Verluste aus einer gewerblichen Tätigkeit führen bei Überschreiten der Bagatellgrenze zu einer Umqualifizierung der im Übrigen vermögensverwaltenden Tätigkeit einer GbR (Rechtsprechungsänderung infolge gesetzlicher Neuregelung).
Die Klägerin, eine vermögensverwaltende GbR, hatte auf einem von ihr vermieteten Grundstück eine Photovoltaikanlage (PVA) errichten lassen, aus deren Betrieb sie zunächst einen Verlust erzielte. In ihrer Feststellungserklärung erklärte die GbR Einkünfte aus der Vermietung von Grundstücken sowie gewerbliche Verluste im Zusammenhang mit der PVA. Die Gesamtnettoumsätze der GbR beliefen sich im Streitjahr auf 113.484 Euro; auf den Betrieb der PVA entfielen dabei Nettoumsätze i.H.v. 8.472 Euro.
Finanzamt und FG waren der Auffassung, dass die GbR ausschließlich gewerbliche Einkünfte erzielt.
Der BFH gelangt nun ebenso wie das FG zu dem Ergebnis, dass die GbR mit dem Betrieb der PVA eine originäre gewerbliche Tätigkeit ausgeübt hat, die gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 und S. 2 Alt. 1 EStG n.F. ihre im Übrigen ausgeübte vermögensverwaltende Tätigkeit insgesamt in eine gewerbliche umqualifiziert.
Bisherige BFH-Rechtsprechung zur Abfärbung bei Verlusten
Mit Urteil vom 12.04.2018 (IV R 5/15, siehe Deloitte Tax-News) hatte der BFH für die Streitjahre 2003 bis 2006 noch die Rechtsauffassung vertreten, dass Verluste aus einer originär gewerblichen Tätigkeit nicht zur Umqualifizierung der vermögensverwaltenden Einkünfte einer GbR führen.
Gesetzliche Neuregelung
Als Reaktion auf diese Entscheidung des BFH hat der Gesetzgeber mit einer Änderung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG durch das Jahressteuergesetz 2019 (JStG 2019) vom 17.12.2019 (siehe Deloitte Tax-News) eine Ergänzung der Vorschrift vorgenommen, die sicherstellt, dass eine gewerbliche Abfärbung auch dann eintritt, wenn die gewerbliche Tätigkeit isoliert betrachtet zu einem Verlust führt.
Gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG n.F. gilt danach als Gewerbebetrieb in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit einer OHG, einer KG oder einer anderen Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit i.S. des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ausübt (Alt. 1) oder gewerbliche Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bezieht (Alt. 2). Dies gilt nach Satz 2 unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit i.S. des Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ein Gewinn oder Verlust erzielt wird (Alt. 1) oder ob die gewerblichen Einkünfte i.S. des Abs. 1 S. 1 Nr. 2 positiv oder negativ sind (Alt. 2).
Die im Rahmen der Neuregelung erfolgte Ergänzung in Satz 2 ist dabei nach § 52 Abs. 23 S. 1 EStG n.F. auch rückwirkend für Veranlagungszeiträume vor 2019 anwendbar.
Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung und der rückwirkenden Anwendung
Da die Neuregelung und deren rückwirkende Anwendung aus Sicht des BFH als verfassungsgemäß anzusehen ist, legt der BFH die neue Fassung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG in seiner Entscheidung für die Beurteilung des Streitjahrs 2012 zugrunde.
Die rückwirkende Geltung der Neuregelung stelle eine sog. „echte“ Rückwirkung dar, die verfassungsrechtlich ausnahmsweise nicht zu beanstanden sei. Denn der Gesetzgeber habe zulässig eine Rechtslage festgeschrieben, die – vor dem anderslautenden BFH-Urteil aus dem Jahr 2018 – einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprochen hat. Auch habe im konkreten Fall (Streitjahr 2012) kein schützenswertes Vertrauen der GbR in die zu diesem Zeitpunkt noch unbekannte und nicht ohne weiteres erwartbare Rechtslage, die erst durch das BFH-Urteil aus dem Jahr 2018 geschaffen wurde, bestanden.
Bagatellgrenze auch bei Anwendung der Neuregelung
Darüber hinaus kommt der BFH zu der Auffassung, dass die von der Rechtsprechung für gemischt tätige freiberufliche Personengesellschaften entwickelte Geringfügigkeitsgrenze auch bei Anwendung der Neufassung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 EStG zu beachten ist. Danach ist eine die umqualifizierende Wirkung nicht auslösende gewerbliche Tätigkeit von geringem Ausmaß gegeben, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse 3 % der Gesamtnettoumsätze (relative Grenze) der Personengesellschaft und zugleich den Höchstbetrag von 24.500 € (absolute Grenze) im Veranlagungszeitraum nicht übersteigen (vgl. BFH-Urteile vom 27.08.2014, VIII R 16/11 und VIII R 41/11).
Diese – bislang für gemischt tätige freiberufliche Personengesellschaften entwickelte – Geringfügigkeitsgrenze gilt nach Ansicht des BFH auch für gemischt tätige vermögensverwaltende Personengesellschaften. Für letztere sei insbesondere auch keine höhere Bagatellgrenze anzusetzen und der Prüfung der sog. Abfärbewirkung auch kein mehrjähriger Beobachtungszeitraum zugrunde zu legen. Auch von Verfassungs wegen sei eine Neuausrichtung der Geringfügigkeitsgrenze nicht geboten.
Übertragung auf den zugrundeliegenden Sachverhalt
Im zugrundeliegenden Streitfall war die Bagatellgrenze überschritten, weshalb es nach Ansicht des BFH zu einer abfärbenden Wirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 1 EStG n.F. gekommen ist. Die GbR hat aus der originär gewerblichen Tätigkeit Nettoumsätze von 8.472 € erzielt. Diese Umsätze machten 7,46 % der Gesamtnettoumsätze (113.484 €) aus. Sie blieben zwar unterhalb der absoluten Umsatzgrenze von 24.500 €, überschritten aber deutlich die relative Bagatellgrenze von 3 % der Gesamtnettoumsätze.
§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG
Streitjahr 2012
Keine Abfärbung bei zweiter (ggf. beteiligungsidentischer Schwester-) GbR
Nach Auffassung des BFH in seinem hier besprochenen Urteil vom 30.06.2022 tritt eine (seitwärts) abfärbende Wirkung einer bestimmten originär gewerblichen Tätigkeit auch unter Geltung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG n.F. allerdings dann nicht ein, wenn diese gewerbliche Tätigkeit in einer eigenen zweiten (ggf. auch beteiligungsidentischen Schwester-)Personengesellschaft ausgeübt wird (sog. Ausgliederungsmodell; ständige Rechtsprechung zu § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG a.F., z.B. BFH-Urteil vom 19.02.1998, IV R 11/97).
Unabdingbare Voraussetzung für die Annahme einer zweiten Personengesellschaft ist dabei aus Sicht des BFH, dass die zweite Gesellschaft nach außen erkennbar geworden ist. Im Übrigen sei aufgrund von Beweisanzeichen (z.B. getrennte Bankkonten und Kassen, verschiedene Rechnungsvordrucke, eigenständige Buchführung) festzustellen, ob und inwieweit die zweite Gesellschaft eine von der ersten Gesellschaft abgrenzbare Tätigkeit entfaltet hat. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der BFH in dem oben dargestellten Urteil der Würdigung des FG gefolgt, wonach die vorgelegten Unterlagen, welche eine weitere GbR im allgemeinen Rechtsverkehr nach außen dokumentieren könnten, keine Anhaltspunkte für die Existenz einer zweiten GbR im Streitjahr enthalten.
Finanzgericht München, Urteil vom 26.06.2018, 2 K 2245/166
BFH, Urteil vom 30.06.2022, IV R 42/19, BStBl II 2023, S. 118, BVerfG-anhängig: 2 BvR 2113/22
BFH, Urteil vom 12.04.2018, IV R 5/15, BStBl II 2020, S. 118, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteile vom 27.08.2014, VIII R 16/11, BStBl II 2015, S. 996 und VIII R 41/11, BStBl II 2015, S. 1002, siehe Deloitte Tax-News
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