FG München bestätigt Vereinbarkeit der Erhebung deutscher Grunderwerbsteuer auf Umstrukturierungen im Konzern mit den Vorgaben der EU-Kapitalverkehrssteuerrichtlinie. Das Revisionsverfahren ist vor dem BFH anhängig.
Sachverhalt
Der Sachverhalt, der nun zur Entscheidung beim BFH anhängig ist , stammt aus dem Jahr 2017 und wurde in erster Instanz vom FG München entschieden (FG München, Urteil vom 08.02.2023, 4 K 1671/20). Es gilt das Grunderwerbsteuerrecht vor der Änderung des GrEStG ab 01.07.2021, wobei die Gesetzesänderungen für die konkreten europarechtlichen Fragen nicht bedeutsam sind.
Die Anteile an der Klägerin waren zu 60% im Besitz einer österreichischen AG (X AG) und zu 40% im Streubesitz. Die X AG war indirekt zu 100% an Gesellschaften mit deutschem Grundbesitz beteiligt. Durch einen Verschmelzungsvertrag vom 03.01.2017, der am 02.04.2017 im österreichischen Firmenbuch eingetragen wurde, wurde die X AG auf die Klägerin verschmolzen. Dadurch gingen mittelbar 100% der Anteile an den grundbesitzenden Gesellschaften von der X AG auf die Klägerin über.
Grunderwerbsteuerliche Würdigung durch das FG München
Das FG München sah die Übertragung der bereits bei der X AG mittelbar vereinigten Anteile an den grundbesitzenden Gesellschaften auf die Klägerin als einen Erwerbsvorgang gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG (a.F.) an (Übergang von mindestens 95% der Anteile ohne vorhergehendes schuldrechtliches Rechtsgeschäft). Eine Befreiung nach § 6a GrEStG wurde nicht geprüft, da keine Mindestbeteiligung der X AG an der Klägerin von 95% bestand.
Europarechtliche Bedenken
Das FG München hat in seinem Urteil unter anderem geprüft, ob die Erhebung der Grunderwerbsteuer im vorliegenden Fall gegen die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie (Richtlinie 2008/7/EG) verstößt, welche die Besteuerung bestimmter Umstrukturierungen mit indirekten Steuern verbietet. Mit Verweis auf ein BFH-Urteil aus dem Jahr 2007 zur alten Fassung der Richtlinie (BFH-Urteil vom 19.12.2007, II R 65/06) ist das FG München aber zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erhebung der Grunderwerbsteuer nicht an die Umstrukturierung als solche, sondern an die Veränderung der grunderwerbsteuerlichen Zuordnung von Grundbesitz anknüpft. Zusätzlich sah es die Ausnahme für sogenannte Besitzwechselsteuern auf Liegenschaften als einschlägig an und hielt eine Vorlage an den EuGH daher nicht für notwendig.
Der BFH ist in seinem Urteil aus dem Jahr 2007 zur Altfassung der Richtlinie ohne Vorlage beim EuGH zu demselben Ergebnis gekommen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision vor dem BFH eingelegt. Eine Entscheidung des BFH steht derzeit noch aus. Insbesondere ist offen, ob der BFH die Frage der Vereinbarkeit des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG (a.F.) bei Umstrukturierungen im Kontext der Kapitalverkehrssteuerrichtlinie dem EuGH vorlegen wird. Die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie findet auf Umstrukturierungen von Körperschaften nach dem Recht der Mitgliedstaaten Anwendung, einschließlich rein nationaler Sachverhalte und Umstrukturierungen von Körperschaften mit Sitz in einem Drittstaat.
Die Vorlage an den EuGH durch den BFH müsste dann erfolgen, wenn es sich um eine offene europarechtliche Frage handelt, die nicht mehr durch nationale Rechtsmittel geklärt werden kann (Art. 267 Abs. 3 AEUV).
Sollte der BFH den EuGH zu der Frage anrufen, ob die Besteuerung von Umstrukturierungen nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG (a.F.) gegen Europarecht verstößt, wäre die Entscheidung des EuGH mit großer Spannung zu erwarten.
Sollte der EuGH in diesem Fall einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie feststellen, müssten die deutschen Grunderwerbsteuerregelungen in allen offenen Fällen richtlinienkonform ausgelegt werden. Dies sollte dazu führen, dass die Besteuerung von Umstrukturierungen im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrssteuerrichtline ausscheidet. Dies sollte auch für die neue Fassung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 GrEStG gelten, da durch die Änderungen des GrEStG ab 01.07. 2021 lediglich die Beteiligungsschwelle von 95% auf 90% gesenkt wurde, die Systematik jedoch unverändert blieb.
Es stellt sich zudem die Frage, ob auch die Besteuerung nach anderen Grunderwerbsteuertatbeständen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 GrEStG sowie § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG, jeweils in alter und neuer Fassung) bei Umstrukturierungen im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrssteuerrichtlinie ausgeschlossen ist. Vor dem Hintergrund, dass die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie pauschal die Besteuerung mit indirekten Steuern regelt, sprechen gute Gründe dafür, nicht zwischen den einzelnen Grunderwerbsteuertatbeständen zu differenzieren.
Für geplante und bereits durchgeführte Umstrukturierungen empfehlen wir sorgfältig zu prüfen, ob die Kapitalverkehrssteuerrichtlinie anwendbar ist und entsprechende Bescheide gegebenenfalls verfahrensrechtlich bis zur Entscheidung durch den BFH bzw. im Falle einer Vorlage an den EuGH bis zu einer Entscheidung durch den EuGH offen zu halten.
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