Zurück zur Übersicht
URL: http://www.deloitte-tax-news.de/steuern/internationales-steuerrecht/fg-koeln-anspruch-auf-verzinsung-der-unionsrechtswidrig-einbehaltenen-kapitalertragsteuer.html
19.11.2020
Internationales Steuerrecht

FG Köln: Anspruch auf Verzinsung der unionsrechtswidrig einbehaltenen Kapitalertragsteuer

Die ab 2012 anwendbare Fassung des § 50d Abs. 3 EStG verstößt sowohl gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit. Im Rahmen einer sog. geltungserhaltenden Reduktion ist § 50d Abs. 3 EStG weiterhin anzuwenden; allerdings nur auf Fälle einer rein künstlichen Gestaltung. Darüber hinaus ist die Erstattung der unionsrechtswidrig einbehaltenen Kapitalertragsteuer mit 6% p.a. zu verzinsen. 

Hintergrund

 Mit Urteil vom 20.12.2017 (C 504/16 (Deister Holding) und C 613/16 (Juhler Holding)) hatte der EuGH bestätigt, dass die deutsche Missbrauchsvorschrift in § 50d Abs. 3 EStG a.F. (anwendbar bis 2011) sowohl gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie als auch gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. In dem Verfahren 2 K 773/16 hatte der EuGH diese Entscheidung mit Beschluss vom 14.06.2018 (C 440/17, GS) auch für die ab 2012 anwendbare Fassung des § 50d Abs. 3 EStG übertragen.

Mit Datum vom 04.04.2018 hatte das BMF ein Schreiben hinsichtlich der unionsrechtskonformen Auslegung des § 50d Abs. 3 EStG veröffentlicht. Nach diesem BMF-Schreiben soll § 50d Abs. 3 EStG a.F. (anwendbar bis 2011) in den Fällen, in denen der Gläubiger der Kapitalerträge einen Anspruch auf Entlastung nach § 43b EStG geltend macht, nicht mehr angewandt werden. Die ab 2012 anwendbare Fassung des § 50d Abs. 3 EStG soll nach dem BMF-Schreiben allerdings weiterhin eingeschränkt angewandt werden. Es gelten folgende Einschränkungen:

  • § 50d Abs. 3 S. 2 EStG (Merkmalsübertragung im Konzern) und die dazu betreffenden Ausführungen des BMF-Schreibens vom 24.01.2012 (Tz. 6 und 8) sollen keine Anwendung finden (im Einzelfall können dennoch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen)
  • Eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr iSd § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG kann auch bei Verwaltung von Wirtschaftsgütern vorliegen; dafür müssen bei passiver Beteiligungsverwaltung (Tz. 5.2 des BMF-Schreibens vom 24.01.2012) zumindest die Rechte als Gesellschafterin tatsächlich ausgeübt werden
  • Ein angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb iSd § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 setzt nicht zwingend die ständige Beschäftigung geschäftsleitenden und anderen Personals voraus.

​Sowohl die Nichtanwendung von § 50d Abs. 3 EStG a.F. (anwendbar bis 2011) als auch die Einschränkung in der Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG (anwendbar ab 2012) soll nach dem BMF-Schreiben lediglich für Ansprüche nach § 43b EStG (d.h. der Mutter-Tochter-Richtlinie) gelten. Andere Erstattungs- bzw. Freistellungsansprüche (etwa nach § 50g oder einem DBA) werden im BMF-Schreiben nicht genannt, sodass davon auszugehen ist, dass insoweit § 50d Abs. 3 EStG a.F. (bis 2011) und § 50d Abs. 3 EStG (ab 2012) weiterhin anwendbar bleiben.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine in den Niederlanden ansässige B.V., hält 100% der Geschäftsanteile an der inländischen A-GmbH und agiert als Holding. An der Klägerin ist die X-S.A.S. zu 49 % beteiligt, deren Anteile wiederum mittelbar zu 100% von einer französischen Konzernobergesellschaft, einem börsennotierten Unternehmen i.S. des § 50d Abs. 3 S. 5 EStG, gehalten werden.

Zudem ist die Z-C.V., eine vermögensverwaltende Personengesellschaft niederländischen Rechts, welche sowohl nach niederländischem wie auch nach deutschem Recht steuerlich transparent ist, zu 51 % an der Klägerin beteiligt. Gesellschafter der Z-C.V. ist zum einen zu 0,01 % eine französische Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer S.A.S., deren Anteile zu 100 % von der französischen Konzernobergesellschaft gehalten werden, und zum anderen zu 99,99 % die inländische B-GmbH, deren Anteile wiederum mittelbar zu 100% von der französischen Konzernobergesellschaft gehalten werden. Der Sachverhalt entspricht damit strukturell dem in der Rechtssache GS streitgegenständlichen Sachverhalt einer „Mäander-Struktur“.

Bei der von der A-GmbH an die Klägerin ausgeschütteten Dividende wurden Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten, da das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung i.S. des § 50d Abs. 2 EStG verweigerte. Daraufhin beantragte die Klägerin gemäß § 50d Abs. 1 EStG die Erstattung dieser Kapitalertragsteuer. Das BZSt erstattete jedoch nur einen Betrag i.H.v. 49 %, welcher dem Geschäftsanteil der X-S.A.S. an der Klägerin entspricht.  

Entscheidung

Das FG gelangt zu dem Ergebnis, dass die Erteilung der Freistellungsbescheinigung nicht im Hinblick auf § 50d Abs. 3 EStG zu versagen ist. Ferner spricht das FG der Klägerin einen auf Unionsrecht gestützten Anspruch auf Verzinsung der zu erstattenden Kapitalertragsteuer zu.

Unionsrechtliche Modifikation des § 50d Abs. 3 EStG

Nach der EuGH-Rechtsprechung verstößt § 50d Abs. 3 EStG gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV und die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (vgl. EuGH-Urteile vom 20.12.2017, C 504/16 (Deister Holding) und C 613/16 (Juhler Holding) sowie EuGH-Beschluss vom 14.06.2018, C-440/17 (GS)). Die Verletzung der Grundfreiheiten führt indes nach Ansicht des FG nicht dazu, dass die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG überhaupt nicht anzuwenden ist. Vielmehr sei sie im Lichte der EU-Grundfreiheiten geltungserhaltend auszulegen. Demgemäß sei dem Steuerpflichtigen mit Blick auf § 50d Abs. 3 EStG und vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH der unionsrechtlich gebotene Gegenbeweis (Motivtest) über einen mangelnden Gestaltungsmissbrauch im Einzelfall zu eröffnen (vgl. so zu §§ 7 ff. AStG: BFH-Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15). 

Keine Missbrauchsvermutung im zugrundeliegenden Streitfall

Gegen die Annahme einer künstlichen Gestaltung und damit gegen die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG spricht nach Auffassung des FG, dass die inländische B-GmbH, die mittelbar zu 51% an der Klägerin beteiligt ist bei der eigenen Veranlagung einen Anspruch auf Anrechnung der Kapitalertragsteuer hätte. Würde die im Inland ansässige B-GmbH, die mittelbare Gesellschafterin der Klägerin ist, die Dividenden unmittelbar und ohne Zwischenschaltung der Klägerin sowie der Z-C.V. beziehen, würden die Dividenden bei ihr als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG der deutschen Körperschaftsteuer unterliegen. Ihr würde dabei die auf die Dividenden an der Quelle gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 EStG einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer auf ihre Körperschaftsteuer angerechnet (§ 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Angesichts dessen besteht für die B-GmbH mit Blick auf die Zwischenschaltung der Klägerin und der Z-C.V. kein wirtschaftlicher Vorteil bezüglich der Kapitalertragsteuerbelastung, so das FG. Bei dem anderen mittelbaren Gesellschafter ist die Anwendung des § 50d Abs. 2 EStG wegen der Börsennotierung gemäß § 50d Abs. 3 S. 5 EStG ausgeschlossen. 

Soweit die Versagung der Freistellung auf die 51%ige Beteiligung der Z-C.V. an der Klägerin und die hieran wiederum zu 0,01 % beteiligte französische Kapitalgesellschaft zurückzuführen ist, ist nach Ansicht des FG ebenfalls nicht von einer Missbrauchskonstellation auszugehen. Denn die beteiligte französische Kapitalgesellschaft ist ihrerseits eine 100%ige Tochter der französischen börsennotierten Konzernobergesellschaft. Bei dieser würde die Kapitalertragsteuer im Falle einer unmittelbaren Beteiligung an der A-GmbH erstattet werden, da die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG gemäß § 50d Abs. 3 S. 5 EStG bei einer unmittelbaren Beteiligung der französischen Konzernobergesellschaft an der deutschen A-GmbH ausgeschlossen wäre, so dass – unabhängig von der EU-Rechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG – insoweit ebenfalls die Versagung der Freistellung nicht begründet ist.

Begründung eines unionsrechtlichen Anspruchs auf Erstattungszinsen

Das FG geht darüber hinaus von einem unmittelbar aus dem Unionsrecht begründeten Anspruch auf Verzinsung der unionsrechtswidrig einbehaltenen Kapitalertragsteuer in Höhe von 6 % p. a. aus (vgl. EuGH-Urteil vom 18.04.2013, C-565/11). Der Zinslauf beginnt nach Ansicht des FG ab dem Tag der zu Unrecht geleisteten Abgabenzahlung; im vorliegenden Fall ab dem Tag nach der Einreichung des Erstattungsantrags im Februar 2017.

Betroffene Normen

​§ 50d Abs. 3 EStG, ​Art. 49 AEUV

Streitjahr 2015 - 2017

Fundstelle

Finanzgericht Köln, Urteil vom 30.06.2020, 2 K 140/18

Weitere Fundstellen

​EuGH, Beschluss vom 14.06.2018, C 440/17, GS, IStR 2018, S. 543, siehe Deloitte Tax-News

EuGH, Urteil vom 20.12.2017, C 504/16 (Deister Holding) und C 613/16 (Juhler Holding), IStR 2018, S. 197, siehe Deloitte Tax-News

BMF, Schreiben vom 04.04.2018, IStR 2018, S. 324, siehe Deloitte Tax News

BMF, Schreiben vom 24.01.2012, IV B 3 - S 2411/07/10016, BStBl. I 2012, S. 171

BFH, Urteil vom 13.06.2018, I R 94/15, BFHE 262, S. 79, siehe Deloitte Tax-News

EuGH, Urteil vom 18.04.2013, C-565/11, BB 2013, S. 1045​ 

www.deloitte-tax-news.de Diese Mandanteninformation enthält ausschließlich allgemeine Informationen, die nicht geeignet sind, den besonderen Umständen eines Einzelfalles gerecht zu werden. Sie hat nicht den Sinn, Grundlage für wirtschaftliche oder sonstige Entscheidungen jedweder Art zu sein. Sie stellt keine Beratung, Auskunft oder ein rechtsverbindliches Angebot dar und ist auch nicht geeignet, eine persönliche Beratung zu ersetzen. Sollte jemand Entscheidungen jedweder Art auf Inhalte dieser Mandanteninformation oder Teile davon stützen, handelt dieser ausschließlich auf eigenes Risiko. Deloitte GmbH übernimmt keinerlei Garantie oder Gewährleistung noch haftet sie in irgendeiner anderen Weise für den Inhalt dieser Mandanteninformation. Aus diesem Grunde empfehlen wir stets, eine persönliche Beratung einzuholen.

This client information exclusively contains general information not suitable for addressing the particular circumstances of any individual case. Its purpose is not to be used as a basis for commercial decisions or decisions of any other kind. This client information does neither constitute any advice nor any legally binding information or offer and shall not be deemed suitable for substituting personal advice under any circumstances. Should you base decisions of any kind on the contents of this client information or extracts therefrom, you act solely at your own risk. Deloitte GmbH will not assume any guarantee nor warranty and will not be liable in any other form for the content of this client information. Therefore, we always recommend to obtain personal advice.