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22.02.2024
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Keine Unternehmereigenschaft von Verwaltungsräten

Der EuGH äußert sich erstmals zur variablen Vergütung eines Verwaltungsratsmitglieds und stellt fest, dass diese allein – und entgegen der deutschen Ansicht der Finanzverwaltung - nicht zu einem wirtschaftlichen Risiko des Verwaltungsratsmitglieds führt. Bei Anwendung der Urteilsgrundsätze und den nationalen Rechtsvorschriften stellt sich die Frage, ob Organmitglieder juristischer Personen überhaupt umsatzsteuerlich selbständig tätig sein können.

​Hintergrund

Der EuGH entschied in einem niederländischen Fall bereits 2019 (EuGH Urt. v. 13.07.2019, C-420/18, Rechtssache, IO), dass ein Mitglied eines Aufsichtsrats mit einer nicht variablen Festvergütung nicht als Unternehmer tätig ist, da es kein Vergütungsrisiko trägt. Dem EuGH folgend schränkte der BFH seine bis dahin vertretene Ansicht zur Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds entsprechend ein und änderte seine Rechtsprechung (BFH Urt. v. 27.11.2019). Im Anschluss daran folgten zwei BMF-Schreiben zum Thema der umsatzsteuerlichen Behandlung der Aufsichtsratstätigkeit, wovon das zweite Schreiben der Finanzverwaltung das erste Schreiben teilweise konkretisierte, teilweise aufhob (BMF-Schreiben vom 8.7.2021 sowie vom 29.3.2022; vgl. Abschn. 2.2 Abs. 3a UStAE; siehe auch Deloitte Tax News). Eine einheitliche Aussage über die Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds ist danach nicht mehr ohne weiteres möglich. Die Tätigkeit kann sowohl unternehmerisch als auch nichtunternehmerisch sein – es kommt auf den Einzelfall an. Nach Ansicht der Finanzverwaltung sind solche Aufsichtsräte selbständig tätig und können als Unternehmer angesehen werden, deren variabler Vergütungsanteil 10% der Gesamtvergütung beträgt. Mit der Festlegung dieser Grenze schafft die Finanzverwaltung zwar einerseits eine grobe Orientierung, wann sie ein Aufsichtsratsmitglied als Unternehmer ansieht; andererseits besteht für diese Grenze keine Rechtsgrundlage und geht über die aus der Rechtsprechung folgenden Grundsätze hinaus. Der EuGH musste sich in der Rechtssache IO (s.o.) nicht mit der Frage auseinandersetzen, was gewesen wäre, wenn das Aufsichtsratsmitglied eine variable Vergütung erhalten hätte. Das ändert sich mit dem vorliegenden Urteil. Der EuGH äußert sich erstmals zur variablen Vergütung eines Verwaltungsratsmitglieds. Diese Äußerungen gelten u.a. auch für Aufsichtsräte und regen die deutsche Finanzverwaltung zur Überarbeitung ihrer bisherigen Ansicht an.

Sachverhalt

TP ist Mitglied des Verwaltungsrats mehrere Aktiengesellschaften nach luxemburgischen Recht mit einer Mandatszeit von bis zu 6 Jahren. In diesem Rahmen nimmt TP u.a. Berichte von Führungskräften oder Vertretern der betreffenden Gesellschaften entgegen, erörtert strategische Vorschläge, Entscheidungen der operativen Führungskräfte, Probleme im Zusammenhang mit der Rechnungslegung der Gesellschaften und deren Tochtergesellschaften sowie die für sie bestehenden Risiken. Er arbeitet an der Ausarbeitung der Entscheidungen mit, die die Vertreter der betreffenden Gesellschaften auf der Ebene der Verwaltungsräte der Tochtergesellschaften der Gesellschaften treffen müssen und ist auch an der Ausarbeitung der Entscheidungen über die Rechnungslegung der betreffenden Gesellschaften und an der Ausarbeitung der den Aktionärsversammlungen vorzulegenden Vorschläge, an der Risikopolitik und den Entscheidungen über die von diesen Gesellschaften zu verfolgenden Strategie beteiligt. Bei zwei Gesellschaften übernimmt ein Geschäftsführungsausschuss die tägliche Geschäftsführung, der die beauftragten Geschäftsführer umfasst, oder von ständigen Vertretern oder Verwaltungsratsmitgliedern übernommen wird.

Zusammenfassend ist TP sowohl mit Überwachungs- als auch mit Geschäftsführungstätigkeiten befasst. Aufgrund dieser Tätigkeiten erhält TP in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsrats der betreffenden Gesellschaften durch Beschluss der Hauptversammlungen der Aktionäre der Gesellschaften Tantiemen aus dem von den Gesellschaften erzielten Gewinn oder einen Pauschalbetrag.

Im Gegensatz zur Finanzverwaltung ist TP der Ansicht, dass die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt.

Entscheidung

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass das Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ausübt, wenn es dieser Gesellschaft eine Dienstleistung gegen Entgelt erbringt und diese Tätigkeit einen nachhaltigen Charakter aufweist und gegen eine Vergütung ausgeübt wird, deren Festsetzungsmodalitäten vorhersehbar sind.

Die Tätigkeit als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht wird hingegen nicht selbständig im Sinne dieser Bestimmung ausgeübt, wenn dieses Mitglied – trotz der Tatsache, dass es die Modalitäten der Ausübung seiner Arbeit frei regelt, das Entgelt, das sein Einkommen darstellt, selbst vereinnahmt, im eigenen Namen handelt und keinem hierarchischen Unterordnungsverhältnis unterliegt – weder für eigene Rechnung noch in eigener Verantwortung handelt und das mit seiner Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht trägt.

Gründe

Im Rahmen der Prüfung, ob TP als Mitglied des Verwaltungsrats einer Aktiengesellschaft nach luxemburgischen Recht eine wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausübt, sind die nationalen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen, die insbesondere die Verantwortlichkeiten und die Haftungsfragen regeln. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied hatte TP keine ausschlaggebende Stimme und war auch nicht zur Vertretung der laufenden Geschäftsführung berufen oder Mitglied des Geschäftsführungsausschusses. Da TP nur für die Gesellschaft tätig ist und grundsätzlich nicht persönlich für Verpflichtungen der Gesellschaft haftet, bezieht sich das von TP übernommene Risiko auch nicht auf seine Tätigkeit als solches. Mögliche negative Folgen der Entscheidungen des Verwaltungsrats trägt die Gesellschaft und nicht TP. Das Handeln der Gesellschaft ist mithin nicht TP als Organmitglied, sondern dem Kollektivorgan zuzurechnen. Daher liegt eine unselbständige Tätigkeit vor, für die eine Vergütung sogar in Verlustsituationen oder bei Abwicklung der Gesellschaft gezahlt werden sollte.

Auswirkungen

Im Gegensatz zur Ansicht der deutschen Finanzverwaltung führt eine variable Vergütung allein noch nicht zur Übernahme des wirtschaftlichen Risikos eines Verwaltungsrats- oder Aufsichtsratsmitglieds. Der EuGH stellt heraus, dass es „…bei der Frage, ob ein Verwaltungsratsmitglied im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung gehandelt hat, (…) insbesondere die nationalen Rechtsvorschriften über die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen den Verwaltungsratsmitgliedern und der betreffenden Gesellschaft zu berücksichtigen (sind).“ Notwendig ist also, dass das Mitglied das wirtschaftliche Risiko der Gesellschaft durch seine konkrete Tätigkeit trägt und hierfür auch haftet. Letzteres folgt ebenfalls aus Rz. 55 des Urteils, wenn der EuGH im Rahmen der geeigneten Hinweise, wann ein Mitglied nicht auf eigene Verantwortung handelt, ausführt, „…das gleiche gilt, wenn die für sie (Mitglieder) geltenden Haftungsregelung nur akzessorisch zu der Haftungsregelung ist, die für die Gesellschaft oder den Verwaltungsrat als deren Organ gilt.“. Damit war und ist das Vorliegen einer „Festvergütung“ im Fall IO nur als ein Argument von vielen zu verstehen, um die gegebenenfalls vorliegende Unselbständigkeit des Mitglieds zu begründen. Überträgt man diese Grundsätze des Urteils auf das deutsche Recht, gelangt man zur Ansicht, dass die bislang aufgrund der variablen Vergütungsvereinbarung als selbständig angesehene Überwachungs-Organmitglieder von Kapitalgesellschaften, unselbständig handeln und das mit ihrer Tätigkeit einhergehende wirtschaftliche Risiko nicht tragen. Vorstands- oder Geschäftsführertätigkeiten für eine Kapitalgesellschaft sind ebenfalls als unselbständige Tätigkeiten einzustufen (vgl. EuGH Urt. v. 18.10.2007, C-355/06, van der Stehen). Darüber hinaus trifft eine unmittelbare persönliche Haftung, wie vom EuGH dargelegt, weder Aufsichtsratsmitglieder noch Beiratsmitglieder von Kapital- oder Personengesellschaften. Folglich sind Organmitglieder juristischer Personen grundsätzlich umsatzsteuerlich nicht selbständig tätig. Das macht eine Überarbeitung der bisherigen Ansicht der Finanzverwaltung notwendig.

Organmitglieder, von nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen, sollten auf den gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer auf den Rechnungen verzichten und bei einer möglichen Veranlagung zur Umsatzsteuer Einspruch einlegen. Bei zum Vorsteuerabzug berechtigten Unternehmen greift die Vertrauensschutzregelung im Hinblick auf den Vorsteuerabzug. Zu beachten ist, dass derzeit noch ein Verfahren beim BFH anhängig ist (V R 6/20), in dem es um die steuerpflichtige (?) Tätigkeit eines Vorsitzenden eines Verwaltungsrats eines berufsständischen Versorgungswerks geht. Die Vorinstanz, das FG Niedersachsen, hatte entschieden, dass diese Tätigkeit nicht der Umsatzsteuer unterliegt (Urt. v. 19.11.2019, Az. 5 K 2828/18). Im Rahmen der Entscheidung ist davon auszugehen, dass der BFH auf das vorliegende EuGH-Urteil Bezug nehmen wird.

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 21.12.2023, C‑288/22

Weiterführende Literatur

Grünwald/Kurtz, Die Tätigkeit des Aufsichtsrats in der Umsatzsteuer - Corporate Governance Inside | Ausgabe 5 (deloittegermany.de), Abruf 24.01.2024;

Grünwald/Kurtz, Umsatzbesteuerung der Aufsichtsratstätigkeit– alle Fragen geklärt?, Board 3/2023, S. 100 ff.

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