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25.11.2010
Private Einkommensteuer

BFH: Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern verfassungsgemäß

Sachverhalt

Der Kläger erhielt Kindergeld für seine im Oktober 1983 geborene Tochter, die seit dem Wintersemester 2006/2007 studierte. Die Familienkasse hob die Festsetzung von Kindergeld ab November 2008 auf, weil die Tochter im Oktober 2008 das 25. Lebensjahr vollenden werde. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FG wies die Klage ab. Es entschied, Kindergeld werde für den Streitzeitraum ab November 2008 nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt.

Entscheidung

Die Tochter des Klägers hat das 25. Lebensjahr im Oktober 2008 vollendet und damit die Altersgrenze des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG überschritten. Sie kann daher ab November 2008 nicht mehr als Kind berücksichtigt werden. Gegen die Absenkung der Altersgrenze vom 27. auf das 25. Lebensjahr bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Absenkung verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums. Für Kinder, die sich in Ausbildung befinden und die Altersgrenze in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG überschritten haben, werden weder Kindergeld noch Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG gewährt. Dies galt gleichermaßen bis zum 31.12.2006 bei Vollendung des 27. und nach Absenkung der Altersgrenze durch das StÄndG 2007 ab der Vollendung des 25. Lebensjahres. Stattdessen können die Eltern ihre tatsächlichen (typischen) Unterhaltsleistungen als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 EStG abziehen.

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht verpflichtet, Kindergeld oder -freibeträge in jedem Falle bis zum Abschluss der Ausbildung zu gewähren. Dies hat er auch in der Vergangenheit nicht getan, ohne dass dies in beachtlicher Weise infrage gestellt worden wäre. Denn auch vor Inkrafttreten des StÄndG 2007 gelang es nicht allen Kindern, ihre Ausbildung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres abzuschließen. Jede Altersgrenze bewirkt mithin zwangsläufig, dass die Förderung in einigen Fällen vor Abschluss der Ausbildung endet.

Die Absenkung der Altersgrenze verstößt auch nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgende Rückwirkungsverbot. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nicht ohne besondere Rechtfertigung nachträglich belastend ändern. Steuergesetze, die eine Vergünstigung einschränken oder aufheben, dürfen ihre Wirksamkeit daher grundsätzlich nicht auf bereits abgeschlossene Tatbestände erstrecken oder schutzwürdiges Vertrauen ohne hinreichende Rechtfertigung anderweitig enttäuschen. Das jeweilige Vertrauen in die bestehende günstige Rechtslage und die öffentlichen Belange, die eine nachteilige Änderung rechtfertigen, sind daher gegeneinander abzuwägen (BVerfG-Beschluss vom 05.02.2002). Für zukünftige Sachverhalte kann der Gesetzgeber das Recht dagegen grundsätzlich ohne Beschränkungen aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Vertrauensschutzes ändern; "Kontinuitätsvertrauen" wird prinzipiell nicht geschützt. Die bloße Erwartung, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen, wird daher auch dann nicht geschützt, wenn die Betroffenen bei ihren Dispositionen von dessen begünstigenden Regelungen ausgegangen sind. Von der Absenkung der Altersgrenze und dem damit einhergehenden Wegfall der Freibeträge bzw. der Förderung durch Kindergeld werden zwar auch die Eltern solcher Kinder erfasst, die sich bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits in Ausbildung befanden. Durch das am 19.07.2006 im BGBl veröffentlichte StÄndG wurde aber infolge der Übergangsregelung frühestens im Jahr 2008 die Gewährung bis dahin bezogenen Kindergeldes bzw. Freibeträgen beendet. Es fehlt daher an einer rückwirkenden Rechtsänderung, denn Anknüpfungspunkt der Begünstigung war nicht der Beginn, sondern die Fortführung der Ausbildung (ebenso Urteil des Niedersächsischen FG vom 18.11.2008). Die Absenkung der Altersgrenze wäre aber auch dann verfassungsgemäß, wenn sie als Maßnahme mit Rückwirkung anzusehen wäre. Da der Gesetzgeber die Dauer der Gewährung von Kindergeld bzw. Freibeträgen für Fälle gekürzt hat, in denen die Ausbildung des Kindes noch nicht abgeschlossen ist, würde es sich um eine Maßnahme mit unechter Rückwirkung handeln (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14.10.1997 und vom 17.06.2002). Derartige Regelungen sind grundsätzlich zulässig.

Wenn Kinder wegen Überschreitung der Altersgrenze nicht mehr berücksichtigt werden, entfallen dadurch auch andere steuerliche Vorteile wie z. B. der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) und der Freibetrag zur Abgeltung des Sonderbedarfs wegen auswärtiger Unterbringung des Kindes (§ 33a Abs. 2 EStG); Nachteile können sich auch bei der Förderung der Altersvorsorge der Eltern oder bei der Beamtenbesoldung und -beihilfe ergeben. Ob diese Folgen verfassungsgemäß sind, hat der BFH nicht entschieden.

Anmerkung
Mit Urteil vom 11.04.2013 hat der BFH das Urteil vom 17.06.2010 (nach Nichtannahme der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde mit Beschluss vom 22.10.2012) bestätigt, wonach die Absenkung der Altersgrenze für die Berücksichtigung von Kindern in der Berufsausbildung, einer Übergangs- oder Wartezeit oder einem Freiwilligendienst durch das StÄndG 2007 ebenso wie die dazu getroffene Übergangsregelung mit dem GG vereinbar war.

Betroffene Norm

§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG
Streitjahr 2008

Vorinstanz

Finanzgericht München, Urteil vom 22.04.2009, 9 K 3729/08, EFG 2009, S. 1842

Fundstellen

BFH, Urteil vom 11.04.2013, III R 83/09
BverfG, Beschluss vom 22.10.2012, 2 BvR 2875/10
BFH, Urteil vom 17.06.2010, III R 35/09, BStBl II 2011, S. 176 

Weitere Fundstellen

BVerfG, Beschluss vom 05.02.2002, 2 BvR 305/93 u.a., BVerfGE 105, S. 17
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.11.2008, 15 K 101/08, EFG 2009, S. 359
BVerfG, Beschlüsse vom 14.10.1997, 1 BvL 5/93, BVerfGE 96, S. 330, BGBl I 1998, S. 427 und vom 17.06.2002, 1 BvR 1594/99, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2002, S. 1463

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