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16.12.2022
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Keine Steuerschuld aufgrund unrichtigen Steuerausweises, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt

Wird die MwSt vom Aussteller einer Rechnung gemäß Art. 203 MwStSystRL geschuldet, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegen kann, weil die Leistungsempfänger der Dienstleistungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher sind? Falls ja, kann die Berichtigung der Rechnungen gegenüber den Leistungsempfängern unterbleiben, da sie auch faktisch unmöglich ist?

Hintergrund

​Gem. Art. 203 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie wird die Mehrwertsteuer von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist. Im nationalen Recht ist dies im Rahmen von § 14c UStG umgesetzt, wonach ein unrichtig bzw. unberechtigt ausgewiesener Steuerbetrag in voller Höhe geschuldet wird.

Legt der Steuerpflichtige in seiner Rechnung fälschlicherweise einen zu hohen Steuersatz zugrunde, so schuldet er den Mehrbetrag. Fraglich ist, ob der Staat diese zu hohe Mehrwertsteuer behalten darf, oder ob sie an den Steuerpflichtigen zurückzuzahlen ist. Immerhin ist die Steuer materiell nicht in voller Höhe entstanden. Andererseits wurden Rechnungen mit einem zu hohen Steuerausweis ausgestellt, die die Kunden zu einem (unberechtigten) Vorsteuerabzug verleiten könnten. Müssen diese Rechnungen daher zuvor berichtigt werden? Gilt dies auch, wenn die Leistungen ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher ausgeführt wurden?

Im Hinblick auf den Verbrauchsteuercharakter der Mehrwertsteuer müsste eigentlich der Kunde als Steuerträger die von ihm überzahlte Mehrwertsteuer vom leistenden Unternehmer erstattet bekommen. Wenn dies rechtlich aber nicht möglich ist (z. B., weil sog. „Bruttopreise“ vereinbart waren) oder faktisch ausgeschlossen ist (z. B., weil die Kunden nicht namentlich bekannt sind), stellt sich die Frage, wer durch den Irrtum über die richtige Höhe der Steuer endgültig „bereichert“ bleiben darf – der Staat oder der sich irrende Steuerpflichtige?

Sachverhalt

Im EuGH-Verfahren C-378/21 („Indoor-Spielplatz“) ist die Beschwerdeführerin die in Österreich ansässige P-GmbH. Sie betreibt einen Indoor-Spielplatz. Im Streitjahr 2019 unterwarf die P-GmbH die Eintrittsgelder zum Indoor-Spielplatz dem in Österreich anwendbaren Regelsteuersatz in Höhe von 20 %. Tatsächlich unterlagen diese Dienstleistungen der P-GmbH jedoch dem seinerzeit anwendbaren ermäßigten Steuersatz von 13 %. Die P-GmbH rechnete gegenüber den Kunden mittels Registrierkassenbelege mit entsprechendem Steuerausweis in Höhe von 20% ab und führte die hieraus resultierende Umsatzsteuer in voller Höhe an das Finanzamt ab. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Kunden der P-GmbH ausschließlich Endverbraucher sind.

Streitig war, ob die Steuerpflichtige die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer gem. Art. 203 MwStSystRL auch dann schuldet, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil die Empfänger der Dienstleistung ausschließlich Endverbraucher sind, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.

Entscheidung

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger, der eine Dienstleistung erbracht hat und in seiner Rechnung einen Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen hat, der auf der Grundlage eines falschen Steuersatzes berechnet wurde, nach dieser Bestimmung den zu Unrecht in Rechnung gestellten Teil der Mehrwertsteuer nicht schuldet, wenn keine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil diese Dienstleistung ausschließlich an Endverbraucher erbracht wurde, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.

Begründung

Der Sinn und Zweck von Art. 203 MwStSystRL besteht darin, der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenzuwirken. Folglich kommt Art. 203 MwStSystRL zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Adressat der in Rede stehenden Rechnung den Vorsteuerabzug geltend machen kann, ohne dass die zuständige Steuerbehörde in der Lage ist, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts erfüllt sind.

Anmerkung

Art. 203 MwStSystRL regelt eine schuldunabhängige Gefährdungshaftung des Rechnungsausstellers für das abstrakte Risiko eines unberechtigten Vorsteuerabzugs aufgrund dieser (unrichtigen) Rechnung. Sie greift bei einem Irrtum über den richtigen Steuersatz, wenn – wie im vorliegenden Fall – in der Rechnung der Regelsteuersatz statt des ermäßigten Steuersatzes ausgewiesen wird. Voraussetzung ist, dass die Gefahr eines unberechtigten Vorsteuerabzugs und damit eine Gefahr für das Steueraufkommen besteht. Folgt man dem EuGH, so scheidet ein unzutreffender Steuerausweis nach Art. 203 MwStSystRL bei Privatpersonen aus, wenn eindeutig nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher als Leistungsempfänger der unzutreffenden Rechnung anzusehen sind.

Die vorliegende Entscheidung des EuGH, die sich der Ansicht der Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen anschließt, ist in ihrer Konsequenz, Kürze und Klarheit zu begrüßen. Die Ansicht der österreichischen Finanzverwaltung, dass eine faktisch unmögliche Rechnungsberichtigung gegenüber den Privatpersonen hätte erfolgen müssen, hätte im Ergebnis nur dazu geführt, dass die unberechtigt ausgewiesene Steuer beim Staat verblieben wäre.

Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt darin, dass aufgrund des vom vorlegenden Gericht festgestellten Sachverhalts feststand, dass es sich bei den Kunden des Indoor-Spielplatzes ausschließlich um nicht-vorsteuerabzugsberechtigte Endverbraucher handelte. Ein derart eindeutiger Fall bildet jedoch die Ausnahme. Im Einzelfall kann unter Umständen die abstrakte Gefahr eines zu hohen Vorsteuerabzugs nicht ausgeschlossen werden. Die Generalanwältin führt hierzu aus, dass sich die Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL nur auf die einzelne unrichtige Rechnung bezieht und gegebenenfalls die Anzahl der abstrakt „gefährlichen Rechnungen“ im Rahmen einer Schätzung zu ermitteln ist.

Betroffene Normen

​Art. 203 MwStSystRL; § 14c Abs. 1 UStG

Fundstelle

​EuGH, Urteil vom 08.12.2022, C-378/21​

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