Eine Funktionsverlagerung liegt nicht vor, wenn weder Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile oder Geschäftschancen übertragen werden noch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Übertragung der Befähigung, eine Funktion auszuüben, besteht.
Die Z-Gesellschaft ist die Muttergesellschaft in einem weltweit agierenden Konzern. Auf Konzernebene wurde beschlossen, die Produktion bei der Tochtergesellschaft X am Standort A einzustellen und die Produktion künftig weitestgehend am Standort B durch die Konzerngesellschaft Y durchzuführen. Die Produktionsanlagen wurden, soweit sie in A keine andere Verwendung fanden, von der X an Schwestergesellschaften verkauft. Die Schließungskosten wurden von der Y getragen. Es erfolgte keine Entschädigung für die Einstellung der Produktion der X.
Das Finanzamt behandelte den Vorgang als eine Funktionsverlagerung auf die Y und berechnete ein Transferpaket, das zu einer Einkommenserhöhung führte.
Das FG kommt entgegen der Auffassung des Finanzamtes zu dem Ergebnis, dass keine Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG a.F. vorliegt. Auch der Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) sei nicht gerechtfertigt.
Keine verdeckte Gewinnausschüttung
Der Ansatz einer vGA sei allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil im Streitfall ein Anwendungsfall des § 1 AStG vorliegt. § 1 Abs. 1 S. 1 AStG schreibt den Fremdvergleichsgrundsatz unbeschadet anderer Vorschriften fest und ordnet eine Einkünftekorrektur an, soweit eine Einkünfteminderung aufgrund der fremdunüblichen Bedingungen eingetreten ist.
Unter einer vGA gem. § 8 Abs. 3 S. 2 KStG ist bei einer Kapitalgesellschaft eine Vermögensminderung oder verhinderte Vermögensmehrung zu verstehen, die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrages gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang zu einer offenen Ausschüttung steht.
Im Streitfall kommt nach dem FG lediglich eine verhinderte Vermögensmehrung in Betracht und zwar in Gestalt einer Überlassung einer Geschäftschance. Unter einer Geschäftschance ist nach dem FG die Aussicht zu verstehen, aus einem (tatsächlichen oder einem sich erst anbahnenden) Geschäft, ggf. auch aus einer betrieblichen Funktion, zukünftig Gewinne zu erzielen. Voraussetzung ist dabei, dass die so verstandene Chance hinreichend verselbständigt ist und von anderen Wirtschaftsgütern unterschieden werden kann. Die Chance muss über ein gewisses Gewinnpotential verfügen, für das einerseits ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter gewöhnlich ein Entgelt einfordern würde, und für das ein fremder Dritter bereit wäre, ein entsprechendes Entgelt zu leisten (vgl. auch u.a. BFH-Beschluss vom 09.07.2003, I B 194/02). In aller Regel handele es sich bei der Geschäftschance folglich um ein immaterielles Wirtschaftsgut, wie einen Kunden- oder Mandantenstamm, ein Belieferungsrecht oder einen bestimmten Exportmarkt, der entgeltlich übertragen werden kann. Der Vorteil müsse jedoch stets derart konkretisiert sein, dass er für die Beteiligten auch eigenständig bewertbar ist.
Nach dem FG fehlt es im Streitfall allerdings an einer solchen Geschäftschance i. S. d. § 8 Abs. 3 KStG. Es sei keine konkrete Überlassung einer Gewinnchance in Gestalt einer vermögenswerten Position durch die X ersichtlich. Denn es lagen keine vertraglichen Zusagen durch die Konzernmutter gegenüber der X vor, die ihr eine werthaltige Rechtsposition oder eine bestimmte Auftragszuteilung gesichert hätten. Die Gewinne der X resultierten überwiegend aus der Produktion und Belieferung von konzerneigenen Vertriebsgesellschaften aufgrund von Aufträgen, die der X durch die Konzernmutter ohne Rechtsanspruch auf Beibehaltung der Auftragsmenge zugeteilt wurden. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, die konzerninterne Auftragszuteilung an die X wegen der gesunkenen Auftragslage im Konzern entschädigungslos zu reduzieren. Die X hatte demnach, so das FG, keine eigenständige Geschäftschance, die sie hätte überlassen können. Eine vGA sei demnach abzulehnen.
Keine Funktionsverlagerung
Auch eine Einkünftekorrektur aufgrund einer Funktionsverlagerung gem. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG scheidet aus, so das FG.
Eine solche Funktionsverlagerung liegt gem. § 1 Abs. 3 S. 9 AStG a.F. vor, wenn "eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken und der mit übertragenen oder überlassenen Wirtschaftsgüter und sonstigen Vorteile verlagert" wird. Nach dem ergänzenden § 1 Abs. 2 FVerlV a.F. ist dies der Fall, wenn "ein Unternehmen (verlagerndes unternehmen) einem anderen, nahe stehenden Unternehmen (übernehmendes Unternehmen) Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken überträgt oder zur Nutzung überlässt, damit das übernehmende Unternehmen eine Funktion ausüben kann, die bisher von dem verlagernden Unternehmen ausgeübt worden ist, und dadurch die Ausübung der betreffenden Funktion durch das verlagernde Unternehmen eingeschränkt wird".
Im Streitfall scheitere die Funktionsverlagerung zunächst nicht am Bestehen der Funktion. Eine Funktion wird von § 1 Abs. 1 FVerlV definiert als "Geschäftstätigkeit, die aus einer Zusammenfassung gleichartiger betrieblicher Aufgaben besteht, die von bestimmten Stellen oder Abteilungen eines Unternehmens erledigt werden." Im Streitfall läge eine solche Funktion vor, da auf eine Produktlinie und damit auf einen wesentlichen Geschäftsbereich der X abgestellt werden könnte.
Allerdings liegt nach dem FG dennoch keine Funktionsverlagerung vor, da weder Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile sowie Geschäftschancen von der X auf die Y übertragen worden sind noch eine kausale Verknüpfung zwischen der Übertragung von Vorteilen im weitesten Sinne und der Übertragung der Befähigung, eine Funktion auszuüben, besteht. X hatte Wirtschaftsgüter im Rahmen entgeltlicher fremdvergleichsgerechter Geschäfte ohne Beteiligung der Y lediglich auf Dritte übertragen. Auch immaterielle Wirtschaftsgüter wurden nicht von X auf Y übertragen. Wie sich aus den Cost Sharing Agreements ergebe, standen die jeweiligen technischen Entwicklungen sowohl der X als auch der Y zu. Damit konnte die Y auch ohne die X auf die Patente und das technische Wissen zugreifen und selbständig derartige Produkte fertigen, so das FG. Auch sei kein Kundenstamm übertragen worden, da Y ihrerseits bereits einen eigenen Zugriff auf dieselben Kundenbeziehungen zu ihren Töchtern hatte. Da Y bereits vor der Aufgabe des Standorts A selbst entsprechende Produkte gefertigt und vertrieben hatte, fehle es darüber hinaus auch noch an der kausalen Verknüpfung der Überlassung von Wirtschaftsgütern und/oder sonstigen Vorteilen mit der Möglichkeit der Ausübung einer Funktion.
§ 8 Abs. 3 S. 2 KStG, § 1 Abs. 3 S. 9 AStG a.F., § 1 Abs. 1, Abs. 2 FVerlV a.F,
Einordnung des Urteils und Bedeutung auch für die aktuelle Rechtslage
Bislang gibt es noch recht wenig Rechtsprechung zum Themenkomplex der Funktionsverlagerung. Die oben dargestellte Entscheidung enthält nun erste, praxisrelevante Ausführungen zu diesem Thema.
Das Urteil ist zwar nicht zur aktuellen Rechtlage ergangen. Nichtsdestotrotz hat das Urteil auch Bedeutung für die aktuell geltende Rechtslage. Mit dem Abzugssteuer-entlastungsmodernisierungsgesetz vom 02.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1259, siehe Deloitte Tax News) wurde die bisherige Vorschrift zur Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 S. 9 AStG a.F.) mit Wirkung zum 01.01.2022 im neuen § 1 Abs. 3b AStG aufgenommen. Gemäß § 1 Abs. 3b AStG liegt eine Funktionsverlagerung vor, wenn eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile verlagert wird.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.03.2023, 10 K 310/19, BFH-anhängig: I R 43/23
BFH, Beschluss vom 09.07.2003, I B 194/02, BFH/NV 2003, S. 1349
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