Das zum Entfallen der Wegzugsbesteuerung führende Tatbestandsmerkmal der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 AStG a.F. ist unabhängig von einer Rückkehrabsicht im Zeitpunkt des Wegzugs erfüllt, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitrahmens von fünf (aktuell: sieben) Jahren nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird (entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 14.05.2004).
Der Kläger zog nach Dubai und gab seinen inländischen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt auf. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs war der Kläger an mehreren im Inland ansässigen Kapitalgesellschaften beteiligt. Zwei Jahre nach dem Wegzug begründete der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in Deutschland. Finanzamt und FG setzten für das Jahr des Wegzugs steuerpflichtige Veräußerungsgewinne gem. § 6 Abs. 1 AStG i. V. m. § 17 EStG an. Sie vertraten die Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 3 AStG für ein Entfallen der Wegzugsbesteuerung nicht erfüllt seien, da es dem Kläger nicht gelungen sei, seinen Rückkehrwillen glaubhaft zu machen.
Entgegen der Auffassung des FG gelangt der BFH zu der Ansicht, dass die Voraussetzungen für einen Wegfall der Wegzugsbesteuerung erfüllt sind und im Jahr des Wegzugs folglich keine steuerpflichtigen Veräußerungsgewinne gem. § 6 Abs. 1 AStG i. V. m. § 17 EStG entstanden sind.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 6 Abs. 1 S. 1 AStG ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes endet, auf Anteile i.S. des § 17 Abs. 1 S. 1 EStG im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 EStG auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind (sog. Wegzugsbesteuerung).
Die Wegzugsbesteuerung entfällt jedoch unter bestimmten Voraussetzungen, wenn die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auf einer „nur vorübergehende Abwesenheit“ beruht und der Steuerpflichtige innerhalb von fünf (aktuell seit ATAD-UmsG: sieben) Jahren seit Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird (§ 6 Abs. 3 S. 1 AStG – sog. Rückkehrerregelung).
Tatbestandsmerkmal der „vorübergehenden Abwesenheit“
Welche inhaltliche Bedeutung dabei dem Tatbestandsmerkmal der „vorübergehenden Abwesenheit“ zukommt, ist umstritten. Nach Auffassung der Finanzverwaltung und Teilen der Literatur wird dieses Merkmal im Sinne einer „subjektiven Theorie“ dahin gedeutet, dass bereits im Zeitpunkt des Wegzugs der Wille des Steuerpflichtigen zur Rückkehr und damit der Wille, wieder unbeschränkt steuerpflichtig zu werden, bestehen muss, und dass dies glaubhaft zu machen ist (vgl. BMF-Schreiben vom 14.05.2004, Tz. 6.4.1). Im Schrifttum wird demgegenüber teilweise auch nach Maßgabe einer „objektiven Theorie“ die Auffassung vertreten, dass die tatsächliche fristgemäße Rückkehr des Steuerpflichtigen für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung ausreicht
Entfallen der Wegzugsbesteuerung bei tatsächlicher Rückkehr innerhalb von fünf Jahren
Der BFH schließt sich nun der letztgenannten Auffassung an. Auch wenn man aus dem durch einen bestimmten Zeitrahmen (§ 6 Abs. 3 S. 1 AStG a.F.: 5 Jahre) konkretisierten Tatbestandsmerkmal der „lediglich vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 S. 1 AStG das Erfordernis der Rückkehrabsicht ableitet, gibt der Wortlaut der Norm aus Sicht des BFH keine Auskunft zum Zeitpunkt der entsprechenden Willensbildung. Denn der Gesetzestext führe erst in § 6 Abs. 3 S. 2 AStG a.F. (jetzt § 6 Abs. 3 S. 3 AStG n.F.) im Rahmen der einzelfallbezogenen Verlängerung der Rückausnahmemöglichkeit eine solche „Rückkehrabsicht“ (verbunden mit der Notwendigkeit einer Glaubhaftmachung) für den Verlängerungszeitraum ausdrücklich an. Es kann demnach laut BFH nicht geschlussfolgert werden, dass eine entsprechende Absicht bereits im Zeitpunkt des Wegzugs bestehen muss. Mithin könne der Rückkehrwille nach § 6 Abs. 3 S. 1 AStG a.F. auch im Laufe des 5-Jahres-Zeitraums gebildet worden sein. Der Umstand der tatsächlichen (zeitgerechten) Rückkehr löse jedenfalls das Entfallen der Besteuerung aus und indiziere damit das Beruhen der Rückkehr auf einer ursprünglich bestehenden Rückkehrabsicht.
Ergebnis
Im zugrundeliegenden Streitfall beruhte die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers daher nach Auffassung des BFH nur auf einer „vorübergehenden Abwesenheit“, die zu einem Entfallen der Wegzugsbesteuerung führte.
§ 6 Abs. 3 AStG a.F.
Streitjahr 2014
Neue Rechtslage
Die Entscheidung betrifft § 6 AStG in der Fassung vor der Reform der Wegzugsbesteuerung durch das ATAD-Umsetzungsgesetz vom 25.06.2021 (siehe Deloitte Tax-News). Das o.g. Urteil sollte jedoch aufgrund der grundsätzlich wortlautidentischen Rückkehrerregelung des § 6 Abs. 3 AStG n.F. auch für die geltende Gesetzeslage Bedeutung haben. Lediglich die Rückkehrfrist wurde von 5 auf 7 Jahre erhöht.
Finanzgericht Münster, 31.10.2019, 1 K 3448/17 E, siehe Deloitte Tax News
BFH, Urteil vom 21.12.2022, I R 55/19
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