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23.08.2010
Private Einkommensteuer

BVerfG: Absenkung der Beteiligungsquote bei privater Veräußerung von Kapitalanteilen teilweise verfassungswidrig

Die Absenkung der Beteiligungsquote in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 ist wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig. Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Sachverhalt

Die Gewinne aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften unterlagen bis Ende 1998 als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer, wenn der Steuerpflichtige innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung - d.h. zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraums - zu mehr als 25 % beteiligt war. Die Beteiligungsgrenze wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002 ) auf 10 % gesenkt (§ 17 Abs. 1 S. 4 EStG). Nach § 52 Abs. 1 S. 1 EStG galt die Neuregelung ab dem Veranlagungszeitraum 1999, bezog aber - rückwirkend - auch Beteiligungsverhältnisse ein, die bereits vor ihrer Verkündung begründet worden waren.

Die Beschwerdeführer hielten jeweils Beteiligungen an einer GmbH unterhalb der alten, aber oberhalb der neuen Wesentlichkeitsgrenze i.H.v. 10 % bis zu 24,02 %, wobei eine Beschwerdeführerin noch im Jahr 1998 einen Teil im Hinblick auf die zu erwartende Rechtsänderung ihrem Ehemann übertrug, wodurch sich ihre Beteiligung unter 10 % verringerte. Den Rest veräußerte sie wiederum ein Jahr später an einen Dritten.
Im Übrigen veräußerten die Beschwerdeführer ihre Anteile teilweise vor (am 11.03.1999) der Verkündung der Neuregelung (31.03.1999), teilweise aber auch erst danach (im Juni 1999 bzw. am 23.07.2001). Das Finanzamt wandte in allen Fällen die abgesenkte Wesentlichkeitsgrenze an und rechnete die Veräußerungsgewinne dem zu versteuernden Einkommen zu.

Entscheidung

§ 17 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 ist wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig. Die zehnprozentige Beteiligungsgrenze als solche ist dagegen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Anwendung der abgesenkten Beteiligungsgrenze verstößt gegen den Vertrauensschutz und die gesetzliche Neuregelung ist nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert wurde oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Beteiligungsgrenze nicht überschritten war. Insoweit war bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze nachträglich entwertet wird. Diese führt zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedarf. Denn bei denjenigen Steuerpflichtigen, die ihre nach altem Recht unwesentlichen Beteiligungen bereits bis Ende 1998 veräußerten, bleiben die bis dahin erzielten Wertsteigerungen steuerfrei.

Anmerkung

Der BFH hat in seinem Urteil vom 24.10.2012 entschieden, dass die Beteiligungsgrenze von 1 % für die Steuerbarkeit von Gewinnen aus der Veräußerung von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften i.S.v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Auch die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen von der Gesetzesverkündung bis zum Inkrafttreten der 1%-Grenze ist nach Auffassung des BFH nicht zu beanstanden. Zwar hat das BVerfG mit Beschluss vom 07.07.2010 entschieden, dass die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsquote durch § 17 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 1 EStG i. d. F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 mit belastenden Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden sind, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen. Eine Gleichheitswidrigkeit im Hinblick auf Wertsteigerungen zwischen Verkündung und Inkrafttreten der neuen Rechtslage hat das BVerfG jedoch nicht angenommen. Insofern läge vielmehr ein Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, als gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor.
BFH, Urteil vom 24.10.2012, IX R 36/11

Betroffene Norm

§ 17 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG 1999

Anmerkung

Nach Auffassung des FG Münster folgt aus dem BVerfG-Beschluss vom 07.07.2010 nicht, dass bei der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung der gemeine Wert der veräußerten Beteiligung zum Aufteilungsstichtag als (fiktive) Anschaffungskosten zu behandeln ist. Maßgeblich ist vielmehr der tatsächlich erzielte Veräußerungsgewinn auf Basis der historischen Anschaffungskosten. Ein fiktiver Veräußerungsverlust wird bei der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung folglich nicht berücksichtigt, siehe Deloitte Tax-News

Vorinstanz

Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 25.09.2003, IV 229/2002
BFH, Urteil vom 01.03.2005, VIII R 25/02, BStBl II 2005, S. 436, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 01.03.2005, VIII R 92/03, BStBl II 2005, S. 398, siehe Zusammenfassung in den Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 10.08.2005, VIII R 22/05, BFH/NV 2005, S. 2188

Fundstelle

BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, siehe auch BMF-Schreiben vom 20.12.2010 und BMF-Schreiben vom 21.12.2011: Die Grundsätze des BVerfG-Beschlusses sind auch auf die Fälle von Einlagen (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Buchst. b EStG) und Einbringungen (§ 22 Abs. 1 S. 5 i.V.m. Abs. 2 UmwStG) entsprechend anzuwenden

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