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21.04.2021
Indirekte Steuern/Zoll

EuGH: Umsatzsteuerliche Organschaft in Deutschland

Die deutschen Bedingungen zur finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften in eine umsatzsteuerliche Organschaft stehen nicht im Einklang mit europäischen Vorgaben.  

Hintergrund

Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hatte zu folgendem Sachverhalt dem EuGH die Frage nach der Vereinbarkeit der deutschen Vorgaben zur finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften vorgelegt:

Die Klägerin (M-GmbH) war der Auffassung, dass die PD GmbH & Co. KG (bzw. ihre Rechtsnachfolgerin) finanziell in ihr Unternehmen eingegliedert war. Alle Gesellschafter der PD verfügten unabhängig von der Höhe des Geschäftsanteils über eine Stimme, die Klägerin verfügte über sechs Stimmen. Beschlüsse wurden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefasst, einige Beschlüsse bedurften der Einstimmigkeit. Ab Dezember 2017 wurden die Klägerin und die A-GmbH durch denselben Geschäftsführer vertreten.

Das zuständige Finanzamt lehnte eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin und PD mangels finanzieller Eingliederung ab, weil neben der Klägerin auch natürliche Personen an ihr beteiligt waren.

Nach Auffassung des V. Senats des BFH und der Finanzverwaltung kann eine Personengesellschaft nur dann als Organgesellschaft in das Unternehmen eines Organträgers finanziell eingegliedert sein, wenn auch alle anderen Gesellschafter der Personengesellschaft finanziell in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind (Abschnitt 2.8 Abs. 5a Satz 1 UStAE (Stand 15.03.2021). Nur so könne sichergestellt werden, dass – unabhängig davon, ob im Einzelfall die Gesellschafterbeschlüsse auf Ebene der Personengesellschaft einstimmig oder durch Mehrheitsbeschluss gefasst werden – die für die finanzielle Eingliederung erforderliche Durchgriffsmöglichkeit für den Organträger besteht.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass die deutsche Praxis gegen die Vorgaben des Art. 11 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem - MwStSystRL) verstößt. Die Mitgliedschaft in einer umsatzsteuerlichen Organschaft (Mehrwertsteuergruppe) darf nach europäischem Recht nicht von der Rechtsform abhängig gemacht werden, d.h. Personengesellschaften dürfen nicht per se als Organgesellschaften ausgeschlossen werden.

Die in Deutschland mit der Rechtsform einhergehende Regelung, dass Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften auch mündlich abgeschlossen bzw. geändert werden können, ist eine Frage des deutschen Zivilrechts und darf sich nicht auf das (europäische) Steuerrecht auswirken. Andernfalls würde dadurch den Voraussetzungen für eine Mehrwertsteuergruppe eine nicht zulässige, weitere Voraussetzung hinzugefügt. 

Anmerkung

Der EuGH hat festgestellt, dass nach seiner Auffassung die eingeschränkten Bedingungen, unter denen Personengesellschaften in die umsatzsteuerliche Organschaft einbezogen werden können, gegen das Europarecht (Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL) verstoßen. Ob dies als Maßnahme zur Verhinderung von Steuerhinterziehung oder -umgehung ausnahmsweise nach Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL gerechtfertigt sein kann, bleibt letztlich die Entscheidung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg, an die der Fall jetzt wieder zurückgeht. Aber der EuGH hat schon deutliche Hinweise dahingehend gegeben, dass auch dies nach seiner Auffassung nicht der Fall ist und das vorlegende Finanzgericht selbst andere, weniger restriktive Wege aufgezeichnet hat, mit denen das Ziel, Steuerausfälle zu verhindern, erreicht werden könnte – wie z.B. das Erfordernis, allgemein alle Eingliederungsvoraussetzungen schriftlich zu dokumentieren oder die Organschaft auf Antrag.

Nach der Entscheidung des EuGH wird Deutschland seine Grundsätze zur umsatzsteuerlichen Organschaft neu regeln müssen, was die Einbeziehung von Personengesellschaften angeht. Es sind allerdings noch zwei weitere Verfahren anhängig, die das Konzept der umsatzsteuerlichen Organschaft, wie Deutschland es versteht, insgesamt hinterfragen (Rs. C-141/20, Vorlage des BFH vom 11.12.2019, XI R 16/18 und C-269/20, Vorlage des BFH vom 07.05.2020, V R 40/19), so dass nicht unwahrscheinlich ist, dass diese abgewartet werden, bevor ggf. eine Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft in Deutschland umgesetzt wird. Die eigens hierfür eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft“ hat noch keine (Zwischen)Ergebnisse veröffentlicht, soll seine (interne) Arbeit aber beendet haben.

Betroffene Normen

§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG

Abschnitt 2.8 Abs. 5a und 5b UStAE (Stand: 15.03.2021)

Art. 11 MwStSystRL

Fundstelle

EuGH, Urteil vom 15.04.2021, Rs. C-868/19 M-GmbH
vorgelegt durch: FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.11.2019, Az. 5 K 5044/19

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