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26.04.2018
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Recht zur Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts erst mit Ausstellung der Rechnung mit korrektem Steuerbetrag

Sieht ein Land eine Frist für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs vor, so kann diese nicht ablaufen, bevor eine Rechnung mit Steuerausweis ausgestellt wurde. Der Vorsteuerabzug ist nicht möglich, bevor eine Rechnung mit Steuerausweis vorliegt. Fraglich ist, ob eine Rechnung, die keine oder eine zu geringe Steuer ausweist mit Wirkung für die Vergangenheit berichtigt werden kann.

Hintergrund

Ebenso, wie in der thematisch ähnlich gelagerten Rechtssache Volkswagen AG (C-533/16), geht es in der Rechtssache Biosafe (C-8/17) um die Frage, ob eine Frist zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs ablaufen kann, obwohl der Unternehmer den Vorsteuerabzug innerhalb dieser Frist mangels einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht vornehmen konnte.

In der Rechtssache Volkswagen AG, EuGH Urteil vom 21.03.2018, C-533/16, gingen der Leistende und der Leistungsempfänger irrig davon aus, dass bestimmte Umsätze nicht der Umsatzsteuer unterlagen. Jahre später wurde der Irrtum erkannt. Der Leistende stellte daraufhin eine Rechnung mit Steuerausweis aus und forderte vom Leistungsempfänger die geschuldete Umsatzsteuer.
Der Leistungsempfänger, der die Steuer zusätzlich zum bislang geschuldeten Nettopreis an den Leistenden zahlte, machte sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend. Nach nationalem, in diesem Fall slowakischem, Recht verhinderte aber eine Fünf-Jahresfrist, die wie eine Festsetzungsverjährung wirkt, die Ausübung des Rechts, obwohl nunmehr ordnungsgemäße Rechnungen vorlagen.

In der portugiesischen Rechtssache Biosafe, EuGH Urteil vom 12.04.2018, C-8/17, gingen beide Vertragsparteien bei Vertragsschluss irrig von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus.
Nach einer späteren Festsetzung des korrekten Regelsteuersatzes durch die Finanzverwaltung, verlangte der Leistende nachträglich mittels einer den korrekten Steuerbetrag ausweisenden Rechnung diesen Betrag von der beklagten Leistungsempfängerin.
Die Leistungsempfängerin verweigerte die Zahlung, da sie wegen Fristablaufs den Vorsteuerabzug nicht mehr geltend machen konnte.

Entscheidungen

Wird die Umsatzsteuer in Rechnungen nachträglich für Umsätze ausgewiesen, die zuvor ohne oder mit zu geringer Umsatzsteuer abgerechnet wurde, steht eine im Landesrecht vorgesehene abgelaufene Frist zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs dem Vorsteuerabzug/der Vorsteuervergütung beim Leistungsempfänger nicht entgegen, sofern der Leistungsempfänger das Recht auf Vorsteuererstattung nicht vorher ausüben konnte, da er weder im Besitz einer Rechnung war, noch von der Steuerschuld überhaupt wusste. Dementsprechend urteilte der EuGH in der Rechtssache Biosafe, C-8/17, dass auch hier die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs nicht ausgeschlossen ist, da es der Leistungsempfängerin unmöglich war, den Vorsteuerabzug in zutreffender Höhe vor der Berichtigung der Rechnungen auszuüben. Die Leistungsempfängerin verfügte weder über eine Rechnung mit entsprechendem Steuerausweis, noch wusste sie von der zusätzlichen Steuerschuld. Die nationale, portugiesische, Ausschlussfrist, nach der die Frist bereits mit Ausstellung der ursprünglichen Rechnung zu laufen beginnt, verstößt daher gegen Unionsrecht.

In den Begründungen stellt der EuGH auf die formellen und materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs ab. Grundsätzlich ist das Recht auf Vorsteuerabzug im selben Zeitraum auszuüben, in dem der Anspruch auf die Steuer entstanden ist; die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt jedoch den Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung voraus. Nationale Ausschlussfristen, durch die, aus Gründen der Rechtssicherheit, die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts zeitlich befristet ist, sind zwar grundsätzlich zulässig, sofern sie den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität genügen, greifen jedoch dann nicht, wenn es unmöglich ist, den Vorsteuerabzug vor der Rechnungsberichtigung auszuüben.

Anmerkung

Die Entscheidungen Volkswagen (EuGH Urteil vom 21.03.2018, C-533/16) und Biosafe (EuGH Urteil vom 12.04.2018, C-8/17) einerseits und Senatex und Barlis06 (EuGH Urteile vom 15.09.2016, C-518/14, siehe auch Deloitte Tax-News und C-516/14, siehe auch Deloitte Tax-News) andererseits beleuchten unterschiedliche Aspekte einer Rechnung als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug. Während der EuGH in den beiden letztgenannten Entscheidungen deutlich gemacht hat, dass formelle Aspekte zum Nachteil des Steuerpflichtigen nicht überbewertet dürfen und Mängel bei der Rechnungserstellung – mit Rückwirkung - geheilt werden können, betont das Gericht in den beiden erstgenannten Entscheidungen, dass ohne eine Rechnung mit Steuerausweis der Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht werden kann. Fristen zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs laufen daher nicht ab, bevor der Steuerpflichtige in Besitz einer derartigen Rechnung ist.

Dies führt zu der Frage, ob eine Rechnungsberichtigung im Hinblick auf den Steuerausweis Rückwirkung haben kann. Dafür spricht, dass die Steuer auf einen Umsatz unabhängig vom Steuerausweis in einer Rechnung entsteht, dagegen spricht jedoch, dass der Empfänger einer „Netto-Rechnung“ (noch) nicht mit der Umsatzsteuer belastet ist. Es steht zu erwarten, dass die Finanzverwaltung in ihrem angekündigten Schreiben den Standpunkt einnehmen wird, dass eine Rechnungsberichtigung hinsichtlich des Steuerausweises keine Rückwirkung entfaltet.

 

Betroffene Norm

Art. 167-171, 178 Buchst. a Richtlinie 2006/112/EG; Richtlinie 2008/9/EG

Fundstellen

EuGH, Urteil vom 21.03.2018, C-533/16
EuGH, Urteil vom 12.04.2018, C-8/17

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