Der BFH hält es für verfassungswidrig, dass nach § 9 Abs. 6 EStG Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Der BFH legt diese Vorschrift dem BVerfG zur Prüfung vor.
Zu VI R 8/12
Der Kläger absolvierte nach seinem Abitur in den Jahren 2002 bis 2008 ein Studium, das zwei Auslandssemester sowie drei Praktika beinhaltete. Für das Streitjahr 2007 erklärte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Werbungskosten wg. z.B. Studiengebühren und Aufwendungen für das Auslandssemester in Australien (Zimmermiete, Verpflegungsmehraufwand, Flugkosten).
Zu VI R 2/12
Der Kläger absolvierte als erstmalige Berufsausbildung in den Jahren 2005 bis 2007 eine Ausbildung zum Flugzeugführer. In den Steuererklärungen für 2005 bis 2008 machte er die Kosten der Berufsausbildung als Werbungskosten geltend.
Das Finanzamt ließ in beiden Streitfällen die Werbungskosten nicht zum Abzug zu, sondern berücksichtigte lediglich einen Sonderausgabenabzug. Einspruch und Klage blieben jeweils ohne Erfolg.
Die Verfahren seien auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 9 Abs. 6 i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes gegen das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße, wovon der BFH ausgehe.
Nach § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG bestimmt Entsprechendes für die Zwecke der Gewinnermittlung; danach sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Betriebsausgaben. § 9 Abs. 6 und § 4 Abs. 9 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG sind rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2004 anwendbar (§ 52 Abs. 23d S. 5 und § 52 Abs. 12 S. 11 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG).
Nach Ansicht des BFH seien die Aufwendungen für die Ausbildung zu einem "Beruf" geradezu prototypisch "beruflich" veranlasst. Trotzdem würden die Aufwendungen vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen werden, da sie erstmalig anfielen. Dies führe wohl zu einer nicht (z.B. durch Typisierung oder Pauschalierung) zu rechtfertigen Verletzung des objektiven Nettoprinzips.
Jedenfalls aber liege ein Verstoß gegen das subjektive Nettoprinzip vor. Da die eigenständige selbstverantwortliche Existenzsicherung Vorrang vor staatlicher Fürsorge habe, seien Aufwendungen für die Berufsausbildung zwangsläufig. Entsprechende Aufwendungen seien nicht nur dem Grunde, sondern auch der Höhe nach realitätsgerecht zu berücksichtigen. Dies sei aber bei einem Abzug als Sonderausgaben nicht der Fall, da diese – anders als Werbungskosten, die vorgetragen werden könnten (§ 10d EStG) – nur im jeweiligen Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden könnten.
Bei Auszubildenden und Studenten bleibe der Sonderausgabenabzug nach seiner Grundkonzeption wirkungslos, weil gerade sie typischerweise in den Zeiträumen, in denen ihnen Berufsausbildungskosten entstünden, noch keine eigenen Einkünfte erzielten. Der Sonderausgabenabzug gehe daher ins Leere, da er auch nicht zu Verlustfeststellungen, die mit späteren Einkünften verrechnet werden könnten, berechtige.
Dagegen liege keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung der Neuregelung des § 9 Abs. 6 EStG vor. Zwar liege hinsichtlich der Rückwirkungen für die Jahre 2004 bis 2010 – und damit auch für die jeweiligen Streitjahre – eine echte Rückwirkung vor. Allerdings habe sich kein schutzwürdiges Vertrauen auf eine andere Rechtslage bilden können, weshalb die Rückwirkung nicht unzulässig sei.
Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift scheide mit Blick auf den Wortlaut und die Entstehungsgeschichte aus.
Antrag auf Verlustfeststellung
Um von einer eventuell für den Steuerpflichtigen günstigen Entscheidung des BVerfG zur Abziehbarkeit der Kosten für ein Erststudium/eine Erstausbildung profitieren zu können, ist die Entscheidung des BFH vom 13.01.2015 zu beachten.
Hiermit hat der BFH entschieden, dass die Feststellung von Verlusten nach § 10d EStG auch dann noch möglich sei, wenn eine Veranlagung zur Einkommensteuer für das Verlustentstehungsjahr nicht erfolgt sei und wegen inzwischen eingetretener Festsetzungsverjährung auch nicht mehr durchgeführt werden könne. Mit dieser Entscheidung hat der BFH somit im Anschluss an die BVerfG-Vorlage zum Werbungskostenabzug für Berufsausbildungskosten den verfahrensrechtlichen Aspekt dahingehend geklärt, dass Auszubildende oder bereits Berufstätige, auch wenn sie in der Vergangenheit keine ESt-Erklärung abgegeben haben und wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung eine ESt-Veranlagung für diese Jahre nicht mehr durchgeführt werden kann, innerhalb der Verjährungsfrist für die Verlustfeststellung diese noch beantragen können.
§ 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes
Streitjahre 2005 bis 2007
Zu VI R 8/12: Finanzgericht Münster, Entscheidung vom 20.12.2011, 5 K 3975/09 F, siehe Deloitte Tax-News
Zu VI R 2/12: Finanzgericht Düsseldorf, Entscheidung vom 14.12.2011, 14 K 4407/10 F
Fundstellen
BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 8/12
BFH, Beschluss vom 17.07.2014, VI R 2/12
Pressemitteilung Nr. 73 vom 05.11.2014
Weitere Fundstelle
BFH, Urteil vom 13.01.2015, IX R 22/14
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