Zurück zur Übersicht
URL: http://www.deloitte-tax-news.de/steuern/internationales-steuerrecht/bfh-zustaendigkeiten-bei-freistellungs--und-erstattungsverfahren.html
12.04.2012
Internationales Steuerrecht

BFH: Zuständigkeiten bei Freistellungs- und Erstattungsverfahren

Einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft (hier eine französische S.A.S.), die bis zum 15.12.2004 nicht als Gesellschaft eines Mitgliedstaates anzusehen war, kann die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer nachträglich erstattet werden, wenn Einbehaltung und Abführung gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten verstößt. Zuständig für die Entscheidung über ein solches Erstattungsbegehren ist das Finanzamt und nicht das BZSt. Eine vorherige Freistellung von der Pflicht zur Einbehaltung und Abführung von Kapitalertragsteuer ist ausgeschlossen.

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "société par actions simplifiée" (S.A.S.). Sie ist alleinige Anteilseignerin einer inländischen GmbH, der F-GmbH. Am 13.06.2002 stellte die Klägerin bei dem Bundesamt für Finanzen (BfF) (seit dem 01.01.2006: Bundeszentralamt für Steuern, BZSt) einen Antrag auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung von der deutschen Abzugsteuer auf Kapitalerträge nach § 43b Abs. 1 i.V.m. § 50d Abs. 2 EStG 2002. Die Freistellungsbescheinigung wurde für den Zeitraum vom 13.06.2002 bis zum 31.05.2005 erteilt. Die F-GmbH sei als Schuldnerin der Kapitalerträge berechtigt, den Steuerabzug in ermäßigter Höhe von 5 % des Bruttoertrags vorzunehmen. Mit ihrem Einspruch gegen die erteilte Freistellungsbescheinigung beanspruchte die Klägerin die volle Freistellung von der Abzugsteuer. Die Klage blieb erfolglos.

Entscheidung

Das FG hat der Klägerin im Ergebnis zutreffend einen Freistellungsanspruch gemäß § 50d Abs. 2 EStG 2002 versagt.

Die von der F-GmbH im Streitjahr an die Klägerin ausgeschütteten Gewinne unterlagen als inländische Kapitalerträge der Kapitalertragsteuer (§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG 2002, § 31 Abs. 1 KStG 2002). Als Schuldnerin der Kapitalerträge hatte die F-GmbH den Steuerabzug für Rechnung der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin vorzunehmen. Für Ausschüttungen an die Klägerin als französische Muttergesellschaft gelten die Sonderregeln des § 43b EStG 2002, danach wird die Kapitalertragsteuer auf Antrag für Kapitalerträge nicht erhoben, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft zufließen. Für die mögliche Nichterhebung von Kapitalertragsteuer sieht § 50d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 ein Freistellungsverfahren beim BfF (nunmehr beim BZSt) vor, welches die Berechtigung zum Unterlassen des Steuerabzugs auf Antrag zu bescheinigen hat. Fehlt es an einer derartigen Freistellungsbescheinigung und wurde der Steuerabzug vom Kapitalertrag vorgenommen, kann der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge auf Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer durch entsprechenden Antrag geltend gemacht werden. Zuständig für die Entscheidung auch über diesen Antrag war ebenfalls das BfF bzw. ist ebenfalls das BZSt.

Vor diesem Regelungshintergrund war das BfF (und ist jetzt das BZSt) nicht verpflichtet, der Klägerin eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 50d Abs. 2 EStG 2002 zu erteilen. Die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung setzt voraus, dass die betreffenden Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen und nach § 43b EStG 2002 oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden können. Eine französische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer "societe par actions simplifiee" (S.A.S.) war bis zum 15.12.2004 nicht als "Gesellschaft eines Mitgliedstaats" i.S. von Art. 2 Buchst. a i.V.m. Buchst. f des Anhangs der Richtlinie 90/435/EWG anzusehen. Dividendenzahlungen an eine solche Gesellschaft durch ihre deutsche Tochtergesellschaft erfüllten damit weder unmittelbar noch analog die Voraussetzungen des § 43b Abs. 2 S. 1 EStG 2002 i.V.m. Anlage 2 Nr. 1 zu § 43b EStG 2002 (Anschluss an EuGH-Urteil vom 01.10.2009). Da in diesem Umstand kein Verstoß gegen Unionsrecht zu sehen ist (EuGH-Urteil vom 01.10.2009), verbietet es sich, § 43b EStG 2002 und den dazu ergangenen, abschließenden Katalog begünstigter Kapitalgesellschaften aus verfassungs- oder unionsrechtlichen Gründen erweiternd oder aber aufgrund der Annahme einer Regelungslücke analog auf die hier in Rede stehende Gesellschaftsform anzuwenden.

Die Klägerin wendet sich allerdings zu Recht dagegen, dass Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, in Deutschland anders als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen werden, weil die einbehaltene Kapitalertragsteuer bei ihr weder angerechnet noch vergütet wird, sondern abgeltenden Charakter hat und bei ihr definitiv wird (siehe BFH-Urteil vom 22.04.2009). Der Unionsrechtsverstoß kann zwar prinzipiell gerechtfertigt werden, indem Deutschland sich mit dem Ansässigkeitsstaat des Dividendenempfängers bilateral darauf verständigt, dass jener Staat die deutsche Quellensteuer in voller Höhe anrechnet oder erstattet (vgl. EuGH-Urteil vom 20.10.2011 und BFH-Urteil vom 22.04.2009). Das aber ist im Hinblick auf Frankreich nicht geschehen.

Für die Verfahrenskonstellation des Streitfalls hilft dieser materiell-rechtliche Befund der Klägerin indessen nicht weiter. Denn deren Begehren stützt sich insoweit nicht auf § 43b Abs. 1 EStG 2002 und somit auch nicht unmittelbar auf das tatbestandlich vorgegebene Verfahren nach § 50d Abs. 2 EStG 2002. Es stützt sich vielmehr darauf, dass der Steuerabzug als solcher abweichend von einer vergleichbaren Inlandskonstellation bei der ausländischen Muttergesellschaft definitiv wird und deswegen gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. In dieser Situation ist die Einleitung des Freistellungsverfahrens nach § 50d Abs. 2 EStG 2002 ausgeschlossen (vgl. auch § 43b Abs. 2 S. 3 letzter Halbsatz EStG 2002). Nicht anders als Steuerinländer ist die Klägerin vielmehr gehalten, den Steuerabzug zunächst hinzunehmen (vgl. § 43 Abs. 1 S. 3 EStG 2002) und ihr Begehren sodann im Rahmen eines (nachträglichen) Erstattungsverfahrens auf anderer Rechtsgrundlage durchzusetzen (vgl. zur Abgrenzung auch Senatsurteil vom 11.11.2000). Die Entscheidungszuständigkeit darüber obliegt dem örtlich und sachlich zuständigen Finanzamt (vgl. § 20 Abs. 3 und 4 AO), nicht aber dem BZSt, dessen Sachzuständigkeit im Finanzverwaltungsgesetz abschließend bestimmt wird. Die Zuständigkeit des BZSt beschränkt sich im Sinne einer funktionalen Aufgabenteilung auf die positiv-rechtlich angeordneten Anwendungsfälle. Freistellungen und Erstattungen von Kapitalertragsteuer, welche darüber hinausgehen und welche sich auf eine andere Rechtsgrundlage stützen, sind institutionell hingegen allein vom zuständigen Finanzamt zu verantworten. Sie lassen sich weder kraft einer Art "Annexkompetenz" noch einer zuständigkeitsbegründenden Analogie auf das BZSt übertragen.

Anmerkungen

Wird auf Dividenden inländischer Kapitalgesellschaften Kapitalertragsteuer einbehalten, wird nach geltender Rechtslage eine in einem EU-Mitgliedstaat ansässige Kapitalgesellschaft hinsichtlich der Belastung durch deutsche Kapitalertragsteuer gegenüber einer im Inland ansässigen Kapitalgesellschaft benachteiligt. Für eine in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtige ausländische Kapitalgesellschaft wird die - ggf. nach teilweiser Erstattung gemäß § 44a Abs. 9 EStG i.V.m § 50d Abs. 3 EStG - verbleibende Kapitalertragsteuer zur definitiven Belastung, da insoweit § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG die abgeltende Wirkung der Kapitalertragsteuer anordnet.

Betroffene ausländische Gesellschaften können auf der Basis der EU-Kapitalverkehrsfreiheit und der in diesem Zusammenhang ergangenen Urteile des EuGH (EuGH, Urteil vom 14.12.2006 - C-170/05 (Denkavit), EuGH, Urteil vom 08.11.2007 - C-379/05 (Amurta), EuGH, Urteil vom 18.06.2009 - C-303/07 (Aberdeen), EuGH, Urteil vom 06.10.2011 - C-493/09 (Kommission/Portugal) und zuletzt zur Frage EuGH, Urteil vom 20.10.2011 - C-284/09 Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland (siehe Deloitte Tax-News) die Reduzierung der deutschen Kapitalertragsteuer von der Bundesrepublik Deutschland verlangen.

Das vorliegende BFH-Urteil vom 11.01.2012, I R 25/10 setzt die bisherige Rechtsprechung des BFH zur Frage fort, welcher verfahrensrechtliche Weg zur Reduzierung der Kapitalertragsteuer einschlägig ist. Weder die Abgabenordnung noch die Steuergesetze enthalten eine spezielle Regelung dazu, welches Verfahren zur Erstattung unionsrechtswidrig belastender Kapitalertragsteuer anwendbar ist. Entsprechend umstritten ist diese Frage in der Fachliteratur. Insbesondere wird die Frage aufgeworfen, ob ein Antrag auf Freistellung oder auf Erstattung zu stellen ist oder die Veranlagung und damit eine Erstattung der Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 4 EStG herbeizuführen ist.

Der BFH schließt nunmehr explizit die Möglichkeit aus, ein Freistellungsverfahren gemäß § 50d Abs. 2 EStG herbeizuführen. Inzident gibt der BFH auch zu erkennen, dass er den Veranlagungsweg nicht für erforderlich hält, in dem er die ausländische Gesellschaft auf ein Erstattungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 50d Abs. 1 S. 2 EStG 2002 verweist.

Zuständig dafür ist nach Auffassung des BFH nicht das BZSt sondern das örtlich und sachlich gemäß § 20 Abs. 3, 4 AO zuständige Finanzamt. Leider bietet das Urteil keine Anhaltspunkte hinsichtlich der Frage der in der Praxis häufig schwierigen Bestimmung der zuständigen Finanzämter, insbesondere in Fällen, in denen mehrere inländische Dividenden bezogen wurden. Die Veröffentlichung eines weitere BFH-Urteils in dem parallell anhängigen Verfahren (I R 30/10, Vorinstanz Finanzgericht Köln, Urteil vom 28.01.2010, 2 K 4328/03) steht derzeit noch aus. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH in dieser Entscheidung Ausführungen zur Frage der Bestimmung des für die Erstattungsanträge zuständigen Finanzamts nach § 20 Abs. 3, 4 AO macht.

Bislang sind, soweit ersichtlich, keine Erstattungen unionsrechtswidriger Kapitalertragsteuern erfolgt. Es bleibt zu hoffen, dass die Finanzverwaltung die EuGH-Entscheidung aus das Urteil zum Anlass nimmt, verwaltungsintern eine Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage herbeizuführen und die Bearbeitung der Erstattungsanträge zu beginnen.

Vorinstanz

Finanzgericht Köln, Urteil vom 28.01.2010, 2 K 4220/03

Betroffene Norm

 § 43b Abs. 1 EStG, § 43b EStG 2002, § 50d Abs. 2 EStG
Streitjahr 2002

Fundstelle

BFH, Urteil vom 11.01.2012, I R 25/10

Weitere Fundstellen

EuGH, Urteil vom 01.10.2009, C-247/08, „Gaz de France“, Slg. 2009, I-9225
EuGH, Urteil vom 20.10.2011,C-284/09 "Kommission ./. Deutschland", DStR 2011, S. 2038
BFH, Urteil vom 22.04.2009, I R 53/07, BFHE 224, S. 556
BFH, Urteil vom 11.10.2000, I R 34/99, BStBl II 2001, S. 291
Finanzgericht Köln, Urteil vom 28.01.2010, 2 K 4328/03, EFG 2011, S. 809; bestätigt durch BFH, Urteil vom 11.01.2012, I R 30/10 (NV), siehe Deloitte Tax-News

Englische Zusammenfassung

www.deloitte-tax-news.de Diese Mandanteninformation enthält ausschließlich allgemeine Informationen, die nicht geeignet sind, den besonderen Umständen eines Einzelfalles gerecht zu werden. Sie hat nicht den Sinn, Grundlage für wirtschaftliche oder sonstige Entscheidungen jedweder Art zu sein. Sie stellt keine Beratung, Auskunft oder ein rechtsverbindliches Angebot dar und ist auch nicht geeignet, eine persönliche Beratung zu ersetzen. Sollte jemand Entscheidungen jedweder Art auf Inhalte dieser Mandanteninformation oder Teile davon stützen, handelt dieser ausschließlich auf eigenes Risiko. Deloitte GmbH übernimmt keinerlei Garantie oder Gewährleistung noch haftet sie in irgendeiner anderen Weise für den Inhalt dieser Mandanteninformation. Aus diesem Grunde empfehlen wir stets, eine persönliche Beratung einzuholen.

This client information exclusively contains general information not suitable for addressing the particular circumstances of any individual case. Its purpose is not to be used as a basis for commercial decisions or decisions of any other kind. This client information does neither constitute any advice nor any legally binding information or offer and shall not be deemed suitable for substituting personal advice under any circumstances. Should you base decisions of any kind on the contents of this client information or extracts therefrom, you act solely at your own risk. Deloitte GmbH will not assume any guarantee nor warranty and will not be liable in any other form for the content of this client information. Therefore, we always recommend to obtain personal advice.