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26.03.2012
Internationales Steuerrecht

FG Köln: Ernsthafte europarechtliche Bedenken an der gewinnerhöhenden Auflösung eines passiven Merkposten bei ausländischen Betriebsstätten

An der gewinnerhöhenden Auflösung eines passiven Merkpostens nach Ablauf von zehn Jahren, der aufgrund der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte gebildet wurde, bestehen ernstliche Zweifel in Bezug auf die Niederlassungsfreiheit.

Sachverhalt

Die Klägerin gründete im Jahre 1997 eine Betriebsstätte in Belgien. Im Jahre 1998 wurden die im Gesamthandsvermögen der Klägerin befindlichen Aktien der A, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Belgien, kraft Funktionszusammenhang der belgischen Betriebsstätte zugeordnet. Im Rahmen der Veranlagung des Jahres 1998 aktivierte das Finanzamt im Zusammenhang mit der Überführung der Aktien in die ausländische Betriebsstätte die stillen Reserven bei der Klägerin. Gleichzeitig bildete das Finanzamt (unter Bezugnahme der Billigkeitsregelungen im Betriebsstättenerlass vom 24.12.1999, Tz. 2.6.1) in entsprechender Höhe einen passiven Ausgleichsposten, der spätestens nach zehn Jahren aufzulösen und zu versteuern sei. Im Jahr 1998 waren daher keine steuerlichen Folgen zu ziehen. Im Rahmen der Veranlagung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2008 löste das Finanzamt den gebildeten passiven Ausgleichsposten schließlich gewinnerhöhend auf.

Gegen die Bescheide legte die Klägerin jeweils Einspruch ein, den das Finanzamt als unbegründet zurückwies. Zugleich stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, der ebenfalls zurückgewiesen wurde. Gegen die Einspruchsentscheidung wandte sich die Antragstellerin mit Klage und stellte den gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.

Entscheidung

Der Senat hat offen gelassen, ob die von der Klägerin angesprochene Rückwirkungsproblematik dazu führe, dass aus diesem Grund Zweifel an der Rechtmäßigkeit der in der Hauptsache angefochtenen Bescheide bestehe.

Für den Senat bestehen nach summarischer Prüfung aber Zweifel daran, ob die angefochtenen Verwaltungsakte auf Basis der von dem Finanzamt angewendeten Rechtsnormen mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) in Einklang stehen. Nach der Rechtsprechung des BFH können Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes wegen eines möglichen Verstoßes gegen den EG-Vertrag einen Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung begründen (Urteil vom 17.05.2005). Dies gelte damit auch für einen möglichen Verstoß gegen den nunmehr geltenden Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV).

Auch das FG Rheinland-Pfalz habe den Betriebsstättenerlass unter Bezugnahme auf weite Teile des Schrifttums insoweit als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) angesehen, als die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zu einer Betriebsstätte im EU-Ausland zu einer Besteuerung der stillen Reserven führt, während dies bei reinen Inlandssachverhalten nicht geschieht (Urteil vom 17.01.2008). Der BFH hat diese Frage im anschließenden Revisionsverfahren offen gelassen, da er nach Aufgabe der finalen Entnahmetheorie nicht mehr von einem Besteuerungstatbestand ausging (Urteil vom 28.10.2009). Die nunmehr durch den Gesetzgeber angeordnete Regelung der Besteuerung von stillen Reserven bei Übertragung von Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten werde durch große Teile der Literatur allerdings weiterhin als unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit angesehen. Die Gegenauffassung ist der Ansicht, dass Deutschland sich auf den Rechtfertigungsgrund der „Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse“ stützen könne und aus diesem Grund ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit nicht vorliege.

Vor diesem Hintergrund hat der Senat nach summarischer Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte, da die Vereinbarkeit der Versteuerung der stillen Reserven durch Auflösung des Ausgleichspostens mit dem Europarecht in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert wird. Hierzu abschließend eine Entscheidung zu treffen, bleibt einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, so dass die angefochtenen Verwaltungsakte von der Vollziehung auszusetzen sind.

Betroffene Norm

§§ 4 Abs. 1, 4g EStG, Art. 49 AEUV
Streitjahr 2008

Fundstelle

Finanzgericht Köln, Beschluss vom 16.11.2011, 10 V 2336/11

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 17.07.2008, I R 77/06, BStBl 2009 II, S. 464
BFH, Urteil vom 17.05.2005, I B 108/04, BFH/NV 2005, S. 1778
BFH, Urteil vom 28.10.2009, I R 28/08, BFH/NV 2010, S. 432
Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17.01.2008, 4 K 1347/03, EFG 2008, S. 680
BMF, Schreiben vom 24.12.1999, IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl 1999 I, S. 1076 („Betriebsstättenerlass“)

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