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06.11.2020
Private Einkommensteuer

FG Baden-Württemberg: Zur verfassungswidrigen Doppelbesteuerung von Altersrenten

Je mehr Teilbeträge als steuerfreier Rentenbezug und je weniger Teilbeträge als aus versteuertem Einkommen geleistete Altersvorsorgeaufwendungen anzusehen sind, desto geringer fällt die Doppelbesteuerung aus.

Hintergrund

Das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) hat eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Fragen aufgeworfen, von denen einige bereits höchstrichterlich geklärt sind. Dabei steht die Verfassungsmäßigkeit der Systemumstellung von der vor- zur nachgelagerten Besteuerung der Sozialversicherungsrenten außer Frage. Das gilt für die dauerhafte Begrenzung des Sonderausgabenabzuges (siehe Deloitte Tax-News) sowie die Einordnung der Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben (siehe Deloitte Tax-News). Beanstandungsfrei blieb auch die umfassende Übergangsregelung, trotz einheitlichen Besteuerungsanteiles, Benachteiligung der Renten aus der Basisversorgung im Vergleich zu jenen aus privaten Rentenversicherungen sowie aus Pensionskassen sowie vollem Steuerzugriff auch auf Rentenerhöhungen der Bestandsrentner seit 2005. Im Folgenden soll der Meinungsstand zum anhängigen Revisionsverfahren X R 33/19 anhand des vorinstanzlichen Urteils (FG Baden-Württemberg v. 1.10.2019 – 8 K 3195/16) und den Ansichten von Herrn RiBFH Dr. Egmont Kulosa (Richter am BFH, stellvertretender Vorsitzender des X. Senats u.a. zuständig für die Besteuerung der Alterseinkünfte und –vorsorge) dargestellt werden.

Verstoß gegen das Gebot der Doppelbesteuerung

Die Freistellung von Vorsorgeaufwendungen und die Besteuerung der daraus resultierenden Bezüge müssen aufeinander abgestimmt werden, um eine rechtswidrige Doppelbesteuerung zu vermeiden, wenngleich eine solche erst mit Besteuerung der Rente und nicht schon bei Versagung des Beitragsabzuges gerügt werden kann.
Eine Doppelbesteuerung wird vermieden, wenn die Summe der steuerunbelasteten Teile der voraussichtlichen Rentenbezüge des Steuerpflichtigen die Summe der Altersvorsorgeaufwendungen übersteigt, die er aus versteuertem Einkommen geleistet hat. Dazu ist eine anteilige Steuerentlastung in jedem Rentenbezugsjahr vorzunehmen, um die steuerliche Vorbelastung der Rentenzahlungen zu berücksichtigen.

Entscheidung

Das FG Baden-Württemberg nahm mit Urteil vom 01.10.19 ausführlich zu der vom BFH aufgeworfenen Frage Stellung, welche Beträge in die zu vergleichenden Positionen miteinzubeziehen seien. Je mehr Teilbeträge als steuerfreier Rentenbezug und je weniger Teilbeträge als aus versteuertem Einkommen geleistete Altersvorsorgeaufwendungen anzusehen sind, desto geringer fällt die Doppelbesteuerung aus.

Die voraussichtlich steuerunbelasteten Rentenbezüge ergeben sich zunächst aus dem nach § 22 Nr. 1 S. 3 a) aa) S. 4 EStG steuerfrei bleibenden Rententeilbetrag multipliziert mit der statistischen Lebenserwartung des Steuerpflichtigen nach der maßgeblichen Sterbetafel bei Rentenbeitritt.
Der auf die Renteneinkünfte entfallende Grundfreibetrag sei entgegen der Ansicht der Bundesregierung nicht als steuerunbelasteter Rentenbezug anzusehen, da er der steuerlichen Freistellung des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums und nicht der Freistellung bestimmter Einkunftsarten diene. Dafür spreche, dass er allen Steuerpflichtigen und nicht nur Rentnern zustehe. Auch aus der Rente zu zahlende Sonderausgabenabzüge für Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG seien nicht zu berücksichtigen, da auch sie nur dazu dienen, das Existenzminimum in Form der Sicherung der Kranken- und Pflegeversorgung von der Besteuerung freizustellen. Dies gelte folglich auch für die steuerfreien Zuschüsse zur Kranken- u. Pflegeversicherung gem. § 3 Nr. 14 EStG. Die Steuerbefreiung sei deklaratorisch, da die Zuschüsse schon keine Einkünfte sondern einen zweckgebundenen Vorteil in Form der Verschaffung von Krankenversicherungsschutz darstellen.

Auch der Werbungskostenpauschbetrag nach § 9a S. 1 Nr. 3 EStG sei nicht als steuerfreier Rentenbezug zu qualifizieren, da er der vereinfachten Berücksichtigung von Werbungskosten und damit der Verwirklichung des objektiven Nettoprinzips diene. Diesem Verständnis folgt auch Dr. Kulosa (im Herrmann/Heuer/Raupach EStG), der jedoch die Einbeziehung des Pauschbetrags grundsätzlich bejaht, da solche Aufwendungen bei Rentnern typischerweise gar nicht oder jedenfalls in deutlich geringerer Höhe als 102 € jährlich anfallen. Soweit jedoch absehbar sei, dass tatsächliche Werbungskosten anfallen, seien diese zugunsten des Steuerpflichtigen abzuziehen.

Ähnliches gelte für den Sonderausgabenpauschbetrag, der nicht der Steuerfreistellung von Rentenbezügen sondern der Erfüllung des subjektiven Nettoprinzips diene. Eine aufgrund höherer statistischer Lebenserwartung des Ehegatten des Steuerpflichtigen in Aussicht stehende Hinterbliebenenrente sei nicht als voraussichtlich steuerunbelasteter Rentenbetrag zu berücksichtigen. Dies folge aus dem Grundsatz der Individualbesteuerung.

Summe der aus versteuertem Einkommen geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen

Nicht aus versteuertem Einkommen stammen zunächst der nach § 3 Nr. 62 EStG steuerfrei bleibende Arbeitgeberanteil zum Rentenversicherungsbeitrag bei Arbeitnehmern und sonstige steuerfreigestellte Zuschüsse (bspw. § 3 Nr. 17 EStG). Dasselbe gilt für Altersvorsorgeaufwendungen, für die in der Einzahlungsphase ein Sonderausgabenabzug gewährt worden ist. Dabei ist jedoch umstritten, wie sich dieser Anteil vor 2005 berechnet, da der auf die Altersvorsorge entfallende und für die Berechnung maßgebliche Teil der Vorsorgeaufwendungen erst seit 2005 gesondert ausgewiesen wird. Entschieden ist, dass zwischen den verschiedenen Sozialversicherungsbeiträgen Gleichrangigkeit besteht, sodass die Rentenversicherungsbeiträge im selben Verhältnis Anteil am Sonderausgabenabzug haben, in welchem sie Anteil an den Vorsorgeaufwendungen hatten. Im entsprechenden Verhältnis sind dann Rentenvorsorgeaufwendungen an dem Betrag beteiligt, der nicht dem Sonderausgabenabzug unterlegen hat und insoweit als versteuertes Einkommen zu qualifizieren.

Dagegen sind Beiträge zu privaten Rentenversicherungen und kapitalbildenden Lebensversicherungen nur nachrangig in die Vergleichsrechnung einzustellen. Auch Beiträge zu Unfall- und Haftpflichtversicherungen sind nur nachrangig beim Sonderausgabenabzug der Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2004 zu berücksichtigen. Auch nach Dr. Kulosa wären diese Beträge zwar steuersystematisch gleichrangig mit den Altersvorsorgeaufwendungen in die Vergleichsrechnung einzustellen; er hält es jedoch für vertretbar, dass diese Vorsorgeaufwendungen von den Gerichten aus Vereinfachungsgründen sogar völlig außer Acht gelassen werden können, um die Berechnung im Massenverfahren praktikabel zu halten. Auch in einkommenssteuerfreien Veranlagungszeiträumen seien Vorsorgeaufwendungen als aus versteuertem Einkommen geleistet zu bewerten, sofern sie nicht bereits aufgrund des Sonderausgabenabzuges von der Einkommensbesteuerung ausgenommen sind.

Fazit

Die Ermittlung des aus verfassungsrechtlichen Erwäggründen steuerfrei zu vereinnahmenden Rentenanteils ist im Einzelfall komplex. Das FG Baden-Württemberg hat sich mit den Einzelheiten der Ermittlung auseinandergesetzt. Die Ansichten des FG Baden-Württemberg decken sich weitgehend mit den Ansichten des stellvertretenden Vorsitzenden Richters des X. Senats am BFH, Dr. Kulosa. Es bleibt abzuwarten, ob der BFH sich im Revisionsverfahren der Vorgehensweise zur Ermittlung des steuerfrei bleibenden Rentenbezugsanteils in allen Punkten anschließt.

Fundstelle

Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 01.10.2019, 8 K 3195/16, EFG 2020, S. 116, (Rev. anhängig, Az. des BFH: X R 33/19)

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 26.11.2008, X R 15/07; BVerfG, Urteil vom 29.9.2015, 2 BvR 2683/11
BFH, Urteil vom 18.11.2009, X R 34/07; BVerfG, Urteil vom 14.06.2016, 2 BvR 290/10
BFH, Urteil vom 27.05.2003, VI R 33/01; BFH, Urteil vom 19.01.2017, VI R 75/14; BFH, Urteil vom 16.09.2015, I R 62/13; BFH, Urteil vom 23.11.2016, X R 41/14; BVerfG, Urteil vom 14.6.2016, 2 BvR 290/10.
BFH, Urteil vom 26.11.2008, X R 15/07; BFH, Urteil vom 06.04.2016, X R 2/15; BVerfG, Urteil vom 29.09.2015, 2 BvR 2683/11
BFH, Urteil vom 04.02.2010, X R 52/08; BVerfG, Urteil vom 30.09.2015, 2 BvR 1066/10
BFH, Urteil vom 21.06.2016, X R 44/14
BFH, Urteil vom 26.11.2008, X R 15/07
BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 - 2 BvL 17/99; BFH; Urteil vom 21.06.2016, X R 44/14
BFH, Urteil vom 18.11.2009, X R 34/07; BVerfG, Urteil vom 13.02.2008, 2 BvR 1220/04
BVerfG, Urteil vom 13.02.08, BvL 1/06
BFH, Urteil vom 06.04.2016, X R 2/15 
BFH, Urteil vom 23.08.2017, X R 33/15.
 

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