Kann es für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts auf die Zweckmäßigkeit der konzerninternen Eingangsleistungen ankommen?
Das Recht auf Vorsteuerabzug setzt u.a. voraus, dass der leistende Unternehmer die Lieferung oder sonstige Leistung für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt hat. Hierzu bedarf es grundsätzlich eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs des Eingangsumsatzes mit besteuerten Ausgangsumsätzen (u.a. EuGH, Urteil vom 13.06.2024, C-696/22, C, Insolvenzverwalter und Liquidatoren). Fehlt es an einem solchen Zusammenhang müssen die Kosten des Leistungsbezugs zumindest zu den allgemeinen Aufwendungen des Unternehmers gehören und Kostenelemente der besteuerten Ausgangsumsätze sein (u.a. EuGH, Urteil vom 14.09.2017, C-132/16, Iberdrola; EuGH, Urteil vom 16.09.2020, C-528/19, Mitteldeutsche Hartstein-Industrie siehe Deloitte Tax-News). Dabei kommt es nicht darauf, an, ob die Eingangsumsätze die Ausgangsumsätze gesteigert haben (EuGH, Urteil vom 25.11.2021, C-334/20, Amper Metal). Mit der Frage, ob diese Grundsätze beim konzerninternen Leistungsbezug einschränkend auszulegen sind, hat sich der EuGH in einem aktuellen, rumänischen Vorabentscheidungsverfahren befasst.
Die Klägerin (Weatherford Atlas Gip SA) ist eine rumänische Konzern-Gesellschaft. Im Jahr 2016 übernahm die Klägerin eine konzernangehörige Gesellschaft (Foserco SA) im Wege der Verschmelzung. Foserco erbrachte Leistungen im Erdölsektor. Hierzu bezog sie Verwaltungsdienstleistungen (u.a. IT-Leistungen, Marketing, Buchhaltung) von konzernangehörigen Gesellschaften mit Sitz außerhalb Rumäniens unter Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens. Die leistungserbringenden Konzernmitglieder führten ihre Leistungen auch an weitere konzernangehörige Gesellschaften aus.
Die rumänische Finanzverwaltung versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug. Die Klägerin habe den direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz nicht nachgewiesen. Zudem seien die bezogenen Leistungen weder zweckmäßig noch erforderlich. Außerdem stehe der Umstand, dass die Verwaltungsdienstleistungen auch an andere Leistungsempfänger erbracht worden seien, dem Vorsteuerabzugsrecht entgegen. Dagegen wandte sich die Klägerin vor dem vorlegenden rumänischen Gericht.
Der EuGH sollte beurteilen, ob einem konzernangehörigen Steuerpflichtigen das Vorsteuerabzugsrecht wegen fehlender Erforderlichkeit bzw. mangelnder Zweckmäßigkeit des konzerninternen Leistungsbezugs versagt werden darf. Außerdem sollte der EuGH entscheiden, ob die gleichzeitige Erbringung administrativer Leistungen an weitere Leistungsempfänger, dem Vorsteuerabzugsrecht eines konzernangehörigen Steuerpflichtigen, der diese Leistungen ebenfalls bezieht, entgegensteht.
Die Finanzverwaltung darf einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug nicht wegen fehlender Erforderlichkeit bzw. mangelnder Zweckmäßigkeit des Leistungsbezugs versagen. Das gilt auch für einen konzernangehörigen Steuerpflichtigen, wenn er die konzernintern bezogenen Leistungen für Zwecke seiner eigenen besteuerten Umsätze verwendet. Der Umstand, dass die bezogenen Leistungen an mehrere Leistungsempfänger erbracht wurden, ist dabei unbeachtlich.
Die wirtschaftliche Rentabilität des Eingangsumsatzes ist keine Ausübungsvoraussetzung des Vorsteuerabzugsrechts. Die Unbeachtlichkeit der Zweckmäßigkeit der Eingangsleistung für das Vorsteuerabzugsrecht folgt aus dem Neutralitätsgrundsatz. Der Steuerpflichtige soll vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Diese Schlussfolgerung ergibt sich auch daraus, dass eine spätere, unterlassene Ausübung der beabsichtigten, wirtschaftlichen Tätigkeit das bereits entstandene Vorsteuerabzugsrecht unberührt lässt. Ebenso lässt die Unmöglichkeit der Verwendung der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Eingangsleistung aufgrund von außerhalb der Willenssphäre des Steuerpflichtigen liegenden Umständen das Recht auf Vorsteuerabzug nicht entfallen.
Art. 168 Buchst. a MwStSystRL (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG)
Mit dem Urteil bestätigt der EuGH seine bisherige Rechtsprechung, wonach sich für eine Anknpüfung des Vorsteuerabzugsrechts an die Rentabilität der Eingangsleistung keine unionsrechtliche Rechtsgrundlage findet (vgl. EuGH, Urteil vom 25.11.2021, C-334/20, Amper Metal). Die wirtschaftliche Rentabilität des Eingangsumsatzes ist kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 168 MwStRL und damit keine Ausübungsvoraussetzung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Zweckmäßigkeitserwägungen sind für die Beurteilung, ob Eingangsleistungen das Recht zum Vorsteuerabzug eröffnen, unbeachtlich. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet die Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen, der MwSt unterliegenden Tätigkeiten unabhängig von deren Zweck und deren Ergebnis (EuGH, Urteil vom 14.02.1985, C-268/83, Rompelman; EuGH, Urteil vom 25.11.2021, C-334/20, Amper Metal; EuGH, Urteil vom 07.03.2024, C-341/22, Feudi di San Gregorio Aziende Agricole, m.w.N.). Dem Neutralitätsgrundsatz wird nur dann vollständig zur praktischen Wirksamkeit verholfen, wenn es für den Vorsteuerabzug auch beim konzerninternen Leistungsbezug auf die Rentabilität der Eingangsleistung nicht ankommt. Die Erbringung gleichartiger Leistung durch ein Konzernmitglied an weitere Konzernmitglieder ist für die Beurteilung des Vorsteuerabzugsrechts einer Konzern-Gesellschaft, die die bezogenen Leistungen für Zwecke ihrer besteuerten Ausgangsumsätze verwendet, ebenfalls unmaßgeblich. Die entgegenstehende, von der rumänischen Finanzverwaltung vertretene Auffassung beurteilte der EuGH als neutralitätswidrig.
Zur Auslegung der MwStSystRL im Zusammenhang mit Konzernstrukturen sind aktuell weitere Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig. Im Fall Arcomet Towercranes geht es u.a. um die Frage, ob ein nach der Margenmethode der OECD-Verrechnungspreisleitlinien abzuschöpfender Betrag ein Entgelt für eine Leistung darstellt (EuGH-Vorlage vom 28.11.2023, C-726/23, Arcomet Towercranes). Zu den umsatzsteuerrechtlichen Implikationen von Verrechnungspreisanpassungen existiert bislang keine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung. Als Auslegungshilfe können die unverbindlichen Leitlinien der VAT Expert Group der EU-Kommission dienen, wonach Verrechnungspreisanpassungen keine umsatzsteuerrechtlichen Korrekturen auslösen (vgl. VEG, Working Paper No. 071 REV2 vom 18.04.2018, taxaud.c1(2018)2326098; VEG, Working Paper No. 932 vom 28.02.2017, taxud.c.1(2016)1280928). In der Sache Högkullen wurde der EuGH im Zusammenhang mit der Mindestbemessungsgrundlage um Vorabentscheidung zu der Frage ersucht, ob die gesamten Kosten einer Muttergesellschaft in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, wenn die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaften verwaltet und die Muttergesellschaft die gesamte Vorsteuer auf ihre Erwerbe abgezogen hat (EuGH-Vorlage vom 27.12.2023, C-808/23, Högkullen). Im Fall Stellantis Portugal soll der EuGH die Frage beantworten, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt die Anpassung eines Verkaufspreises zur Erzielung einer Mindestgewinnspanne umfasst, wenn die Anpassung durch eine Gutschrift verbrieft wurde (EuGH-Vorlage vom 16.09.2024, C-603/24, Stellantis Portugal).
EuGH, Urteil vom 12.12.2024, C‑527/23, Weatherford Atlas Gip
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