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31.07.2024
Rechnungslegung

BFH: Rückstellung für Altersfreizeit

Für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung von Altersfreizeit (von zwei Tagen pro Jahr der Betriebszugehörigkeit), die unter den Bedingungen einer mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitsnehmers sowie der Vollendung dessen 60. Lebensjahres steht, ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden.

BFH, Urteil vom 05.06.2024, IV R 22/22

Sachverhalt

Nach einem einheitlichen Manteltarifvertrag stand den Arbeitnehmern einer OHG (Klägerin) zusätzliche bezahlte Freizeit von zwei Arbeitstagen je vollem Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit zu, soweit sie dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen zugehörig waren und das 60. Lebensjahr vollendet hatten. Vor diesem Hintergrund passivierte die OHG in ihrer Steuerbilanz zum 31.12.2016 eine Rückstellung für Altersfreizeit.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten nicht erfüllt seien. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg.
 

Entscheidung

Ebenso wie das FG kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass für die Verpflichtung der OHG zur Gewährung von Altersfreizeit in der Steuerbilanz eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten zu passivieren ist.

Grundlagen

Gemäß § 249 Abs. 1 S. 1 HGB sind in der Handelsbilanz Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Rückstellungen für Verbindlichkeiten gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und gilt nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG auch für die Steuerbilanz.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist das Bestehen einer nur ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach, deren Höhe zudem ungewiss sein kann, sowie ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag. Als weitere Voraussetzung muss der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen (vgl. BFH-Urteil vom 09.03.2023, IV R 24/19 und vom 26.07.2023, IV R 22/20).

Ungewisse Verbindlichkeit der Höhe nach

Im Streitfall besteht eine nur der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeit der OHG auf Gewährung von Altersfreizeit, soweit die betroffenen Arbeitnehmer bereits das Merkmal der mindestens zehnjährigen Betriebszugehörigkeit erfüllt und das 60. Lebensjahr vollendet haben, so der BFH. Auch für eine erst in der Zukunft entstehende Verbindlichkeit muss eine Rückstellung gebildet werden (vgl. BFH-Urteile vom 05.02.1987, IV R 81/84 und vom 29.11.2000, I R 31/00). Das künftige Entstehen einer Verbindlichkeit auf Gewährung von Altersfreizeit sei im Streitfall dem Grunde nach hinreichend wahrscheinlich. Denn es sprächen mehr Gründe für als gegen das Entstehen der Verbindlichkeit (vgl. BFH-Urteil vom 30.11.2005, I R 110/04).

Wirtschaftliche Verursachung ist gegeben

Laut dem BFH liegt entgegen der Ansicht des Finanzamts die wirtschaftliche Verursachung der zurückgestellten (ungewissen) Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag (31.12.2016). Bei der Altersfreizeit handele es sich um ein Entgelt für während der Betriebszugehörigkeit erbrachte Arbeitsleistung sowie für den Verzicht auf das Kündigungsrecht (vgl. BFH-Urteil vom 05.02.1987, IV R 81/84) Die Arbeitnehmer haben dadurch eine Vorleistung erbracht. Die OHG müsse hingegen ihre Gegenleistung in Gestalt der Altersfreizeit noch erbringen, wodurch sie sich in einem Erfüllungsrückstand befinde.

Werden die Voraussetzungen für die Verpflichtung kontinuierlich aufgebaut, komme es für die Rückstellungsbildung nicht darauf an, ob der die Verpflichtung auslösende Tatbestand im Wesentlichen bereits vor dem Bilanzstichtag erfüllt sei. Vielmehr müsse die Rückstellung kontinuierlich gebildet werden (vgl. BFH-Urteil vom 05.02.1987, IV R 81/84). Dementsprechend stehe es der Rückstellungsbildung hier nicht entgegen, wenn die Mindestbetriebszugehörigkeit und/oder die Altersgrenze im Hinblick auf einzelne Arbeitnehmer noch nicht erreicht sind, so der BFH.

Vergleichbarkeit mit Zusage von Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmer- oder Firmenjubiläums

Die Zusage einer Altersfreizeit sei mit der Zusage von Zuwendungen aus Anlass eines Arbeitnehmer- oder Firmenjubiläums vergleichbar (vgl. BFH-Urteil vom 05.02.1987, IV R 81/84 und vom 29.11.2000, I R 31/00). In beiden Fällen komme es maßgebend auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, so dass die zukünftige Leistung des Arbeitgebers mit den in der Vergangenheit erbrachten Diensten des Arbeitnehmers verknüpft und auf Seiten des Arbeitgebers ein Erfüllungsrückstand aufgebaut werde, der die Bildung einer Rückstellung gebiete. 

Betroffene Normen

§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, § 5 Abs. 1 S. 1 EStG, § 249 Abs. 1 S. 1 HGB

Streitjahre 2016
 

Anmerkungen

Einordnung in die Rechtsprechung

Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.10.1987, VI 59/85

Im Streitfall unterscheidet sich der Sachverhalt von demjenigen im Urteil des Niedersächsischen FG vom 15.10.1987 (VI 59/85). Dort gewährte das Unternehmen Arbeitnehmern nach dem 60. Lebensjahr und einer mindestens zehnjährigen Branchenzugehörigkeit eine „Altersfreizeit“ (in Gestalt von 28 zusätzlichen Urlaubstagen pro Jahr). Das FG entschied, dass keine Rückstellung gebildet werden könne, da es sich nicht um Entgelt für eine in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers handele. Es fehle die Abhängigkeit der Dauer des zusätzlichen Urlaubs von der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. In dem hier besprochenen BFH-Urteil war die Anzahl der Altersfreizeittage jedoch von der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängig und setzte eine mindestens zehnjährige Zugehörigkeit zum Betrieb der OHG voraus. Somit bestand ein Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und der Leistungspflicht des Arbeitgebers, sodass die Altersfreizeit als Entgelt für erbrachte Arbeitsleistung anzusehen war.

Das aktuelle BFH-Urteil verdeutlicht, dass die Frage des Vorliegens eines Erfüllungsrückstands und damit der Zulässigkeit einer Rückstellungsbildung von den jeweiligen Bedingungen der „Altersfreizeit“ abhängt.

BFH-Urteil vom 27.09.2017, I R 53/15

Im Zusammenhang mit Rückstellungen für Nachteilsausgleich bei Altersfreizeit hat der BFH bereits entschieden, dass Arbeitsgeber hinsichtlich laufender Altersteilzeitarbeitsverträge keine Rückstellungen für einen Anspruch ihrer Arbeitnehmer auf Zahlung einer Abfindung wegen der zu erwarteten Rentenkürzung aufgrund eines sog. Nachteilsausgleichs bilden dürfen (vgl. BFH-Urteil vom 27.09.2017, I R 53/15, siehe Deloitte Tax-News).

Fundstelle

BFH, Urteil vom 05.06.2024, IV R 22/22 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 05.02.1987, IV R 81/84, BStBl. II 1987, S. 845

BFH, Urteil vom 29.11.2000, I R 31/00, BStBl. II 2004, S. 41

BFH, Urteil vom 30.11.2005, I R 110/04, BStBl. II 2007, S. 251, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 25.05.2016, I R 17/15, BStBl. II 2016, S. 930

BFH, Urteil vom 27.09.2017, I R 53/15, BStBl. II 2018, S. 702, siehe Deloitte Tax-News

BFH, Urteil vom 09.03.2023, IV R 24/19, BStBl. II 2023, S. 698

BFH, Urteil vom 26.07.2023, IV R 22/20, BStBl. II 2023, S. 1091

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 15.10.1987, VI 59/85, BB 1988, S. 1359
 

Ihr Ansprechpartner

Daniela Gemmel
Senior Manager

dgemmel@deloitte.de
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