inland bezieht.

Abkommensrechtlich wies Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 Deutschland das Besteuerungsrecht für die gesamte Vergütung zu. Allerdings wurde das deutsche Besteuerungsrecht von der Beurteilung des Merkmals "in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter" abhängig gemacht.

Der BFH kam zum Ergebnis, dass sich aus der Formulierung in Art. 16 Abs. 2 DBA Polen keine Beschränkung auf Fälle der rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht entnehmen lässt. Vielmehr werden auch solche Vertreter erfasst, deren gesetzliche Vertretungsmacht auf einer organschaftlichen Stellung beruht. Folglich hat Deutschland als Ansässigkeitsstaat der Klägerin gem. Art. 16 DBA Polen 2003 das Besteuerungsrecht für sämtliche Geschäftsführervergütungen der Mitarbeiterin, einschließlich der Abfindung. Auch wenn in der deutschen Sprachfassung des Art. 16 DBA Polen 2003 Geschäftsführer einer GmbH nicht ausdrücklich erwähnt werden, sind sie als „bevollmächtigter Vertreter“ i. S. d. Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 anzusehen.

Obwohl der Begriff "bevollmächtigter Vertreter" des Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 nicht in dem Abkommen definiert ist, lässt sich unter Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung dieses Begriffs aus dem Wortlaut keine Beschränkung auf rechtsgeschäftlich bevollmächtigte Vertreter herleiten. Vielmehr handelt es sich um eine allgemeine Formulierung, die grundsätzlich auch diejenigen Vertreter erfassen kann, deren gesetzliche Vertretungsmacht auf einer organschaftlichen Stellung beruht. Dementsprechend erfasst Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 die gesamten Geschäftsführervergütungen der Mitarbeiterin einschließlich der Abfindung. Denn die Vorschrift regelt ein Besteuerungsrecht für „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen“, die von einer Person „in ihrer Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter einer Gesellschaft“ bezogen werden. Aufgrund dieses Wortlauts ist die Rechtsprechung des BFH zur Behandlung von Abfindungen nach abkommensrechtlichen Regelungen, die Art. 15 OECD-Musterabkommen nachgebildet sind, nicht entsprechend anwendbar. Nach Art. 16 Abs. 2 DBA Polen 2003 genügt es, wenn die Vergütung in der „Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter“ bezogen wird. Damit knüpft die Vorschrift nicht an die konkrete Tätigkeit, sondern lediglich an den Status an. In dem hier vorliegenden Streitfall also an den Status der Mitarbeiterin als Geschäftsführerin der Klägerin. Deshalb werden auch Abfindungen erfasst, die aufgrund der Beendigung dieses Status gezahlt werden.

Der BFH hat damit entschieden, dass die Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA Polen auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH gilt und dies auch erhaltene Abfindungen miteinschließt.

Betroffene Norm

Art. 16 DBA Polen 2003; Art. 3 Abs. 2 DBA Polen 2003; § 39 b Abs. 6 EStG; § 42 d EStG; § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstaben c und d EStG

Vorinstanz

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 09.11.2017, 6 K 14/17.

Fundstelle

BFH, Urteil vom 30.09.2020, I R 76/17.

Ihr Ansprechpartner

Christian Röpke
Director

croepke@deloitte.de
Tel.: (040) 32080-4901

www.deloitte-tax-news.de Diese Mandanteninformation enthält ausschließlich allgemeine Informationen, die nicht geeignet sind, den besonderen Umständen eines Einzelfalles gerecht zu werden. Sie hat nicht den Sinn, Grundlage für wirtschaftliche oder sonstige Entscheidungen jedweder Art zu sein. Sie stellt keine Beratung, Auskunft oder ein rechtsverbindliches Angebot dar und ist auch nicht geeignet, eine persönliche Beratung zu ersetzen. Sollte jemand Entscheidungen jedweder Art auf Inhalte dieser Mandanteninformation oder Teile davon stützen, handelt dieser ausschließlich auf eigenes Risiko. Deloitte GmbH übernimmt keinerlei Garantie oder Gewährleistung noch haftet sie in irgendeiner anderen Weise für den Inhalt dieser Mandanteninformation. Aus diesem Grunde empfehlen wir stets, eine persönliche Beratung einzuholen.

This client information exclusively contains general information not suitable for addressing the particular circumstances of any individual case. Its purpose is not to be used as a basis for commercial decisions or decisions of any other kind. This client information does neither constitute any advice nor any legally binding information or offer and shall not be deemed suitable for substituting personal advice under any circumstances. Should you base decisions of any kind on the contents of this client information or extracts therefrom, you act solely at your own risk. Deloitte GmbH will not assume any guarantee nor warranty and will not be liable in any other form for the content of this client information. Therefore, we always recommend to obtain personal advice.