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05.08.2011
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: EuGH-Vorlage zum Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen

Mit Urteil vom 13.12.2012 hat der EuGH entschieden, dass § 13b UStG grundsätzlich mit dem Europarecht vereinbar sei. Er hat aber die nationalen Gerichte dazu aufgefordert, bei der Anwendung der Vorschrift für Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit Sorge zu tragen. Davon ausgehend hat der BFH nun mit Urteil vom 22.08.2013 die Auslegung der Vorschrift durch die Finanzverwaltung – soweit im Streitfall anwendbar – als nicht rechtssicher genug verworfen. Der Leistungsempfänger sei nur dann Schuldner der Umsatzsteuer, wenn er die an ihn erbrachten Leistungen seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende. Danach seien z.B. Bauträger für die von ihnen in Auftrag gegebenen Bauleistungen nicht mehr Schuldner der Umsatzsteuer.
BFH, Urteil vom 22.08.2013, V R 37/10, siehe Deloitte Tax News
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EuGH-Vorlage:

Der BFH hat dem EuGH Zweifelsfragen zur Vereinbarkeit der Regelung zum sog. Reverse-Charge-Verfahren bei der Erbringung von Bauleistungen (§ 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 S. 2 UStG a.F.) mit dem Unionsrecht vorgelegt. Fraglich ist, ob sich der Begriff der Bauleistung im Sinne der Ermächtigung 2004/290/EG des Rates nur auf Dienstleistungen bezieht oder auch Lieferungen umfasst.

Sachverhalt
Gegenstand des Unternehmens der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist der Erwerb, die Erschließung und die Bebauung von Grundstücken. Die Klägerin ist Unternehmerin. Im September 2004 beauftragte die Klägerin einen Generalunternehmer mit der Erstellung eines Wohnhauses mit sechs Wohnungen zu einem Pauschalpreis. Für seine Leistung erteilte der Generalunternehmer in 2005 eine Schlussrechnung ohne Umsatzsteuerausweis, in der er auf die Steuerschuldnerschaft der Klägerin als Leistungsempfängerin hinwies. Die Klägerin versteuerte zunächst die von ihr bezogene Leistung als Steuerschuldnerin, machte später aber geltend, dass die Voraussetzungen für eine in ihrer Person entstandene Steuerschuld nicht vorlägen. Das Finanzamt folgte dem nicht, sondern ging davon aus, dass die Klägerin Steuerschuldnerin (§ 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 S. 2 UStG a.F.) sei.

Entscheidung

Der BFH hat dem EuGH Zweifelsfragen zur Vereinbarkeit der Regelung zum sog. Reverse-Charge-Verfahren (§ 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 S. 2 UStG a.F.) mit dem Unionsrecht vorgelegt. Während im Regelfall der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer abzuführen hat, schuldet für Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen, der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, wenn er selbst ebenfalls solche Leistungen erbringt.

Die Regelung beruht auf der Ermächtigung 2004/290/EG zum Reverse-Charge-Verfahren "bei der Erbringung von Bauleistungen an einen Steuerpflichtigen". Unionsrechtliche Zweifel bestehen, ob diese Ermächtigung nur Baudienstleistungen (sonstige Leistungen), nicht dagegen (Werk-)Lieferungen betrifft. Denn nach der maßgeblichen Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten "als Lieferungen ...die Erbringung bestimmter Bauleistungen betrachten." Dies könnte darauf hindeuten, dass unter Bauleistungen nur (Bau-)Dienstleistungen zu verstehen sind. Gestattet die Ermächtigung 2004/290/EG die Anordnung einer Steuerschuld des Leistungsempfängers nur für die Bauleistungen, bei denen es sich um Dienstleistungen handelt, nicht aber auch für Lieferungen, ist die Klägerin zwar nach § 13b UStG, nicht aber auch nach der Ermächtigung 2004/290/EG Steuerschuldnerin, so dass das für sie günstigere Unionsrecht zu berücksichtigen wäre.

Sollte die Ermächtigung 2004/290/EG die Anordnung einer Steuerschuld des Leistungsempfängers auch für Baulieferungen gestatten, ist weiter entscheidungserheblich, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Steuerschuld des Leistungsempfängers für alle Baulieferungen und dabei für Lieferungen an alle Steuerpflichtigen anzuordnen oder ob es ihnen offensteht, insoweit zwischen verschiedenen Arten von Baulieferungen und Leistungsempfängern zu differenzieren (Untergruppenbildung). Die Entscheidungserheblichkeit dieser Vorlagefrage ergibt sich daraus, dass § 13b UStG keine Steuerschuld des Leistungsempfängers für alle Baulieferungen, sondern nur für Werklieferungen nach § 3 Abs. 4 UStG anordnet, so dass die Vorschrift z.B. nicht die bloße Lieferung von Baumaterial erfasst. Darüber hinaus sind nach dem deutschen Umsatzsteuergesetz nicht entsprechend der Ermächtigung 2004/290/EG alle Steuerpflichtigen (d.h. Unternehmer) als Leistungsempfänger Steuerschuldner für die von ihnen bezogenen Leistungen, sondern die Umkehr der Steuerschuld tritt nur ein, wenn der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist, der selbst Bauleistungen erbringt. Dies kann für den Leistenden zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Feststellung führen, ob er selbst oder der Leistungsempfänger Steuerschuldner ist, wenn er in die Verhältnisse des Leistungsempfängers keinen Einblick hat. Die Finanzverwaltung geht insoweit davon aus, dass der Leistungsempfänger bei Vorliegen einer Bauleistung nur dann Steuerschuldner ist, wenn er nicht nur Steuerpflichtiger ist und selbst Bauleistungen erbringt, sondern zumindest 10 % seines "Weltumsatzes" im Vorjahr aus derartigen Bauleistungen bestehe (BMF-Schreiben vom 31.03.2004, UStAE vom 04.02.2011). Ob die Klägerin die "10%-Grenze" überschritten hat, war Ausgangspunkt des Rechtsstreits.

Die Entscheidung hat nicht nur für die Vergangenheit Bedeutung. Die Ermächtigung wurde zwar mit Wirkung zum 01. 01.2008 durch eine Regelung zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft in der Richtlinie selbst ersetzt (inzwischen Art. 199 der Richtlinie 2006/112/EG). Auch diese Regelung verwendet den Begriff "Bauleistungen" und nimmt ausdrücklich auf Art. 5 Satz 5 der Richtlinie 77/388/EWG (jetzt Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie 2006/112/EG) Bezug, wonach die Mitgliedstaaten "die Erbringung bestimmter Bauleistungen" als Lieferungen betrachten können.

Betroffene Norm

§ 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2 S. 2 UStG a.F.
Streitjahr 2005

Anmerkung

Nach langjährig praktizierter Auffassung der Finanzverwaltung wurde bisher davon ausgegangen, dass bei empfangenen Bauleistungen die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b UStG) u.a. nicht für Bauträger gilt, weil sie insoweit ausschließlich Umsätze erbringen, die unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen. Die Finanzverwaltung hat ihre Auffassung nunmehr dahingehend geändert, dass auch Bauträger mit ihren unverändert unter das GrEStG fallenden und mithin nach § 4 Nr. 9a UStG befreiten Umsätzen als Bauleister gelten und somit als Leistungsempfänger die Steuer für ihrerseits empfangene Bauleistungen schulden (siehe zu diesem Themenkomplex Beitrag in den Deloitte Tax-News).

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, Urteil vom 01.09.2010, 5 K 3000/08 U, EFG 2011, S. 278

Fundstellen

BFH, Urteil vom 22.08.2013, V R 37/10, siehe Deloitte Tax News
EuGH, Urteil vom 13.12.2012, C-395/11
BFH, Beschluss vom 30.06.2011, V R 37/10, BStBl II 2011, S. 842 

Weitere Fundstellen

Ermächtigung des Rates vom 30.03.2004, 2004/290/EG
Sechste Richtlinie des Rates vom 17.05.1977, 77/388/EWG
BMF, Schreiben vom 31.03.2004, IV D 1 -S 7279- 107/04, BStBl I 2004, S. 453
Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) vom 04.02.2011, IV D 3 - S 7279/10/10006, BStBl I 2010, S. 846, A 13b.1

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