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03.08.2012
Private Einkommensteuer

FG Baden-Württemberg: Progressionsvorbehalt auf schweizerische Einkünfte

Der Progressionsvorbehalt greift auch dann ein, wenn in nur einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil keine in Deutschland zu besteuernden Einkünfte anfallen. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts setzt nicht voraus, dass das DBA die Anwendung positiv erlaubt. Sie ist nur dann ausgeschlossen, wenn das DBA sie verbietet. Ein solches Verbot ist im DBA-Schweiz nicht enthalten.

Sachverhalt
Die Klägerin lebte bis zum 31.07.2004 in Deutschland und bezog Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Seit dem Umzug der Klägerin in die Schweiz am 01.08.2004 war die Klägerin in der Schweiz nichtselbständig tätig. In ihrer Einkommensteuer-Erklärung für das Streitjahr erklärte die Klägerin lediglich ihre deutschen Einkünfte und berief sich dabei auf das DBA-Schweiz. Sie war der Ansicht, dass danach nur die deutschen Einkünfte erklärt werden müssten, da die Klägerin im Jahr 2004 sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig gewesen sei.
Das Finanzamt hingegen berücksichtigte für den Zeitraum 01.08.2004 bis 31.12.2004 auch den in der Schweiz erzielten Arbeitslohn im Wege des Progressionsvorbehalts.

Entscheidung
Die Klage ist unbegründet. Das Finanzamt hat zu Recht die in der Schweiz erzielten Einkünfte im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigt.

Die Klägerin war bis zu ihrem Umzug in die Schweiz unbeschränkt steuerpflichtig. In der Folgezeit war sie im Inland nicht beschränkt einkommensteuerpflichtig, da sie ab dem 01.08.2004 keine inländischen Einkünfte mehr bezog.
Gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung ist bei der Festsetzung der ESt u.a. dann ein besonderer Steuersatz (§ 32b Abs. 2 EStG) anzuwenden, wenn ein zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte bezogen hat, die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen ESt unterlegen haben. Der Progressionsvorbehalt wird also nicht nur in Fällen angewandt, in denen ein Steuerpflichtiger in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkt und in einem anderen mit inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig ist. Sie greift vielmehr auch dann ein, wenn - wie im Streitfall - in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil keine in Deutschland zu besteuernden Einkünfte anfallen (vgl. BFH-Urteile vom 14.10.2003, vom 19.12.2001 und vom 15.05.2002).
Der Argumentation der Klägerin, die Voraussetzungen der Regelung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG seien nicht erfüllt, weil die Einkünfte der Klägerin, die sie in der zweiten Jahreshälfte für ihre Tätigkeit in der Schweiz bezogen habe, nicht „im Veranlagungszeitraum“ - wie es § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG voraussetze – erzielt worden seien, ist nicht zu folgen. Denn auch in Fällen wie dem vorliegenden ist der Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Lediglich der Steuerermittlungszeitraum ist in solchen Fällen
kürzer als das Kalenderjahr.

Der Anwendung des Progressionsvorbehalts steht auch nicht das DBA-Schweiz entgegen. Bei Bestehen eines DBA setzt die Anwendung des Progressionsvorbehalts nicht voraus, dass das DBA die Anwendung des Progressionsvorbehalts positiv erlaubt. Sie ist vielmehr nur dann ausgeschlossen, wenn ein einschlägiges DBA sie verbietet (vgl. BFH-Urteile vom 14.10.2003; vom 19.12.2001 und vom 15.05.2002). Ein solches Verbot enthält das DBA-Schweiz entgegen der Auffassung der Klägerseite nicht. Insbesondere ist der Regelung in Art. 4 Abs. 5 DBA-Schweiz kein solches Verbot zu entnehmen. Hiernach können dann, wenn eine natürliche Person nur für einen Teil des Jahres in einem Vertragsstaat ansässig, für den Rest des gleichen Jahres aber als in dem anderen Vertragsstaat ansässig gilt (Wohnsitzwechsel), in jedem Staat die Steuern auf der Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht nur nach Maßgabe der Zeit erhoben werden, während welcher diese Person als in diesem Staat ansässig gilt.
Zwar weisen die Kläger zutreffend darauf hin, dass die Rechtslage, wie sie bis zum Veranlagungszeitraum 1995 galt und wie sie auch bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA-Schweiz im Jahr 1971 Bestand hatte, regelte, dass dann, wenn die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht nicht jeweils während eines ganzen Kalenderjahres bestand, die Grundlagen für die Festsetzung der ESt für den Zeitraum der jeweiligen ESt-Pflicht zu ermitteln waren und sich der anzuwendende Steuersatz nur nach der Höhe des Einkommens bemaß, das der Steuerpflichtige in dem betreffenden Zeitraum erzielt hatte. Es kam mithin weder zu einer Zusammenrechnung der in den einzelnen Phasen erzielten Einkünfte noch zur Anwendung eines Progressionsvorbehalts (vgl. BFH-Urteil vom 19.12.2001). Der Umstand, dass für Fälle wie den vorliegenden zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA-Schweiz nach der inländischen Gesetzeslage keine Anwendung eines Progressionsvorbehalts vorgesehen war, führt jedoch nicht dazu, dass davon auszugehen wäre, dass das DBA-Schweiz die Anwendung eines inländischen Progressionsvorbehalts ausschlösse. Angesichts des Umstands, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des DBA-Schweiz kein entsprechender Handlungsbedarf bestand, ist vielmehr davon auszugehen, dass durch das DBA-Schweiz kein solcher Ausschluss festgelegt werden sollte. Die Regelung in Art. 4 Abs. 5 DBA-Schweiz ist daher so zu verstehen, dass sie sich nur auf die sachliche Steuerpflicht der nach § 2 Abs. 7 S. 3 EStG in die Bemessungsgrundlage einzubeziehenden Einkünfte bezieht. Bei der Anwendung des § 32b EStG geht es demgegenüber darum, mit welchem Steuersatz die während der Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht (hier Januar bis Juni 2004) erzielten Einkünfte besteuert werden. Dies zu bestimmen ist ausschließlich Sache des Ansässigkeitsstaates (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2007). Folglich entscheidet sich allein nach dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht, ob ein Progressionsvorbehalt anzuwenden ist (vgl. BFH-Urteile vom 19.12.2001 und vom 15.05.2002).

Betroffene Norm
§ 32b Abs. 1 EStG, § 32b Abs. 2 EStG, Art. 4 Abs. 5 DBA-Schweiz, § 2 Abs. 7 S. 3 EStG, Streitjahr 2004

Fundstelle
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.2012, 4 K 4095/10, Revision zugelassen

Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 14.10.2003, VIII R 111/01, BFH/NV 2004, S. 331
BFH, Urteil vom 19.12.2001, I R 63/00, BStBl II 2003, S. 302
BFH, Urteil vom 15.05.2002, I R 40/01, BStBl II 2002, S. 660
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 04.12.2007, 12 K 19/04, EFG 2008, S. 592

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