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18.03.2011
Arbeitnehmerbesteuerung/ Sozialversicherung

BFH: Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft

Sachverhalt

Streitig ist, ob das Wohnsitzfinanzamt den Einkommensteuerbescheid eines Arbeitnehmers ändern darf, obwohl eine positive Anrufungsauskunft im Lohnsteuerabzugsverfahren die Vorgehensweise des Arbeitgebers erlaubte.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Angestellter der A-GmbH. Die A-GmbH (Arbeitgeber) hatte in den Jahren 2002 bis 2005 Nachteilsausgleichszahlungen, welche sie im Zusammenhang mit dem Wechsel der Zusatzversorgungskasse geleistet hat, der Lohnversteuerung unterworfen - zu Unrecht, wie sich später herausstellte. Die A-GmbH machte in der Lohnabrechnung für September 2006 von einer vom Betriebsstätten-Finanzamt erteilten Auskunft gemäß § 42e EStG Gebrauch und verrechnete die laufenden Bruttoarbeitslöhne ihrer Mitarbeiter mit negativen Einnahmen im Umfang der jeweils auf die Nachteilsausgleichszahlungen abgeführten Lohnsteuer. Die Zentrale Außenprüfungsstelle Lohnsteuer (ZALST) informierte das Wohnsitzfinanzamt des Klägers darüber, dass die A-GmbH als Arbeitgeberin des Klägers im Lohnzeitraum September 2006 den Bruttoarbeitslohn des Klägers um 5.035,23 Euro gemindert habe. Die A-GmbH sei von negativen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in dieser Höhe ausgegangen. Allerdings entspreche dieser Betrag der Summe, welche die A-GmbH für den Kläger in den Jahren 2001 bis 2005 zu Unrecht als Arbeitslohn erfasst habe. Das Finanzamt erließ daraufhin einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 und erhöhte den Bruttoarbeitslohn des Klägers um 5.035,23 Euro. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG als unbegründet ab.

Entscheidung

Das FG hat zu Recht entschieden, dass eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2006 rechtmäßig war. Der Kläger hatte im Veranlagungsjahr 2006 weder negative Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit noch Werbungskosten. Beide Tatbestände setzen voraus, dass beim Arbeitnehmer Güter abfließen oder Aufwendungen entstehen. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der tatsächliche Abfluss von Gütern auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Besteuerung der Zusatzbeiträge in den Vorjahren auf fiktiven Einnahmen beruht habe.

Das Prinzip der Abschnittsbesteuerung erfordert eine Jahresbetrachtung. Enthalten Bescheide aus vorangegangenen Veranlagungszeiträumen materielle Fehler, können diese keinesfalls dadurch korrigiert werden, dass in dem nächsten noch offenen Jahr ein weiterer materieller Fehler - als Ausgleich - bewusst eingearbeitet wird (BFH-Urteil vom 26.02.2002). Kann eine Änderung bestandskräftiger Bescheide nicht mehr erfolgen, so mag dies unbillig erscheinen. Jedoch rechtfertigt dies keinen neuen materiellen Fehler.

Auch die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG, die der A-GmbH vom zuständigen Betriebsstätten-Finanzamt erteilt wurde, steht einer Änderung des bisher falschen Ansatzes des Bruttoarbeitslohns durch das Finanzamt nicht entgegen. Denn das Wohnsitzfinanzamt ist an die Inhalte dieser Anrufungsauskunft nicht gebunden. Die Anrufungsauskunft nach § 42e EStG, die nach der neueren Senatsrechtsprechung ein feststellender Verwaltungsakt ist (BFH-Urteil vom 30.04.2009), bindet ausschließlich das erteilende Betriebsstätten-Finanzamt im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens (BFH, Urteil vom 09.10.1992, BFH, Beschluss vom 22.05.2007). Hieran ändert die Qualifikation der Anrufungsauskunft als Verwaltungsakt nichts. Auch als Verwaltungsakt wird die Anrufungsauskunft ohne Mitwirkung des Wohnsitzfinanzamts erteilt. Hätte der Gesetzgeber eine über das Betriebsstätten-Finanzamt hinausgehende Bindungswirkung herbeiführen wollen, dann hätte er entweder die für die Arbeitnehmer zuständigen Wohnsitzfinanzämter in das Verfahren der Anrufungsauskunft einbeziehen oder die Anrufungsauskunft selbst als Grundlagenbescheid ausgestalten müssen. Zudem ist das Lohnsteuerabzugsverfahren ein Vorauszahlungsverfahren (BVerfG-Beschluss vom 10.04.1997), dessen Besonderheiten und Regelungen nicht in das Veranlagungsverfahren hineinwirken.

Betroffene Norm

§ 42e EStG
Streitjahr 2006

Vorinstanz

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 05.11.2009, 11 K 832/09 E, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News

Fundstelle

BFH, Urteil vom 13.01.2011, VI R 61/09, BStBl II 2011, S. 479 

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 26.02.2002, IX R 20/98, BStBl II 2002, S. 796
BFH, Urteil vom 30.04.2009, VI R 54/07, BStBl II 2010, S. 996
BFH, Urteil vom 09.10.1992, VI R 97/90, BStBl II 1993, S. 166
BFH, Beschluss vom 22.05.2007, VI B 143/06, BFH/NV 2007, S. 1658
BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, S. 1

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