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16.11.2016
Indirekte Steuern/Zoll

BFH: Zur Entstehung der Energiesteuer bei der Feststellung von Fehlmengen

Der BFH hat auf Grundlage einer Vorabentscheidung des EuGH geurteilt, dass die bei der Entladung eines Transportmittels festgestellten Fehlmengen eine Unregelmäßigkeit darstellen und zur Entstehung der Energiesteuer im Empfangsstaat führen, wenn der Grund für die Fehlmenge unbekannt ist.

Sachverhalt

Die Klägerin versandte Gasöl im innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren unter Verwendung eines elektronischen Verwaltungsdokuments. Das Gasöl wurde aus den Niederlanden in ein Steuerlager in Deutschland transportiert. Nach Ankunft des Schiffes wurde es in einen Tank der deutschen Steuerlagerinhaberin gepumpt. Bei der Mengenermittlung durch Bestimmung der Peilhöhe stellte diese eine geringere Menge fest, als im Verwaltungsdokument angegeben. Der Grund für den Mengenunterschied konnte von der Klägerin nicht aufgeklärt werden.

Die Mengendifferenz von 0,202 % wurde dem Hauptzollamt (HZA) mitgeteilt. Aufgrund der Überschreitung der von der deutschen Finanzverwaltung generell akzeptierten Toleranzgröße von 0,2 % setzte das HZA gemäß § 14 Abs. 3 Energiesteuergesetz (EnergieStG) gegenüber der Klägerin Energiesteuer für die 0,02 % Fehlmenge fest, die diese Grenze überstieg.

a. Die Ansicht der Klägerin
Die Klägerin wehrte sich gegen den Abgabenbescheid und argumentierte, dass eine Fehlmenge, deren Gründe unbekannt seien, nicht ohne weiteres eine „Unregelmäßigkeit“ im Sinne des § 14 Abs. 1 EnergieStG darstellen würde. Außerdem sei § 14 Abs. 3 EnergieStG nicht anwendbar. Die Beförderung sei im Zeitpunkt der Mengenermittlung, d.h. nach dem Umpumpen in das Steuerlager, bereits beendet gewesen – die Feststellung der Fehlmenge mithin nicht mehr „während der Beförderung“ erfolgt. Weiterhin würde eine solche Auslegung konsequenterweise auch dazu führen, dass bei Einfuhrfällen stets dem deutschen Fiskus als Empfangsstaat die Erhebungskompetenz zustünde. Dies widerspräche allerdings der Regelung im Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2008/118/EG (Verbrauchsteuerrichtlinie), wonach die Erhebungskompetenz beim Abgangsstaat (hier die Niederlande) liegen soll, wenn beförderte Waren aus unbekannten Gründen nicht am Bestimmungsort eintreffen und dadurch in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind.

b. Urteil des Finanzgerichtes
Das angerufene FG Hamburg bestätigte die Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides. Es sah eine Unregelmäßigkeit als gegeben an, da für die streitige Fehlmenge die Beförderung nicht beendet worden war und die Klägerin eine mögliche Ausnahme in Form von vollständiger Zerstörung oder unwiederbringlichen Verlustes (§ 8 Abs. 1a S. 1 EnergieStG) nicht beweisen konnte. Zudem wurde diese Unregelmäßigkeit nach Auffassung des FG auch noch während der Beförderung festgestellt. Denn eine Mengenermittlung, die zum Zwecke der Warenübernahme durch den Empfänger im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Löschvorgang vorgenommen wird, sei Teil der „Aufnahme im Lager des Empfängers“ im Sinne des § 11 Abs. 4 S. 2 EnergieStG und damit keine der Beförderung nachgelagerte Handlung. Schließlich nahm das Gericht auch keinen Verstoß gegen das Unionsrecht an. Der Tatbestand des Art. 10 Abs. 2 Verbrauchsteuerrichtlinie sei erfüllt, da aufgrund der unbekannten Ursache der Fehlmenge von einer Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr (Art. 7 Abs. 2 Verbrauchsteuerrichtlinie) ausgegangen werden könne. Zudem sei auch Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie nicht anwendbar. Die Norm gelte nicht für Teilmengen, sondern nur für die gesamte Ladung als solche. Zudem verlange ihr Tatbestand, dass während der Beförderung eben gerade keine Unregelmäßigkeit festgestellt worden sei.

c. Vorlageverfahren zum EuGH
Der in der Revision von der Klägerin angerufene BFH legte dem EuGH vier Fragen zur Vorabentscheidung vor. Erstens wollte er wissen, ob Art. 10 Abs. 4 der Verbrauchsteuerrichtlinie nicht nur auf die gesamte Menge einer Lieferung, sondern auch auf fehlende Teilmengen anwendbar ist. Der EuGH bejahte dies.

Zweitens fragte der BFH, wann die Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren im Verfahren der Steueraussetzung endet im Sinne von Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie. D.h. ob die Feststellung einer Fehlmenge während des Entladevorgangs noch „während der Beförderung“ erfolgt. Der Gerichtshof entschied dazu, dass die Beförderung in einem Verfahren wie dem vorliegenden erst dann endet, wenn der Empfänger der Ware nach vollständiger Entladung des sie befördernden Transportmittels festgestellt hat, dass die Warenmenge geringer ist als die Menge, die ihm hätte geliefert werden sollen.

Drittens war zu klären, ob eine nationale Vorschrift gegen Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 7 Abs. 2 lit. a der Richtlinie verstößt, wenn sie die Erhebungskompetenz des Empfangsstaates allein von der Feststellung des Eintritts einer Unregelmäßigkeit und der Unmöglichkeit der Ermittlung des Ortes, an dem die Unregelmäßigkeit begangen worden ist, abhängig macht, ohne dass die Feststellung erforderlich ist, dass die Waren durch ihre Entnahme aus dem Verfahren der Steueraussetzung in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt worden sind. Dazu stellte der EuGH fest, dass § 14 EnergieStG den Art. 10 Abs. 2 zwar mangelhaft umsetzt, dies jedoch im Wege der richtlinienkonformen Auslegung geheilt werden könne. Der § 14 Abs. 3 EnergieStG sei um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Entnahme zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr zu erweitern.

Die vierte und letzte Vorlagefrage betraf die Auslegung von Art. 7 Abs. 2 lit. a i.V.m. Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie. Der BFH wollte wissen, ob zu den von diesen Normen geregelten Fällen auch der Fall des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie gehört. Der EuGH verneinte dies. Demnach liege stets eine Entnahme und Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr vor, wenn der Steuerpflichtige nicht nachweisen könne, dass die Ware vollständig zerstört oder unwiederbringlich verloren gegangen sei.

Entscheidung des BFH

Nach den Ausführungen des EuGH bestätigte der BFH die Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides mit der folgenden Begründung:

Erstens bejahte er das Vorliegen einer Unregelmäßigkeit. Eine solche liegt gemäß § 14 Abs. 1 EnergieStG dann vor, wenn die Beförderung nicht ordnungsgemäß beendet werden konnte. Die angegebene Fehlmenge Gasöl war unstreitig nicht im deutschen Steuerlager angekommen. Da die Klägerin den tatsächlichen Grund für die Fehlmenge nicht ermitteln und nachweisen konnte (obwohl ihr dies gemäß § 8 Abs. 1a S. 3 EnergieStG oblag), zog der BFH aus den Umständen des Falles den Schluss, dass während der Beförderung ein Fall eingetreten sein müsse, der von § 14 Abs.1 EnergieStG als Unregelmäßigkeit umfasst wird.

Zweitens stellte der BFH fest, dass die Beförderung mit dem Umpumpen des Gasöls in den Tank der Steuerlagerinhaberin noch nicht beendet war. Das Löschen der Ladung sei kein der Beförderung nachgelagerter, sondern deren abschließender Vorgang. Denn maßgeblich für dieses Tatbestandsmerkmal sei nicht die tatsächliche Entgegennahme der Ware, sondern die Möglichkeit des Empfängers, die genaue Menge der Ladung feststellen zu können, um seinerseits seine verbrauchsteuerlichen Aufzeichnungspflichten erfüllen zu können. Dies sei im vorliegenden Fall erst mit der Bestimmung der Peilhöhe im Tank der Steuerlagerinhaberin der Fall gewesen. Folglich sei nicht § 14 Abs. 4 EnergieStG, sondern Absatz 3 der Norm erfüllt, wonach die Erhebungskompetenz bei Deutschland liegen müsse.

Schließlich ist § 14 Abs. 3 EnergieStG auch nicht aufgrund einer Verletzung des Art. 10 Abs. 4 der Verbrauchsteuerrichtlinie unanwendbar. Zwar stellte der BFH in Übereinstimmung mit dem EuGH fest, dass § 14 EnergieStG den Art. 10 der Verbrauchsteuerrichtlinie nur mangelhaft umsetzt. Denn der Wortlaut von § 14 Abs. 3 enthält nicht ausdrücklich die gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. a Verbrauchsteuerrichtlinie notwendige Voraussetzung der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr. Allerdings kann und muss § 14 Abs. 3 EnergieStG richtlinienkonform ausgelegt werden. D.h. die Erhebungskompetenz ist nur dann dem Empfangsstaat zuzusprechen, wenn die festgestellte Unregelmäßigkeit die Überführung der Ware in den steuerrechtlich freien Verkehr zur Folge gehabt hat. Diese Voraussetzung sei im Streitfall mit der Feststellung der Fehlmenge beim Entladevorgang erfüllt gewesen. Denn die Klägerin konnte die Gründe für die Fehlmenge nicht nachweisen. Der BFH entschied, dass in diesem Falle, entgegen dem Vortrag der Klägerin, das HZA die Entnahme des Gasöls aus dem innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren und dessen Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr in Deutschland nicht nachweisen musste, sondern vom Vorliegen ausgehen durfte.

Anmerkungen

Die Entscheidung des BFH präzisiert den Anwendungsbereich des § 14 EnergieStG in einigen Punkten. Insbesondere relevant ist die Feststellung, dass die Beförderung im Steueraussetzungsverfahren erst dann endet, wenn die Ladung gelöscht ist und der Empfänger die Möglichkeit hat, die genaue Menge festzustellen. Für die betroffenen Unternehmen bedeutet dies, dass der Zeitpunkt der Feststellung einer Fehlmenge im Zusammenhang mit dem Beförderungsverfahren darüber entscheidet, welche Partei des Kaufgeschäftes die zusätzliche Steuerschuld tragen muss. Dadurch, dass die Rechtsprechung das Ende der Beförderung in Fällen wie dem vorliegenden zeitlich „nach hinten“ verlagert, erhöht sich das Risiko für den Empfänger eines doppelten Nachteils. Er erhält nicht nur eine geringere Menge als vereinbart, sondern muss auch noch die zusätzliche Steuer für die Fehlmenge tragen. Den Versender in Regress zu nehmen ist dann nur auf zivilrechtlichem Wege möglich.

Betroffene Norm

§ 14 Energiesteuergesetz
Artikel 10 Richtlinie 2008/118/EG

Vorinstanz

FG Hamburg Urteil vom 13.06.2013, 4 K 80/12
EuGH Urteil vom 28.01.2016, C-64/15

Fundstelle

BFH Urteil vom 31.05.2016, VII R 40/13

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