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22.02.2022
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Steueranspruch und Vorsteuerabzug – ein zwingendes Junktim

​Wann entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug beim Leistungsbezug vom Ist-Versteuerer? Kommt es auf die Leistungsausführung oder die Zahlung an? Die Entstehungszeitpunkte von Steueranspruch und Vorsteuerabzug sind nach dem EuGH untrennbar miteinander verknüpft. Ist die deutsche Regelung unionsrechtswidrig?

Hintergrund

Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG entsteht das Recht zum Vorsteuerabzug mit dem Bezug der Leistung und nicht erst mit der Zahlung des Entgelts. Es kommt nicht darauf an, ob der Leistende die Umsatzsteuer nach vereinbarten oder vereinnahmten Entgelten berechnet. Zwar entsteht der Steueranspruch gegen den Ist-Versteuerer nach § 13 Abs.1 Nr. 1 Buchst. b UStG erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt wurde. Dies hat aber keine Auswirkungen auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers. Der Leistungsempfänger kann die Vorsteuer abziehen, selbst wenn er die Leistung, z.B. aufgrund einer Stundungsvereinbarung, noch nicht bezahlt hat. Für den Vorsteuerabzug ist es auch unbeachtlich, ob es sich beim vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer um einen Ist- oder Soll-Versteuerer handelt. Von der in Art. 167a MwStSystRL vorgesehenen Möglichkeit, den Vorsteuerabzug bei Ist-Versteuerern von der Entrichtung des Entgelts abhängig zu machen, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht.

Abweichend von der nationalen Regelung sieht Art. 167 MwStSystRL vor, dass das Recht zum Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers erst entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden entsteht. Das gilt auch für Leistungen von Ist-Versteuerern. In Zusammenhang mit Art. 167 MwStSystRL regelt Art. 226 Nr. 7a MwStSystRL, dass Rechnungen auch die Angabe „Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten“ enthalten müssen, wenn der Leistende ein Ist-Versteuerer ist. Diese Regelung hat der deutsche Gesetzgeber bislang nicht umgesetzt.

Im Vorabentscheidungsverfahren Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136 betont der EuGH die Gleichzeitigkeit der Entstehung des Steueranspruchs gegen den Ist-Versteuerer einerseits und des Vorsteueranspruchs des Leistungsempfängers andererseits. Die deutsche Regelung, die das Recht zum Vorsteuerabzug vor dem Steueranspruch des Fiskus entstehen lässt, steht hierzu im Widerspruch.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine GbR, die ein gemietetes Gewerbegrundstück weitervermietete. Die Klägerin und ihr Vermieter optierten jeweils zur Umsatzsteuer. Beide berechneten die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten. Die Mietzahlungen wurden der Klägerin teilweise gestundet. Die Vorsteueransprüche machte die Klägerin jeweils in dem Besteuerungszeitraum geltend, in dem die Zahlung erfolgte.

Die Finanzverwaltung versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug, weil der Vorsteuerabzug im falschen Voranmeldungszeitraum geltend gemacht worden sei. Das Recht auf Vorsteuerabzug sei bereits mit der monatsweisen Überlassung des Grundstücks entstanden. Aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung sei die Vorsteuer in Änderungsbescheiden nicht zu berücksichtigen. Dagegen wandte sich die Klägerin.

Das FG Hamburg legte dem EuGH die Frage vor, ob das Unionsrecht einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann im Zeitpunkt der Ausführung des Umsatzes entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden erst mit der Vereinnahmung des Entgelts entsteht.

Entscheidung

Eine nationale Regelung, wonach das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann bereits im Zeitpunkt der Leistungserbringung entsteht, wenn der Steueranspruch gegen den Leistenden erst mit der Vereinnahmung des Entgelts entsteht und das Entgelt noch nicht gezahlt wurde, ist unionsrechtswidrig.

Anmerkung

Die Entscheidung betrifft alle vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer, die Leistungen von Ist-Versteuerern beziehen. Für Leistungsempfänger stellt sich daher die Frage, woher er weiß, dass der Leistende seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten versteuert?

Eine entsprechende Hinweispflicht, wie sie Art. 226 Nr. 7a MwStSystRL vorsieht, kennt das deutsche UStG – bislang - nicht.

Es ist damit zu rechnen, dass der Gesetzgeber das UStG umgehend ändern wird. Die Unternehmen werden ihre Systeme dahingehend anpassen müssen, dass bei Leistungen von Ist-Versteuern der Vorsteuerabzug in Abhängigkeit von der Zahlung der Rechnung geltend gemacht wird.

Betroffene Normen

Art. 66 Buchst. b, Art. 167, Art. 167a und Art. 226 Nr. 7a MwStSystRL
§§ 15, 20 UStG

Vorinstanz

Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 10.12.2019, 1 K 337/17, EFG 2020, S. 233 ff​

Fundstelle

​EuGH, Urteil vom 10.02.2022, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136, C‑9/20

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